Die Katholizität der Kirche. Dominik Schultheis

Die Katholizität der Kirche - Dominik Schultheis


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Kirche verwendet („Ecclesia catholica“ einmal in UR 19,1 und zweimal in UR 19,3), richten die Konzilsväter den Blick auf das ökumenische Verhältnis zwischen (römisch-)katholischer Kirche und den von ihr getrennten westlichen Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften (vgl. UR 19–23). Dieser seit dem Konzil üblichen Unterscheidung zwischen „Kirchen“ und „kirchlichen Gemeinschaften“ sei an dieser Stelle kurz nachgegangen, da sie auf dem Konzil selbst und spätestens seit „Dominus Iesus“ und dem Schreiben der Glaubenskongregation zu Aspekten bezüglich der Lehre über die Kirche auch in unserer Zeit erheblich für Diskussion gesorgt hat und insoweit den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit tangiert, als nämlich die Frage erhoben werden kann, ob denn ein qualitatives Verständnis der Katholizität diese terminologische Unterscheidung überhaupt rechtfertigt.

      Bereits UR 3 hatte die für das Ökumenismusdekret typische Sichtweise deutlich gemacht, dass „in dieser einen und einzigen Kirche Gottes […] schon manche Spaltungen aufgekommen […][und] in den späteren Jahrhunderten […] ausgedehntere Meinungsverschiedenheiten entstanden [seien], […][weshalb] sich nicht unbedeutende Gemeinschaften von der vollen Gemeinschaft der katholischen Kirche“ getrennt hätten (UR 3,1). Das Dekret macht auf der Grundlage der in Lumen Gentium dargelegten Lehre deutlich, dass nicht von einem Auseinanderfallen der einen Kirche Jesu Christi in mehrere Einzelkirchen zu sprechen sei, was zur logischen Konsequenz das Ende der einen Existenzform der Kirche Jesu Christi hätte, sondern dass sich vielmehr große christliche Gemeinschaften von der (römisch-)katholischen Kirche abgespaltet hätten, in der – nach ihrem eigenen Verständnis – einzig und bleibend die eine Kirche Jesu Christi voll verwirklicht sei („subsisti in“, vgl. LG 8), d.h. in der die eine Kirche Jesu Christi trotz der Abspaltungen ihre volle, eine konkrete Existenzform habe. Das Dekret qualifiziert nun, ausgehend von der Vollständigkeit bzw. Unvollständigkeit vorhandener kirchlicher „Elemente“313 (vgl. LG 8,2; 15; UR 3,2), die von der (römisch-)katholischen Kirche getrennten Christen als „Kirchen“ („Ecclesiae“, hierunter fällt etwa die Altkatholische oder die Anglikanische Kirche) oder „kirchliche Gemeinschaften“ („Communitates ecclesiales“, hierunter sind die aus der Reformation hervorgegangenen Protestanten zu zählen). Schon die Kirchenkonstitution verwendet diese, ein gewisses qualitatives Gefälle suggerierende Doppelbezeichnung, wenngleich Lumen Gentium statt von „Communitates ecclesiales “ (wie etwa in der Überschrift von UR 19 oder in UR 19,1) von „Communitates ecclesiasticae“ (LG 15) spricht.314 Die von Kardinal König315 in die Konzilsberatungen eingebrachte Doppelbezeichnung entfachte unter den Konzilsvätern heftige Diskussionen.316 Während einzelne Kardinäle versuchten, die Bezeichnung „Ecclesia“ nur für die Ostkirchen oder gar einzig für die (römisch-)katholische Kirche geltend zu machen („una est Ecclesia, i.e. Catholica“) – diese Modi wurden vom Einheitssekretariat deutlich zurückgewiesen317 – erhoben andere Kardinäle den Einwand, die Terminologie sei, weil sachgemäße, lehrmäßige Definitionen fehlten, zu unpräzise. Andere hielten den Terminus „Gemeinschaft“ für zu profan, und wieder eine Gruppe von Bischöfen insistierte, ob denn nicht alle von Rom getrennten christlichen Glaubensgemeinschaften gleichermaßen als „Ecclesiae“ etwa im Sinne von Partikular-, Teil- oder Schwesterkirchen bezeichnet werden könnten oder als „Kirchen eines anderen Typs“318. Darüber, ob der Terminus „Ecclesia“ theologisch korrekt auch dann angewandt werden könne, wenn die apostolische Sukzession des Bischofsamtes nicht oder nicht sicher gegeben sei und nur einige der Sakramente gültig erhalten seien, gingen – so Feiner – indes die Meinungen auseinander.319

      Das Einheitssekretariat lehnte alle Modi ab und blieb bei der terminologischen Unterscheidung. Als Begründung verwies es auf die Ausführungen zur Terminologie in der Relatio zum ersten Schema.320 Hier aber – und darauf sei besonders auch im Rahmen dieser Untersuchung hingewiesen – sprach das Sekretariat den kirchlichen Gemeinschaften keineswegs ihren ekklesialen Charakter ab, sondern betonte diesen vielmehr, wenn es nämlich unter Berufung auf die Relatio in Erinnerung rief, dass in den kirchlichen Gemeinschaften die Kirche Jesu Christi quasi wie in Teilkirchen anwesend und durch vermittelnde ekklesiale Elemente auf irgendeine Weise wirksam sei:

      „In his Coetibus unica Christi Ecclesia, quasi tamquam in Ecclesiis particularibus, quamvis imperfecte, praesens et mediantibus elementis ecclesiasticis aliquo modo actuosa est.“321

      Diese Begründung, die das „subsistit in“ in LG 8 vor jeder falschen, verabsolutieren wollenden Interpretation im Sinne eines „est“ bewahrt, erscheint auch aus dem Blickwinkel unserer Untersuchung insoweit als schlüssig, als dass alle christlichen Gemeinschaften – seien sie explizit „Kirche“ genannt oder als „kirchliche Gemeinschaft“ bezeichnet – grundsätzlich den Glanz der Kirche Jesu Christus, wenn auch in gebrochener Weise, widerspiegeln und folglich die von Christus herkommende Fülle in sich tragen. In diesem Kontext muss freilich darauf hingewiesen werden, dass, unabhängig von der der (römisch-)katholischen Kirche eigenen Terminologie, manche aus der Reformation hervorgegangenen christlichen Gemeinschaften gar nicht wünschen, dass man sie als „Kirche“ im (römisch-)katholischen Sinne bezeichnet.322

      Als Zwischennotiz bleibt festzuhalten, dass das Konzil mit dem vorliegenden Artikel und dem verabschiedeten Ökumenismusdekret insgesamt – anders noch als das erste Schema – die wesentlichen kirchentrennenden Differenzen „nicht in der Ekklesiologie, sondern ‚in der Auslegung der geoffenbarten Wahrheit’ […] lokalisiert“323 und „das Gemeinsame und das Schätzenswerte hervorzuheben“324 versucht, ohne bestehende Unstimmigkeiten zu verschweigen.

      Artikel 20 gebraucht einmal das Adjektiv „catholica“ zur Bezeichnung der (römisch-)katholischen Kirche („catholicae Ecclesiae“), wiederum im konfessionellen Sinne, wohl aber in ungewohnter Satzstellung („doctrina catholicae Ecclesiae“ statt „doctrina Ecclesiae catholicae“).

      Auch im nächsten Artikel 21 findet man das Adjektiv „catholica“ im konfessionellen Wortsinn verwendet, wenn vom „katholischen Glauben“ („fidem catholicam“, UR 12,3) die Rede ist.

      Wenn Artikel 23 den Katholiken („Catholici“, UR 23,3) im Unterschied zu anderen Christen eine andere sittliche Auslegung der Frohen Botschaft Jesu attestiert und damit Unterschiede im Bereich der Ethik benennt, so gebraucht das Ökumenismusdekret das Substantiv „Catholici“ im konfessionellen Sinne zur Bezeichnung der Katholiken im Sinne der Konfession „(römisch-)katholisch“.

      Mit Artikel 24 endet das Ökumenismusdekret, und dreimal findet das Adjektiv „catholica“ in diesem Schlussartikel Verwendung: zweimal im konfessionellen Sinn zur Bezeichnung der (römisch-)katholischen Kirche („Ecclesia catholica“ in UR 24,1 und UR 24,2) und einmal im ausdrücklich wörtlichen, d.h. qualitativen Sinn („catholica“ in UR 24,1), zur Zielbeschreibung dessen, was einen ökumenischen Dialogs für die Zukunft auszeichnen soll. Dieser kann in seiner Ausrichtung nämlich nur „im vollen und ehrlichen Sinn katholisch“ (UR 24,1) sein, will er dem „wahren Fortschritt der Einheit“ (UR 24,1) auch wirklich dienen. Das meint weder ein Überbordwerfen eigener Glaubensgrundsätze und Überzeugungen mit dem Ziel eines größtmöglichen Konsenses noch ein Verschanzen hinter die Mauern der eigenen Lehre und Tradition. Vielmehr appellieren die Konzilsväter an die Verwirklichung einer echten Katholizität im Sinne einer legitimen Vielfalt unter gleichzeitiger Wahrung des für die (römisch-)katholische Kirche wesentlichen apostolischen Ursprungs, ihrer katholischen Tradition sowie ihrer kirchlichen Sendung. Aufrichtige Ökumene kann es aus Sicht der (römisch-)katholischen Kirche nur dann geben, wenn sie einerseits „der Wahrheit treu [ist], die wir von den Aposteln und Vätern empfangen haben, und mit dem Glauben übereinstimmend, den die katholische Kirche immer bekannt hat“, andererseits „zugleich zur Fülle strebend, mit der der Herr will, dass im Verlauf der Zeiten sein Leib wachse“ (UR 24,2). Gerade die letzten Worte mahnen die (römisch-)katholische Kirche, sich ihres Pilgerdaseins immer wieder neu bewusst zu werden (vgl. LG 8; UR 3f; UUS 34f. 38). Sie ist noch nicht am Ziel ist, sondern noch auf dem Weg, und kann die ihr eigene Katholizität in ihrer ganzen Fülle je mehr konkret verwirklichen, desto eher alle Christen mit Christus und untereinander im Sinne der Communio-Ekklesiologie eins sind.


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