Mörderisches vom Niederrhein. Regina Schleheck

Mörderisches vom Niederrhein - Regina Schleheck


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werden könne. Er werde ihn begutachten, gegebenenfalls entschärfen und entsorgen.

      Was Letzteres anging, machte ich mir keine Gedanken. Es war mir auch egal, ob er lediglich den Metallwert oder den Höchstpreis auf irgendwelchen sinistren Hehler- oder Waffenmärkten erzielte. Gut, im Sinne einer vertrauensbildenden Maßnahme kaufte ich als Erstes über die Seite, auf der er selbst seinen Krempel anbot, eine Granate, die ich Erwin in den Schuppen legte. Als ich ihn nach einer Woche darauf ansprach, hatte ich sie bereits in seinem Warensortiment gefunden. Er erzählte mir, er habe sie dem Kampfmittelräumdienst übergeben.

      Lars sagte ich nichts von Erwin, aber ich überredete ihn, dass er das ein oder andere Mal mit mir loszog. Alles, was wir an Waffen entdeckten, barg ich, wenn die Größe und der Zustand es erlaubten, nach allen Regeln der Kunst und legte es im Holzschuppen ab – oder ich verständigte gleich die Polizei. Natürlich ging ich ein gewisses Risiko ein, doch im Gegensatz zu Erwin – da bin ich mir sicher – hatte ich mich sehr gut informiert. Gewiss war er des Lesens mächtig. Viel mehr traute ich ihm allerdings nicht zu. Er war ein Mensch, der sich vor allem durch vermeintliche Bauernschläue auszeichnete und dessen Erfahrungsschatz genau diesen Namen verdiente: die Summe seiner Erfahrungen. Nicht mehr. Ich hingegen musste nicht jede Bombe ausgebuddelt haben, um zu verstehen, wie sie funktionierte. Man kann sich anderweitig schlaumachen. Es ging mir darum, ihn zu fordern. Ihn mit unterschiedlichsten Waffen zu konfrontieren, die er nicht kannte. Man mag das einen Sport nennen. Wer mir bösere Absichten unterstellt, wird wohl nicht ganz falschliegen. Aber ich tat ja nichts, was er nicht wollte. Er sammelte diesen Mist schließlich. Ich habe ihm die Waffen lediglich überlassen. Was er damit machte, war seine Sache. Ich schwöre, es entzieht sich meiner Kenntnis komplett, was an jenem Tag am Hafenbecken B passiert ist. Ja, ich hatte bei ihm am Vortag eine deutsche Elektron-Thermit-Stabbrandbombe abgeliefert, nicht groß, keine 40 Zentimeter, allerdings mit einer zusätzlichen Sprengladung am Kopf, die mit Verzögerung von ein paar Minuten detonieren sollte. Doch was sollte damit passieren, solange das Ding nicht abgeworfen wurde? Ich habe keine Ahnung, wieso der Idiot es zur Arbeit mitgenommen hat. Das immerhin hatte ich beobachtet, dass er, als er die Bombe im Holzschuppen fand, sie vorsichtig verstaute und damit zur Werft fuhr. Vielleicht gab es dort Maschinen, die er zu Hause nicht hatte, um das Ding zu entschärfen oder irgendwelche Experimente damit zu machen? Genau genommen konnte ich ja noch nicht einmal wissen, ob Erwin das Ding nicht seinen Kollegen überlassen und sich verdünnisiert hatte. Vielleicht rein zufällig: Er musste nur ausgetreten sein, weit genug weg von dem Unglücksort, und als das Ding detonierte, war er abgehauen. Oder er dümpelte als Fischfutter irgendwo am Grund des Rheins vor sich hin. Ganz vielleicht war es überhaupt nicht die Bombe gewesen, sondern irgendein Gasaustritt, warum auch immer, wie die Reederei vermutete. Es wurde nie geklärt.

      *

      Lars und ich durften sechs Wochen nach unserem Rheinabenteuer die Trauzeugen für die Königskinder geben. Gefeiert wurde standesgemäß in der Villa Rheinperle, ehemalige Krupp’sche Direktorenresidenz in der Bliersheimer Villenkolonie. Der Schampus floss in Strömen. Bevor wir auf das Brautpaar anstießen, zog ich Lars beiseite und hob das Glas auf ihn. »Gestern kam die Bestätigung, dass dein Vater für tot erklärt wurde. Als sein Notar kann ich dir sagen: Er hat nicht viel hinterlassen. Aber 20.000 dürften es sein. Cheers!«

      »Was?« Lars schossen Tränen in die Augen.

      »Dann dürftet ihr ja jetzt gewissermaßen quitt sein, oder?«

      Er prostete mir zu.

      »Wo bleibt ihr?«, rief Leander. Nachdem wir die Toasts auf das Brautpaar durchgestanden hatten, bestellte ich Lars für den nächsten Tag bei mir ein. Zur offiziellen Testamentseröffnung.

      Anderntags klingelte es zur vereinbarten Zeit bei mir zu Hause.

      Nicht Lars.

      Mehrere Polizisten mit gezückten Waffen standen vor der Tür. »Hausdurchsuchung!«, bellte der erste und hielt mir einen Wisch hin.

      »Moment, was soll das?«, protestierte ich.

      »Ihnen wird vorgeworfen, über das Darknet Waffenbestellungen vorgenommen zu haben. Außerdem müssen wir Sie befragen.«

      »Wozu?«

      »Sie standen – auch, was die Waffen angeht – nachweislich mit Herrn Erwin Vogeler in Verbindung. Herr Vogeler ist seit dem Frühjahr 2016 verschwunden, nach der vermutlich von ihm ausgelösten Explosion auf einem Tanker im Duisburger Hafen. Dazu brauchen wir von Ihnen einige Auskünfte …«

      Scheich am Teich

      Die blonden Haare hatten ihn in die Irre geführt. Blond und blauäugig. Wie passte das zu einer Araberin? Gut, ihr Deutsch war nicht astrein, ihr Gefasel, sie hätte zuletzt in den Niederlanden gelebt – ja, sie war über Rotterdam eingeschleust worden, irgendein Containerschmuggel –, wie sollte er ihr Glauben schenken? Ihr Mann hätte sie geschlagen, vergewaltigt, eingesperrt. Schluchz. Er hatte sich sehr beherrschen müssen, um es diesem Beduinen nicht gleichzutun. So weit würde er es nicht kommen lassen. Erst recht keine halben Sachen machen.

      Er traktierte den Boxsack. Mich – mit – die – ser – Schlam – pe – ein – zu – las – sen! Mich – mit – die – ser – Schlam – pe – ein – zu – las – sen!

      Ein hohes Tier. Klar. Bildung und Geld schienen bei ihr keine Rolex zu spielen. Britischer Butler und deutsche Nanny. Sie war keine von denen gewesen, die mit Rettungswesten in Gummibooten an griechischen Küsten strandeten. Zumindest, wenn sie nicht schon auf der Strecke geblieben waren. Schwimmen konnte sie einwandfrei, wie sie am Kaarster See am Wochenende gezeigt hatte. Wo sie herkam, hatte sie einen Pool gehabt. Und Personal. Klar lag man da nicht im Bikini an öffentlichen Stränden rum. Da wurde höchstens im Burkini geplanscht. Andererseits: Wie man mit den Hüften wackelte, lernten die Mädels da gleich nach dem aufrechten Gang. Wie man Kerle in den Wahnsinn trieb. Genau damit hatte sie ihn geködert. Im Eleni’s in der Remigiusstraße. Zum Rock in den Mai. Bombenfigur, blonde Mähne und einen Blick drauf – so zwischen »Nimm mich!« und »Was willst du denn?«, immer wenn ihrer und seiner sich kreuzten. Er hatte sie vorher nie im Eleni’s gesehen. Okay, es gab Tage, an denen er zu Hause ein gepflegtes Bierchen zischte oder mit Kumpels unterwegs war. Tanzen war sowieso nicht sein Ding. Eher rhythmisches Schwanken. Schließlich durfte das Alt nicht überschwappen. Als sie eine Pause machte und sich – wer glaubte an Zufälle? – neben ihn an die Theke stellte, um ein Bier zu bestellen, reichte er den passenden Schein über die Theke und stieß mit ihr an. »Prost.« Sie hatten sich dabei in die Augen gesehen. Ein Versprechen, was sonst?

      Ihr Akzent klang irgendwie süß, aber vor allem war er ihm eigentlich scheißegal gewesen. Zu viel Bier und Hüftschwung, die blauen Augen mit einem feinen schwarzen Strich ummalt – und ein Parfüm, das man erst wahrnahm, wenn man dicht neben ihr stand. Na, und im Bett hatte sie auch einiges draufgehabt. In ihrer Wohnung wohlgemerkt. Gleich am selben Abend. Er hatte sie nach Hause gebracht und gar nicht zu fragen brauchen. Den Feiertag verbrachten sie am Breyeller See, dann nahm er sie mit zu sich. Er war zweimal hintereinander gekommen und völlig ausgepowert eingeschlafen, hatte nicht mitgekriegt, wann sie sich aus seinem Arm gewunden hatte und aufgestanden war. Als er die Augen aufschlug, stand sie mit dem Rücken zu ihm vor den Bildern an der Wand. Nackt, das Badetuch um den Leib gewickelt. Er musste geschnarcht haben, denn sie drehte sich um. Fragte: »Deine Familie?«

      »Ja«, sagte er.

      Und als sie auf einen nach dem anderen mit dem Finger wies und fragte: »Du? – »Dein Vater?« – »Deine Mutter?« – »Wer ist das?«, stand er auf, stellte sich neben sie, legte den Arm um ihre Schultern, vergewisserte sich, dass die Brüste noch waren, wo sie hingehörten, und genau in seine Hand passten, küsste sie in den Nacken und beantwortete mit halb geschlossenen Augen ihre Fragen. Die sie, wie ihm beim anschließenden Kaffee klar wurde, gestellt hatte, weil Familie, wo sie herkam, alles war. Weil sie davon ausging, dass es für ihn genauso sein musste. Weil sie sich einschleimen wollte. Er war Mittel zum Zweck gewesen. Sie brauchte den Schein. Scheinehe als Aufenthaltsgarantie. Bereinigte Papiere. Dachte, sie könnte ihn einspannen. Hatte keine Ahnung, dass »Familie« ein anderes Wort für »Albtraum« sein konnte. Bilder, die er nach dem Tod der Eltern


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