Abenteuer Musik. Clemens Kühn

Abenteuer Musik - Clemens Kühn


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unspektakulär, mit 4 plus 4 Takten aus zwei gegensätzlichen Bausteinen: einem Dreiklang, der in Vierteln aufsteigt, und mehreren Terzen, die in Achteln fallen. Dann kommen die ersten vier Takte mit dem Dreiklang wieder, und danach die fallenden … nein: Die Achtel werden schroff weggefegt durch einen dreimaligen Ton, erneut ein Achtelversuch, wieder ein dreimaliger Ton, Schlusswendung. Auch der folgende kleine Mittelteil ist unvorhersehbar. Dann kehrt der erste Teil wieder, und der Hörer fragt sich, was ihn nun erwarten wird. Doch alles ist auf einmal normal: 4 plus 4 Takte wie am Beginn, dann regulär eine gleich lange Partie. Alles in Ordnung? Eben nicht. Haydn schließt eine Fortsetzung an, die harmlos beginnt, aber … Bitte hören Sie selbst. Und wie nehmen Sie im Vergleich zum Menuett das Trio wahr?

       Zur Anregung noch einige attraktive Menuette und Scherzi [ein Scherzo, musikalischer Nachfolger des Menuetts, ist ungleich schneller und lebhafter]. Was hören Sie als deren jeweils Besonderes?

      Ludwig van Beethoven, Zweite Sinfonie, dritter Satz, Scherzo

      Zwei Scherzi von Johannes Brahms, aus dem Streichsextett B-Dur op. 18 und aus dem Trio op. 8 für Klavier, Violine und Violoncello [op. = opus = Werk]

      Franz Schubert, Streichquintett C-Dur op. 163, dritter Satz, Scherzo

      Wolfgang Amadeus Mozart, Streichquartett G-Dur KV 387, zweiter Satz, Menuetto

      Robert Schumann, Zweite Sinfonie C-Dur op. 61, zweiter Satz, Scherzo

      Und noch zwei Menuette von Joseph Haydn, die mit der Taktordnung spielen: aus seiner Klaviersonate Es-Dur Nr. 43 und aus dem Streichquartett F-Dur op. 77 Nr. 2. Tipp: Versuchen Sie, in beiden Menuetten den typischen Dreivierteltakt als 1-2-3 zu verfolgen. Wenn Sie unsicher werden, wo die »1« ist, also der Beginn des Taktes, haben Haydns Finten Sie erwischt …

      3 Melodien gehen ins Herz, Rhythmus geht in den Körper

       Beethovens Siebte Sinfonie beginnt auf wunderschöne Weise. Bläser reichen einander ihre zweitaktige Melodie weiter, jede Übergabe ist durch einen Akkord [Zusammenklang von drei oder mehr Tönen] markiert, dem in den Streichern ein leiser Klang folgt. Die melodischen Bögen wechseln ihre instrumentalen Farben: von der Oboe zu den Klarinetten und Hörnern und dann verbreitert zu sieben Stimmen. Das Ganze ist so eigen wie tief berührend. Die Kraft des Melodischen, noch durch die Klangfarben bereichert, rührt die Hörer an. [»Klangfarbe« heißt der spezifische Klangcharakter, den ein Instrument mit sich bringt.]

      Ganz anders Beethovens Fünfte Sinfonie. Verschiedene Versionen ihres Anfangsmottos sind im folgenden Beispiel nebeneinandergestellt:

      Version (a) ist das Original; (b) macht aus dessen Fall einen Schritt; (c) fällt tiefer als a; (d) schreitet nach einmal Tonwiederholung abwärts, (e) schreitet nach einmal Tonwiederholung aufwärts. Später folgen noch andere Fassungen. Jeder Hörer wird sie als verwandt wahrnehmen, ohne die skizzierten Unterschiede im Detail zu registrieren, dazu gehen die Figuren zu schnell vorbei. Doch kein Hörer wird – anders als bei der Siebten Sinfonie – versucht sein, die verschiedenen Gestalten singen zu wollen.

      Ein eigentümliches Notenbild ergäbe sich, beherrscht von immer »derselben« Figur, würde man für den ganzen Satz lediglich ihre rhythmische Gestalt notieren; hier eine Stelle, wo sie zweimal von oben nach unten durch die Streichinstrumente wandert:

      Im ersten Satz von Beethovens Fünfter Sinfonie hat die Kraft des Rhythmischen den Hörer im Griff. Eigentlich ist es kaum zu glauben: Eine einzige rhythmische Idee, die für sich genommen noch nicht einmal originell ist, durchzieht und verklammert nahezu den ganzen Satz. Der Grundrhythmus der Anfangsidee ist das Bindeglied sämtlicher weiterer Fassungen: Identischer Rhythmus kann aus unterschiedlichen melodischen Verläufen das »Gleiche« machen.

      Eine Musikliebhaberin sagte einmal, beim zweiten Satz, dem Adagio [langsam], von Beethovens Fünftem Klavierkonzert bekomme sie Gänsehaut. Auf die Frage, was daran sie berühre, gab sie die so schlichte wie musikalisch treffende Antwort: »die Melodie, der Klang«. Melodie bringt Emotion, Rhythmus stimuliert. Sie können das an sich selbst überprüfen. Beethoven, Erstes Klavierkonzert: Hören Sie sich bitte den Anfang des langsamen zweiten Satzes an, der Largo [breit] überschrieben ist, und danach den Anfang des schnellen dritten Satzes, Allegro [schnell] scherzando [scherzend]. Beide Sätze werden vom Klavier allein eröffnet, jeweils mit einem Thema; zur Orientierung: das Thema des Largo ist zweiteilig, das Thema des Schlusssatzes dreiteilig. Zu vermuten ist, dass Sie instinktiv beim Largo innerlich mitsummen werden, auch wenn Sie das Thema noch gar nicht kennen, beim Allegro aber körperlich mitgehen; jeder kennt die Erfahrung, dass bei einer flotten Musik die Beine oder Hände zu zucken beginnen. Das getragene Largo ist Melodie, ist Empfindung, das schmissige Allegro ist Rhythmus, ist Bewegung. Der Einwand, das sei nicht weiter verwunderlich, da schon die Tempi grundverschieden seien, zählt nicht wirklich: Auch langsame Sätze können rhythmisch prägnant sein, so der Trauermarsch, Marcia funebre, aus Beethovens Klaviersonate As-Dur op. 26; auch schnelle Sätze können melodisch fesseln, so Rossinis sprühende Opernouvertüren. Von Beethovens Largo behalten Sie die Melodie, vom Allegro wird der Rhythmus in Ihnen weiterpochen.

      Rhythmus ist jene Eigenschaft von Musik, die physisch unmittelbar packt. Filmmusik unterstützt damit die Handlung und die Wirkung der Bilder, so die Musik von John Powell zu den Action-Filmen um Jason Bourne oder John Barrys Musik zu James-Bond-Filmen. Umso ungewöhnlicher ist dieser Einfall: Wer Wolfgang Petersens Film Troja (2004) gesehen hat, hat vielleicht einen Kunstgriff des Komponisten James Horner bemerkt: Dem entscheidenden Kampf zwischen Hektor und Achill unterlegt Horner keine Musik, sondern bloße Rhythmen. Der – dadurch im Zuschauer aufgeputschte – Kampf dauert lang: zweieinhalb Filmminuten. Die Wirkung ist genau kalkuliert: Schlagartig in dem Moment, in dem Hektor getroffen wird, setzt die Gesangsstimme ein.

      Rhythmus ist eine Urkraft von Musik. »Am Anfang war der Rhythmus«, behauptete der Dirigent Hans von Bülow (1830–1894), in gewagter Abwandlung des theologischen Satzes aus dem Johannes-Evangelium: »Im Anfang war das Wort.« Und Eduard Hanslick definierte in seiner Schrift Vom Musikalisch-Schönen (1854) das »Wesen« von Musik »im Großen« wie »im Kleinen« als »Rhythmus«. Beide Äußerungen lassen sich infrage stellen: »Am Anfang« von Musik kann auch der menschliche Gesang gestanden haben, und nicht jede Musik ist gekennzeichnet durch einen »Rhythmus im Großen«, den Hanslick als »die Übereinstimmung eines symmetrischen Baus« versteht. Aber die Äußerungen fassen zugespitzt den elementaren Rang von »Rhythmus«.

      Vom Rhythmus sind der Takt und das Metrum zu unterscheiden. An den ersten 16 Takten von Johann Strauß’ berühmtem Walzer An der schönen blauen Donau – zu dem kein Geringerer als Johannes Brahms schrieb: »leider nicht von mir« – seien alle dazu gehörigen Sachverhalte demonstriert:

      Ein Takt, angezeigt durch Taktstriche, ist eine Maßeinheit für Notenwerte. Ihre Menge hängt


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