Geschwistergeschichten. Arlette Schnyder

Geschwistergeschichten - Arlette Schnyder


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die sieghafte Kraft des jungen Evangeliums; ja manche heidnische Gemeinde wird uns ein Spiegel zu heilsamer Beschämung.»80

      Die Verknüpfung von innerer und äusserer Mission wird hier sichtbar. So argumentierte der Missionsfreund, dass die äussere Mission den Blick für das Elend in den eigenen Ländern schärfe. Schnyder erinnerte daran, dass die in Afrika oder Indien tätigen Missionswerke eng verbunden seien mit den Werken der inneren Mission im eigenen Land. In Basel seien die gleichen Männer, die sich für die äussere Mission in aller Welt einsetzten, auch die, welche Rettungsanstalten für verwahrloste Kinder gründen oder einsame Fabrikarbeiterinnen schützen und Handwerksburschen- und Mädchenherbergen errichten würden: «Württemberg, das dicht durchzogen ist von einem Netz von Anstalten der rettenden und bewahrenden Liebe für die Unglücklichen, für Kinder, die sonst ordentlicher Erziehung ermangeln müssten – für Blinde, Taubstumme, Epileptische, hilflose Alte, von Diakonissenhäusern zu Gunsten der Kranken – es ist zugleich das Land der Mission.»81

      Sein Engagement für die Werke der Mission war dem Pfarrer auch als Familienvater ein wichtiges Anliegen. Ernst schreibt in seinem Lebensbild des Vaters, dass dieser, angesprochen auf seine acht Töchter, schlagfertig zu antworten wusste: « ‹Für jedes Diakonissenhaus eine Schwester› pflegte er seinen Freunden lächelnd zu sagen, auf seinen Segen hindeutend.»82

      Tatsächlich handelte der Vater bei seinem zehnten Kind Gertrud in diesem Sinn, wenn er verkündete, es sei eine kleine Diakonisse geboren worden. Dass dieser Wunsch des Vaters nicht einfach so weggesteckt werden konnte, wird aus den Aufzeichnungen der durch diesen Spruch geprägten Tochter klar: Bei ihrem Eintritt in das Diakonissenhaus Riehen und bei jedem Jubiläumsbericht stellte sie des Vaters Bestimmung als unausweichlichen Weg dar: «Es begann mit meinem ersten Lebenstag, als mein lieber Vater, Pfarrer in Zofingen, sein 10. Kind im Besonderen seinem Herrn weihte, indem er allen Verwandten u. Freunden per Karte mitteilte, dass eben eine kleine, muntere Diakonissin zur Welt gekommen sei. So legte er seinen brennenden Wunsch durch die Hingabe der kleinen Gertrud Klara an die Diakonie seinem Kinde in die Wiege. Mein Vater war ein eifriger Förderer der äussern und innern Mission u. hätte gerne alle seine Kinder im Dienste am Reiche Gottes gewusst. Als er dann mit 56 Jahren in Bischofszell rasch heimgerufen wurde, war es mir ein heiliges Vermächtnis dem Wunsch meines Vaters zu folgen. Ich war ja erst ein Kind von 11 Jahren, aber der Gedanke an sein Vermächtnis begleitete mich beständig.»83

      Der brennende Wunsch des Vaters und die über den Tod hinaus wirkende Autorität seines schicksalsbestimmenden Spruches zeigt, wie ernst ihm die Sache mit der Mission war. Die Töchter, so könnte man meinen, waren alle Bräute Gottes, die sich in der Verbreitung des lebendigen Glaubens, wie er von den Pietisten verstanden wurde, für eine bessere Welt einsetzten. Dass christlicher Glaube weitergepflanzt werden sollte, war für die Kinder tägliches Brot. Ihre zukünftigen Lebensaufgaben als Erzieherinnen, als Pfarrer, Arzt oder Diakonisse wurden nicht zuletzt in diesem Sinn verstanden.

       DIE PFARRERSTOCHTER WIRD PFARRFRAU

      Sophie Peyer kam 1844 als erstes Kind eines jungen Pfarrers und dessen Frau in einer der vielen Pfarrwohnungen Schaffhausens zur Welt, die für Pfarrer benachbarter Gemeinden zur Verfügung standen. Ihr Vater, Eduard Peyer, Junker Peyer genannt, stammte von einer alten Schaffhauser Familie, ihre Mutter, Margaretha Oser, kam aus dem Basler Grossbürgertum.

      Pfarrer Peyer wurde nach Beringen berufen, wo er mit seiner Frau das Pfarrhaus bezog, dort wuchs Sophie auf und ging zur Schule. Später besuchte sie die Höhere Töchterschule gegenüber dem Obertor in Schaffhausen und musste täglich über die Enge hin- und zurückwandern. Das Mittagessen bekam sie bei ihrem Onkel, dem Steigpfarrer Burckhardt-Peyer, der im «Katzenloch», dem Haus neben der Münsterkapelle, wohnte.84

      Eine gute Bildung für Töchter wurde im 19. Jahrhundert für den oberen Mittelstand immer wichtiger. Nicht nur ging es darum, den Töchtern eine Berufsausbildung zu ermöglichen, sondern vor allem auch, sie in ihrer Allgemeinbildung auf ein passendes Niveau für einen allfälligen Gatten zu heben. So galten denn Höhere Töchterschulen als eine «Bildungsstätte der höheren Töchter auf ihrem Weg zur kulturbeflissenen Gattin».85 Gerade für Pfarrerstöchter, die keine grosse Aussteuer in Aussicht hatten, erhöhte eine gute Ausbildung die Heiratschancen und bildete zugleich eine Absicherung, wenn sich kein Bräutigam finden liess. Eine interessante Partie für eine Pfarrerstochter mag ein dem Pfarrer nahestehender Vikar gewesen sein. Der Schwiegersohn trug dann sozusagen das geistige Gut des Pfarrherrn weiter.

      Nach der abgeschlossenen Töchterschule arbeitete Sophie im Berner Diakonissenhaus, dem Dändliker-Spital, als Hilfsschwester. Gemäss dem Bericht ihres Sohnes Ernst ging die 26-Jährige kurz vor einem geplanten Eintritt als Probeschwester in eben diesem Spital der Mutter im Pfarrhaushalt zur Hand. Ob diese letzte Zeit vor dem Eintritt von den Eltern, von der Tochter oder von beiden Seiten gezielt genutzt wurde, einen Mann für Sophie zu finden, wird aus den Quellen nicht sichtbar. Sicher ist, dass das Auftauchen des jungen Vikars Schnyder im Winter 1870/71 im Pfarrhaus in Beringen die Pläne der Tochter veränderte.

      Vikare verbrachten ihre Lehrzeit im Pfarrhaus und prägten das Familienleben mit.86 Schnyder kam in ein Pfarrhaus mit teilweise erwachsenen Töchtern, die er wohl bei Tisch näher kennenlernen durfte. «Noch stehen vor meiner Seele photographisch treu jene Tage im Pfarrhause Beringen, im Winter 1870/71, da sich unsere Herzen kaum bewusst allmählig gegen einander aufschlossen.»87

      Sophie gefiel dem jungen 25-jährigen Johannes in ihrer «reinen Jungfräulichkeit», wie der Sohn der beiden später schrieb, und da er das Vertrauen der Pfarrersleute gewonnen hatte, gaben sie ihm das Jawort für die Heirat ihrer Tochter:88 «Alles freute sich mit dem glücklichen Brautpaare; nur Diakonissenvater Dändliker in Bern grollte dem jungen Vikar, der ihm eine künftige Schwester so kurz vor dem Eintritt schnöde weggeschnappt.»89

      Der gerade noch zur rechten Zeit gekommene Mann lässt ahnen, dass in der Interpretation des Autors dieser Zeilen die Ehe besser war als das Los, Diakonisse zu sein.90 Obwohl Ernst das Diakonissenwesen sehr unterstützte, sah er das wahre Glück einer Frau, die ihm nahestand, im Hafen der Ehe und nicht in einer Schwesternkongregation. Dies entspricht der bürgerlichen Vorstellung, in welcher die Heirat den Höhepunkt des Lebens einer Frau darstellte. Dabei war es, gerade im protestantischen Pfarrmilieu, die Liebesheirat, die propagiert und im Falle der Hochzeit von Johannes und Sophie in den Familienerinnerungen wiedergegeben wurde. «Die Vorstellung einer liebes-bezogenen Ehe und das Idealbild der auf die Schaffung einer häuslichen Intimsphäre verpflichteten Ehefrau und Mutter waren im protestantischen Pfarrmilieu allgemein verbreitet.»91

      Sophie heiratete 1872, mit 28 Jahren, den um ein Jahr jüngeren Pfarrer und zog in das Pfarrhaus in Fehraltorf im Zürcher Oberland ein. Sophie zog von einem Pfarrhaus in das nächste und war bestens auf ihre Aufgabe vorbereitet. Auch brachte sie von ihrer Arbeit im Berner Diakonissenhaus einige praktische Erfahrungen mit. Eine perfekte Partie für einen jungen Pfarrer. So schrieb Johannes Schnyder in seinen Erinnerungen, die er während einer starken Gesichtsrose, deren Ausgang tödlich hätte sein können, niederschrieb: «Wie waltete sie still, fröhlich und allezeit geschäftig in ihrem neuen Wirkungskreise, liess mich lange Vereinsamten den vollen Segen einer trauten Häuslichkeit erfahren und war bemüht, auch Kranken und Gesunden in der Gemeinde wirklich etwas zu sein in freundlicher Teilnahme, herzlichem Helfen und Trösten, in mildem Zurechtleiten.»92

      Johannes Schnyder wollte mit seiner Niederschrift seinen Kindern ein beeindruckendes Bild der früh verstorbenen Mutter zeichnen. Als er sich von seiner Krankheit erholt hatte, versammelte er seine Kinder um sich und las ihnen den Text vor. Das Bild, das sich bei den Kindern von ihrer Mutter festgesetzt hatte, war stark durch diese Schrift geprägt, die regelmässig am Todestag der Mutter verlesen und später an alle Kinder aus erster Ehe verschickt wurde.93 Das Bild Sophie Schnyders mag daher etwas verklärt sein. Sicher ist aber, dass der Pfarrer sich glücklich schätzte, dass sie wusste, wie sie ihren Mann «den vollen Segen trauter


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