Volk Gottes. Georg Bergner

Volk Gottes - Georg Bergner


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für das Bestehen und das Leben des Gottesvolkes deutlich. Die weiteren Artikel des Kapitels befassen sich mit dem übernatürlichen Glaubenssinn des gesamten Volkes und seinen in ihm vorhandenen Gnadengaben (LG 12), der Einheit und Katholizität der Kirche (LG 13) und den unterschiedlichen Graden der Zugehörigkeit bzw. Hinordnung der Menschen auf das Gottesvolk (katholische Christen, Nicht-Katholiken, Angehörige anderer Religionen, Menschen guten Willens)(LG 14–16). Das Kapitel schließt mit einem Artikel über den missionarischen Auftrag der Kirche (LG 17).

      Das dritte Kapitel über die hierarchische Verfassung der Kirche, insbesondere das Bischofsamt, hält die in LG 9–12 grundgelegte Bestimmung der Einheit des ganzen Volkes bei innerer Differenzierung der Aufgaben und Ämter nicht konsequent durch.395 An mehreren Stellen ist von einem Gegenüber zwischen dem „Volk“ bzw. „Volk Gottes“ und seinen Hirten die Rede. „Volk“ wird hier synonym für „Laien“ verwendet.396 Zudem bemühen einzelne Artikel das Bild des „mystischen Leibes Christi“, um die Aufgabe des Dienstamtes innerhalb der Kirche zu beschreiben.397 In LG 26 ist eine Verbindung dieser Aspekte zu sehen. Zunächst werden im Sinne von LG 10 Gläubige und Bischöfe als „das von Gott gerufene neue Volk“ beschrieben. In der Feier der Eucharistie verdeutlicht sich dann die Einheit des „mystischen Leibes“. Im nächsten Abschnitt wird der Dienst der Bischöfe „für das Volk“, also die Laien, genannt (LG 26). In der Schilderung der Einsetzung der Apostel in LG 19 wird zudem die heilsgeschichtliche Analogie zur Zahl der Stämme Israels nicht erwähnt.398

      Das vierte Kapitel über die Laien steht als Ursprungsort für Kapitel II klar unter dem Leitwort „Volk Gottes“. Dies ist der Grundbegriff der kirchlichen Gemeinschaft (LG 30–33).399 So sagt das Konzil an einer markanten Stelle bezüglich der Berufung der Christen:

      „Eines ist also das auserwählte Volk Gottes: ‚Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe‘ (Eph 4,5); gemeinsam die Würde der Glieder aus ihrer Wiedergeburt in Christus, gemeinsam die Gnade der Kindschaft, gemeinsam die Berufung zur Vollkommenheit, eines ist das Heil, eine die Hoffnung und ungeteilt die Liebe.“ (LG 32)

      Das Kapitel V über die Berufung zur Heiligkeit in der Kirche beleuchtet, wie gesehen, Aspekte, die zu den Kapiteln I und II gehören und durchaus im Sinne des Konzils an dieser Stelle besser aufgehoben wären. Auch wenn es eine inhaltliche Verknüpfung gibt, wird das theologische Leitmotiv „Volk Gottes“ im Kapitel nur an einer einzigen Stelle erwähnt. An dieser wird auf den besonderen Dienst der Priester verwiesen (LG 41). In Kapitel V ist eher das Motiv der Kirche als Braut zu finden (LG 39, 41). In ähnlicher Weise lässt auch das Kapitel VI über die Ordensleute keine besondere Präferenz für den „Volk Gottes“-Begriff erkennen. In LG 43 ist die eschatologische Perspektive des pilgernden Gottesvolkes Ausgangspunkt, um die eschatologische Zeichenhaftigkeit des Lebens der Ordensleute zu betonen. In LG 45 begegnet „Volk Gottes“ wieder als Gegenüber zur kirchlichen Hierarchie.

      Eine Besonderheit stellt das siebte Kapitel „Der endzeitliche Charakter der pilgernden Kirche und ihre Einheit mit der himmlischen Kirche“ dar. Dieser spät in die Konstitution eingefügte und redaktionell bearbeitete Text folgt insgesamt eher einer vom Leitbild des „Leibes Christi“ geprägten Ekklesiologie.400 Die in LG 9 erwähnte Analogie zwischen dem Volk Israel auf dem Weg durch die Wüste und der pilgernden Kirche findet hier keine Aufnahme.401 Die pilgernde Kirche führt mit dem Beistand des Geistes die Gläubigen durch die Zeit. Diese wird eher pessimistisch als Zeit der Anfechtung, Prüfung und der Heimatlosigkeit gedeutet und hält dazu an, „die Waffenrüstung Gottes“402 zu tragen. In der jetzigen Zeit ist die zukünftig erwartete Herrlichkeit in der Gottes- und Nächstenliebe bereits erfahrbar (LG 49). Die Kirche steht in Gemeinschaft mit den Heiligen. Zeichenhaft verbinden sich in der Liturgie die himmlische und irdische Dimension der Kirche (LG 50).

      Anders als im siebten Kapitel wird das Bild des „wandernden Gottesvolkes“ im letzten Abschnitt des achten Kapitels über „Maria im Geheimnis Christi und seiner Kirche“ wieder aufgenommen (LG 68). Hier endet der eschatologische Ausblick auf die vollendete Gemeinschaft der Heiligen mit dem Bild des einen Gottesvolkes:

      „Alle Christgläubigen mögen inständig zur Mutter Gottes und Mutter der Menschen flehen, dass sie […] in Gemeinschaft mit allen Heiligen bei ihrem Sohn Fürbitte einlege, bis alle Völkerfamilien, mögen sie den christlichen Ehrennamen tragen oder ihren Erlöser noch nicht kennen, in Friede und Eintracht glückselig zum einen Gottesvolk versammelt werden, zur Ehre der heiligsten und ungeteilten Dreifaltigkeit.“ (LG 69)

      In der Übersicht lässt sich feststellen, dass der Terminus „Volk Gottes“ in der Kirchenkonstitution in dreifacher Weise gebraucht wird: 1. „Volk Gottes“ wird verwendet als heilsgeschichtlicher biblischer Begriff, der die Kontinuität von altem und neuem Bund zum Ausdruck bringt und die Kirche als pilgernde Gemeinschaft in der Zeit zwischen dem Christusereignis und Vollendung der Welt beschreibt.403 2. „Volk Gottes“ ist die Bezeichnung der Kirche als Gemeinschaft der Glaubenden, zu der alle Christen, unabhängig von ihrem spezifischen Auftrag als Laie, Kleriker oder Ordensangehöriger gehören.404 3. Es findet sich an einigen Stellen der Konstitution die im Ausgangsschema vorhandene Bezeichnung „Volk (Gottes)“ für die Laien.405 In dem teilweise ungleichmäßigen Hervortreten der „Volk Gottes“-Bestimmung lassen sich noch die verschiedenen Bearbeitungsschichten und Bearbeiter der einzelnen Kapitel erkennen. Zudem ist der Text als Endresultat unter Zeitdruck und mit Rücksichtnahme auf möglichst viele unterschiedliche Wünsche, Anfragen und Verbesserungsvorschläge erstellt worden.

      Die Einführung des Sakramentsbegriffs in die Kirchenkonstitution geht zu guten Teilen auf die Initiative deutschsprachiger Bischöfe und die Zuarbeit durch Karl Rahner und Otto Semmelroth u.a. am sog. „Deutschen Schema“ zurück. Wie gesehen406, versteht sich die Rede von der Kirche als „Sakrament“ dort als theologische Leitidee der gesamten in der Kirchenkonstitution dargelegten Ekklesiologie und findet ihren Platz daher in der Einleitung (zweites Schema), bzw. in LG 1:

      „Christus ist das Licht der Völker. Darum ist es der dringende Wunsch dieser im Heiligen Geist versammelten Heiligen Synode, alle Menschen durch seine Herrlichkeit, die auf dem Antlitz der Kirche widerscheint, zu erleuchten, indem sie das Evangelium allen Geschöpfen verkündet (vgl. Mk 16,15). Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit. Deshalb möchte sie das Thema der vorausgehenden Konzilien fortführen, ihr Wesen und ihre universale Sendung ihren Gläubigen und aller Welt eingehender erklären […].“ (LG 1)

      Die Konstitution nimmt den Begriff „Sakrament“ an drei weiteren Stellen auf. Zum einen wird er in LG 9, zu Beginn des II. Kapitels erwähnt:

      „Gott hat die Versammlung derer, die zu Christus als dem Urheber des Heils und dem Ursprung der Einheit und des Friedens glaubend aufschauen, als seine Kirche zusammengerufen und gestiftet, damit sie allen und jedem das sichtbare Sakrament dieser heilbringenden Einheit sei.“ (LG 9)

      Zum anderen wird zu Beginn von Kapitel VII über den endzeitlichen Charakter der pilgernden Kirche die Bestimmung der Kirche als „allumfassendes Heilssakrament“ bekräftigt (LG 48) und in Kapitel VIII noch einmal aufgenommen (LG 59).

      Um den Sakramentsbegriff hatte es im Laufe der Entstehung von LG verschiedene Auseinandersetzungen gegeben. So befürchteten zum einen die Vertreter der klassischen Schultheologie durch die Anwendung des Sakramentsbegriffs auf die Kirche einen Konflikt mit der Lehre des Trienter Konzils, das die Zahl der Sakramente auf sieben begrenzt hatte. Diese Vorbehalte haben dazu beigetragen, in LG 1 von der Kirche nur in analoger Weise als „Sakrament“ zu sprechen.407 Zum zweiten gibt es auch zwischen einzelnen Theologen der „neuen“ Schule durchaus Unterschiede in der Auslegung des Begriffs. Otto Semmelroth verwendet für die Kirche den Begriff „Ursakrament“ zur „Darstellung des Verhältnisses der erfahrbaren Kirche zu dem Heil, das uns Christus erworben und, um es uns immer neu zu schenken, mit der sichtbaren Kirche in eine bestimmte Verbindung gebracht hat.“408 Karl Rahner sieht im Begriff des „Ursakraments“ die Kirche als


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