Die Katholizität der Kirche. Dominik Schultheis

Die Katholizität der Kirche - Dominik Schultheis


Скачать книгу
in der Kirche verabschiedet. Dieses Papier verwendet achtmal das Adjektiv „catholicus“ (vgl. CD 5; 10,1; 11,1 und Fußnote 1 in CD 11,2; 17,2; 22,2; Fußnote 16 in CD 23,6; 35,7). In seiner Kommentierung bleibt das Dekret dem Problem ausgesetzt, dass das Bischofsamt sowohl in den Beratungen während des Konzils als auch in seinen verabschiedeten Dokumenten eine doppelte Behandlung erfuhr, aus der keine Synthese hervorging: einerseits in der dogmatischen Kirchenkonstitution (LG), andererseits in dem von Anfang an als deren „Ausführungsbestimmung“ gedachten und bis zuletzt als solche betrachteten Dekret über das Hirtenamt der Bischöfe in der Kirche (CD).325

      Die Artikel 4–7 behandeln die universalkirchliche Verantwortung aller Bischöfe, welche den Bischöfen als Nachfolger der Apostel in ihrer Zugehörigkeit zum Bischofskollegium und nie losgelöst von dessen Haupt, dem Bischof von Rom, als suprema ac plena potestas (vgl. LG 22,2) zukommt. CD 5, in dem das Adjektiv „catholica“ zur Bezeichnung des „ganzen katholischen Episkopats“ („totius catholici Episcopatus“) Verwendung findet, widmet sich dem neu eingerichteten Gremium der Bischofssynode, das seiner Idee nach dem Bischofskollegium – wie etwa die Kurie dem Papst – als Instrument dienen soll, um dessen „eigenständige“ Handlungsfähigkeit zu sichern. Faktisch ist die Bischofssynode „ein den Papst [lediglich] beratendes Gremium geblieben und [hat] sich nicht zum ‚subiectum supremae ac plenae potestatis in unsiversam Ecclesiam’ entwickelt. Nach wie vor fehlt dem Bischofskollegium neben dem Konzil ein weiteres praktikables Organ.“326 Die Tatsache, dass mit der Bischofssynode faktisch kein ständiges Gremium zur Wahrung der „eigenständigen“ Handlungsfähigkeit des Bischofskollegiums mit eigener Entscheidungskompetenz geschaffen werden konnte327, sondern ihm lediglich eine für den Römischen Bischof beratende Funktion zukommt328, mag allein schon darin begründet liegen, dass das Kollegium nie ohne, sondern stets nur mit seinem Haupt Kollegium ist und als solches zwar Subjekt derselben „suprema potestas“ wie die des Papstes ist, diese Vollmacht aber nie unabhängig von ihm ausüben kann, sondern immer nur in Abhängigkeit von der „Zustimmung des Bischofs von Rom“ (LG 22,2).329 Diese offenkundige Problematik wird uns an späterer Stelle dieser Untersuchung noch einmal beschäftigen.

      Für unsere Analyse bleibt an dieser Stelle festzuhalten, dass das „catholica“ in CD 5 – ähnlich den Belegstellen im Dekret über die katholischen Ostkirchen – nicht als „enge“ Denominationsbezeichnung im Sinne von „römisch-katholisch“ zu lesen ist. Da im Bischofskollegium ja auch diejenigen Bischöfe und Patriarchen vertreten sind, die die mit Rom unierten Kirchen des Ostens repräsentieren, kommt dem Begriff „katholisch“ hier eine „weitere“ konfessionelle Bedeutung zu, so dass hier wie schon in OE die „Enge“ des bloß „Römisch-Katholischen“ in der „Weite“ der Katholizität der „katholischen“ Kirche aufgeht bzw. durch diese aufgebrochen wird.

      In Artikel 10 des Dekrets werden die päpstlichen Legaten und die kurialen Organe der „katholischen Kirche“ („catholicae Ecclesiae“, CD 10,1) in den Blick genommen. Wenn das Adjektiv „catholica“ an dieser Stelle zwar zur Bezeichnung der Konfession „(römisch-)katholisch“ Eingang in den Text gefunden haben dürfte, so haftet dem Wort „catholica“ – vor allem im Kontext der Forderung, die Nuntiaturen und die Kurie internationaler („ex diversis Ecclesiae regionibus magis“) zu besetzen – doch ein „weiterer“ Sinn im Sinne der quantitativen Katholizität an, wird sich doch mit Blick auf die kurialen Einrichtungen der „katholischen“ Kirche für eine „weltweite Prägung“330 derselben eingesetzt, da sie schließlich „zum Wohl der gesamten Kirche eingesetzt“ (UR 10,1) seien. Bausenhart merkt diesbezüglich kritisch an:

      „Bischöfe, zumal Diözesanbischöfe, sollten Mitglieder kurialer Institutionen werden, damit sie dem Papst umfassenderen Einblick in die Vielfalt der Ortskirchen geben könnten (CD 10,2). Die angeregte und dann auch umgesetzte Internationalisierung der Kurialen bringt gewiss ein breiteres Spektrum von Stimmen und Perspektiven in Rom zur Geltung, macht die dortige Kurie darum aber nicht schon zu einem Organ der Weltkirche.“331

      Beginnend mit CD 11, einer weiteren Belegstelle des Adjektivs „catholica“, richtet das Dekret den Blick in den folgenden Artikeln auf das Verhältnis zwischen einzelnem Diözesanbischof und seiner Ortskirche bzw. Diözese.332 CD 11 definiert die Diözese als „Teil des Volkes Gottes“, als einen personalen Zusammenschluss von Christen also, der dem Diözesanbischof und dessen Presbyterium „zu weiden anvertraut wird“ (UR 11,1). Diese personale Gemeinschaft von Christen wird, sofern ihrem „Hirten anhangend und von ihm durch das Evangelium und die Eucharistie im Heiligen Geist versammelt“ (UR 11,1), in qualitativer Weise als Ortskirche bezeichnet, „in der die eine heilige katholische und apostolische Kirche Christi wahrhaft innewohnt und wirkt.“ (UR 11,1) Wie schon LG 26,1 den Ortskirchen ein wahres Kirchesein attestierte, so wiederholt CD 11 das Verständnis der Ortskirche als Konkretion der einen Kirche Jesu Christi, die dies aber nur als Eucharistie feiernde Gemeinschaft (Communio) in Verbindung mit ihrem Bischof ist, der wiederum in Communio mit allen Bischöfen unter dem einenden Haupt des Bischofs von Rom steht. Dem Adjektiv „catholica“ eignet hier zunächst der qualitative Sinn, wenn die Fülle der wahren Kirche Jesu Christi zum Ausdruck gebracht werden soll, die ihr von Christus her zukommt; der quantitative Sinn der „Weite“ ist zugleich mit ausgesagt, ist diese doch die Konsequenz einer Fülle, die sich äußern will: Die eine Kirche Jesu Christi subsistiert in der katholischen Kirche, die wiederum konkret wird in den vielen Eucharistie feiernden und um ihren jeweiligen Bischof versammelten Gemeinden vor Ort.

      In CD 17 wird das Adjektiv „catholica“ im konfessionellen Sinne zur Bezeichnung der sogenannten „katholischen Aktion“ („Actionem Catholicam“, CD 17,2) gebraucht, einer aus dem italienischen Laienkatholizismus des 19. Jahrhunderts hervorgegangenen Laienbewegung der (römisch-)katholischen Kirche, die im Laienapostolat die Möglichkeit einer wesentlichen Mitgestaltung von Kirche und Gesellschaft sah.

      In CD 22 wird eine mögliche Umstrukturierung und territoriale Neuausrichtung einzelner Diözesen angesprochen, die – unter Rücksicht der pastoralen Gegebenheiten und Notwendigkeiten – dort verändert werden sollen, wo Diözesen entweder zu groß oder zu klein sind. Dies, so das Dekret, werde nicht nur den Klerikern und Gläubigen vor Ort, sondern auch „der ganzen katholische Kirche“ („totius catholicae Ecclesiae“, CD 22,2) nützen. Das Adjektiv „catholica“ dürfte hier im rein konfessionellen Sinne Verwendung gefunden haben. Da der Dekrettext ausdrücklich die quantitative Weite der (römisch-)katholischen Kirche in den Blick nimmt, wenn er betont, dass eine Reorganisation ortskirchlicher Strukturen der „ganzen“ („totius“, CD 22,2) katholischen Kirche zugute kommt, haftet dem „catholica“ hier, wenn auch so von den Autoren sicher nicht intendiert, neben der Denominationsbezeichnung indirekt auch die Bezeichnung jener quantitativen Weite der Katholizität an, die in dem für das katholische Selbstverständnis von Kirche wesentlichen wechselseitigen Verhältnis von Universal- und Ortskirche (Communio-Ekklesiologie) zum Tragen kommt: Kirche konkretisiert ihre qualitative Fülle (intensive Katholizität) in der Ganzheit ihrer quantitativen Weite (extensive Katholizität), d.h. Kirche kann nie nur Orts- oder Nationalkirche sein, sondern ist notwendig immer schon Universal- bzw. Weltkirche, die ihrerseits in und aus Ortskirchen besteht. Anders ausgedrückt: Kirchesein drängt aufgrund der in ihr verdichteten Fülle und Wahrheit immer schon auf eine nach außen gerichtete Weite (extensive Katholizität), die aber nicht Zerstreuung oder Vereinzelung meint, sondern „ganze“ Weite, Einheit in Fülle. Daher kann das Dekret sagen, dass ortskirchliche Veränderungen immer auch einen weltkirchlichen Bezug haben. Im Umkehrschluss muss aber zugleich gesagt werden, dass die Katholizität der Kirche hier kein Einbahnstraßendenken duldet: Ortskirchliche Belange und Strukturen sind notwendig nicht nur auf die Gesamtkirche verwiesen, sondern umgekehrt gilt auch, dass die Gesamtkirche das eigenständige Kirchesein der Ortskirchen niemals erdrücken darf. Das Ganze der Weite von Kirche, ihre Universalität, darf nicht verwechselt werden mit Enge und Uniformität. Auf dieses schwierige Verhältnis von Orts- und Gesamtkirche, auf die Frage, wie viel Einheit Kirche braucht und wie viel Vielheit sie haben darf, wird später noch einzugehen sein.

      Die letzte Belegstelle des Adjektivs „catholica“ im Haupttext des Dekrets über das Hirtenamt der Bischöfe in der Kirche findet sich in CD 35. Hier wird das Adjektiv „catholica“


Скачать книгу