Die Katholizität der Kirche. Dominik Schultheis

Die Katholizität der Kirche - Dominik Schultheis


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durch Jesus Christus gesprochen werden oder ist deren Ursprungsgeschehen nicht schon und alleine in Israel als dem wahren „Volk Gottes“ begründet und vorausbedeutet? Dies aber weitet den Fragehorizont unweigerlich aus und ruft eine weitere Frage auf den Plan: Wie viele „Bünde“ Gottes mit den Menschen gibt es nach Christi Tod und Auferstehung überhaupt: einen oder zwei? Sind Juden und Christen Teile einer sich durchhaltenden Bundestradition, die von beiden in jeweils unterschiedlicher Weise angeeignet wird, also parallele Heilswege in ein und demselben Bund, oder muss von der Eigenart zweier Bundestraditionen ausgegangen werden, die in ihrer Diskontinuität beide für das volle Hervortreten der Gottesherrschaft von entscheidender Bedeutung sind?

      Eine wie auch immer ausfallende Beantwortung dieser Fragen wird Auswirkungen auf unseren Untersuchungsgegenstand dergestalt haben, dass sie die Überlegung evoziert, ob die Katholizität der Kirche alleine und vornehmlich im Christusereignis gründet oder ob sie sich auch aus der Heilssendung des Volkes Israels ableitet, zu dem Gott zuerst gesprochen hat, was wiederum zur Folge hätte, dass Israel bzw. dem Judentum als nichtchristlicher Religion eine eigene Katholizität zuzusprechen wäre. Oder anders gefragt: Sind die christlichen Kirchen – bei aller Verwiesenheit auf das wahre Volk Israel – unabhängig von diesem „katholisch“, oder ist die Kirche – zumindest in anthropologischer und schöpfungstheologischer Hinsicht – „katholisch“ durch und aufgrund ihrer Verwiesenheit auf das Volk Israel hin, das ja nicht nur Ursprung und Vorausbild der Kirche ist, sondern ihre bleibende Wurzel, der Ölbaum, auf den sie aufgepfropft und dem die Christenheit eingepflanzt (vgl. Röm 11,16–24) wird? Diese Fragestellung erlaubt zumindest, über die Möglichkeit nachzudenken, ob die Qualifizierung des Verhältnisses von Altem und Neuem Bund nicht auch das Verständnis der Katholizität der Kirche einerseits und ihr Verhältnis zu Israel und dem Judentum andererseits differenzierter zu beschreiben vermag.432

      Um mögliche Antworten auf diese Frage zu erhalten, sollen nachfolgend der semantische und exegetische Befund zum Bundesbegriff und die daraus ableitbaren Bundestheologien sowohl im Alten als auch im Neuen Testament kurz umrissen werden. Auf eine breite, alle Teilaspekte berücksichtigende Darstellung muss im Rahmen dieser Untersuchung verzichtet werden.433

       3.1Die Bedeutung des alttestamentlichen Begriffs berît und die alttestamentlichen Bundestheologien

      Der in der Regel mit „Bund“ übersetzte hebräische Begriff berît wurde zwar erst spät zu einem zentralen theologischen Terminus innerhalb der hebräischen Bibel, doch die mit diesem Begriff bezeichnete Wirklichkeit kennzeichnet das heilsgeschichtliche Wirken Gottes von Anfang an. Nähert man sich der Bedeutung der Bundesmetapher einerseits und den von ihr ableitbaren Bundestheologien andererseits, so bleibt man der unausweichlichen Aufgabe verpflichtet, die Semantik des Begriffs berît unter Beachtung seiner unterschiedlichen Referenzen so zu beschreiben, dass die Mehrdeutigkeit des Begriffes berît erhalten bleibt und die durch deren Nivellierung forschungsgeschichtlich aufgetretenen Engführungen überwunden werden.

      Zweihundertsiebenundachtzig Mal ist das – ausschließlich im Singular verwendete434 – hebräische Wort berît im Alten Testament belegt. Neben mehreren etymologischen Ableitungen scheint die wahrscheinlichste jene von akkad. „biritu“ („Band“, „Fessel“) zu sein.435 Kutsch wendet sich – bestätigt durch Lothar Perlitt – gegen die Vorstellung eines gegenseitigen Bundes zwischen zwei gleichberechtigten Partnern und betont die „einseitige Setzung […] [und damit einen] nicht wechselseitige[…][n] Bund“436. berît ist zunächst der von JWHW gestiftete Bund, eine Verfügung oder Stiftung, die sodann zur Verpflichtung der sie betreffenden Adressaten wird. Perlitt arbeitet – in Anlehnung an Wellhausen – in seinen Studien berît als spätes deuteronomisch-deuteronomistisches Theologumenon im Kampf Israels gegen die fremden Götter (JHWH-Monolatrie) und seine religiösen sowie kultischen Überfremdung heraus.437 Damit siedelte er die berît-Theologie im 7. Jahrhundert an als theologischpolitisch motiviertes Instrumentarium zur Abwehr fremder Götter. Ein solches Verständnis der berît jedoch hat – wie Ex 34,14 zeigt – Auswirkungen auf die Bundestheologie des AT als solcher und der damit intendierten JHWH-Exklusivität insgesamt. Ernst Kutsch und James Barr bemühen sich im Fortgang ihrer exegetischen Studien zur berît um eine präzisere Klärung des semantischen Befundes; Norbert Lohfink und Georg Braulik widemn sich mittels Vergleiche der dtr. Bundeskonzeption mit dem neuassyrischen Vertragswesen indes einer differenzierten Erfassung der Bundeskonzeption.438 Breward S. Childs, Norbert Lohfink und Erich Zenger schließlich treiben eine Präzisierung der kanonischen Qualitäten des Bundesbegriffs unter gleichzeitiger Berücksichtigung des jüdisch-christlichen Dialogs voran.439

      All diese Bemühungen konnten bis in die Gegenwart zu keiner einheitlichen semantischen und damit eindeutigen theologischen Klärung des Begriffs berît beitragen. So lassen sich im Alten Testament denn auch mehrere Bedeutungsebenen des Begriffes berît ausfindig machen.

      Vor aller Theologisierung kennzeichnet der Begriff „Bund“ im AT zunächst zwischenmenschliche, auf der Rechtskultur des alten Orients fußende Verträge (vgl. z.B. Gen 21,27; 26,28; 31,33; Jos 9,6–15; 2 Sam 3,12f.; 1 Kön 15,19) sowie innenpolitische Bündnisse zwischen König und Volk (vgl. 2 Sam 3,21; 5,3; 2 Kön 11,4.17; Hos 10,4); auch Freundschaften werden mittels der Bundesmetapher bekräftigt (vgl. 1 Sam 18,3).440 Wie im Alten Orient üblich, wurden innen- wie außenpolitische Verträge stets unter Einbeziehung JHWHs geschlossen, so dass man in der Bezugnahme auf JWHW als Garanten für eine Abmachung von einer Vorstufe der Theologisierung zwischenmenschlicher Verträge sprechen kann (vgl. Gen 26,28.31; 31,50); folgerichtig bezeichnet der Prophet Hosea den zwischenmenschlichen Wortbruch als einen Treubruch auch gegenüber JHWH (vgl. Hos 6,7; 10,4; 12,2). In vielfältiger Weise entwickelt sich später die Bundesmetapher zu einer theologischen Beschreibung der Beziehung zwischen JHWH und Israel im Sinne von „Deutungsmuster[n] für das einheitsstiftende Moment atl. Religionsgesch[…][ichte], für die zunächst selbstverständliche und erst in der Krise reflektierte Zusammengehörigkeit des Nationalgottes Jahwe mit Israel […]. Damit tritt der ursprünglich aus dem Vertragsdenken übernommene Begriff in einen neuen Verstehenshorizont.“441

      Eine erste ausgearbeitete, das Verhältnis zwischen JHWH und seinem Volk exklusiv kennzeichnende Bundestheologie lässt sich im Pentateuch im Bereich des Jerusalemer Geschichtswerks (JG) erkennen. In Gen 15,7–21 schließt JHWH mit Abraham einen Bund, der sich als Selbstverpflichtung JHWHs in Form einer eidlich zugesicherten Landschenkung an Abrahams Nachfahren erweist, ohne dass Abraham – von der Verpflichtung zur Beschneidung abgesehen – eine Gegenleistung erbringen muss. Auch die komplexe Sinaiperikope (Ex 19–34), welche von drei Bundesschlüssen (Ex 24,3–8; 34,10; 34,11–27) berichtet, spricht im ersten Bund (Ex 34,10) von einem Selbstverpflichtungs- bzw. Verheißungsbund JHWHs gegenüber Mose bzw. dem Volk Israel, ohne dass dieses zu etwas verpflichtet wird. Dieser Verheißungsbund wird in Ex 34,11–27 in einen Verpflichtungsbund umgedeutet bzw. ausgeweitet, der das Privileg der exklusiven Bindung Israels an JHWH an ein JHWH-gemäßes Verhalten sowie an das Einhalten bestimmter kultischer Vorschriften knüpft. Die verbindliche Zusage JHWHs einerseits wie der Gesetzesgehorsam des Volkes andererseits und dessen freie Zustimmung zu den vertraglichen Abmachungen, die in Ex 34,11–27 zutage treten, kennzeichnen auch den Sichem-Bund in Jos 24: Das Volk wird zur vollkommenen Treue gegenüber JHWH aufgerufen, die sich in der exklusiven Bindung an JWHW einerseits und im Gesetz und den Rechtsvorschriften andererseits konkretisiert. In der Verbindung zwischen dem alten Privilegrecht und der Verpflichtung auf das Gesetz werden die Weichen für den Ausbau zur Sinai-Tora gestellt.442

      Das Deuteronomium443 baut – unter möglichem Rückgriff auf Vasallenverträge und Vertragszeremonien der Hetiter und Assyrer444 – die im JG entwickelte Bundesvorstellung zur zentralen Kategorie aus; hierbei tritt die Bundesformel („JHWH – Israels Gott, Israel – JHWHs Volk“) stärker in den Vordergrund. Zwei Bundesschlüsse legt das Deuteronomium vor, nämlich


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