Volk Gottes. Georg Bergner

Volk Gottes - Georg Bergner


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biblischen Bilder für die Kirche als metaphorische Annäherungen, um die enge Verbindung Gottes mit seiner Kirche bei gleichzeitiger Nicht-Identität von Gott und Kirche, bzw. Reich Gottes und Kirche auszusagen.410 Die Kirche als Sakrament zeigt die Verbindung von irdischer Realität (als gesellschaftliche Größe, im liturgischen Dienst und der Lehre) und ihre innere gnadenhafte Dimension im Heiligen Geist.411 Sie ist somit in ihrer geschichtlichen Dimension Zeichen für das gnadenhafte Heilshandeln Gottes und zugleich Werkzeug, um sein Werk auf der Erde weiterzuführen.412

      Der „Sakraments“-Begriff steht in enger Verbindung mit dem frühchristlichen „μυστήριον“ (Geheimnis). Hiermit ist, so Semmelroth413, das gemeint, was der Mensch aus eigener Erkenntniskraft nicht erfassen kann und ihm deswegen so lange geheimnishaft verborgen ist, bis es offenbar wird. Das Geheimnis Gottes bietet sich „in der Hülle menschlich erfahrbarer Wirklichkeit dar.“414 Die Ereignisse der Heilsgeschichte und in unüberbietbarer Weise das Christusgeschehen415 sind somit „μυστήριον“, geschichtliche Offenbarung und Manifestation des göttlichen Wirkens.416 Yves Congar versteht den Begriff in diesem heilsgeschichtlichen Sinn. So ist „μυστήριον“ für ihn in seiner ursprünglichen Bedeutung die geheime Entscheidung eines Königs, die er dem Volk gegenüber offenbar macht. In der Parallele hierzu wird der Begriff bezogen auf die Kirche zur Enthüllung des göttlichen Ratschlusses in der Geschichte.417 Mit Blick auf Kapitel I von „Lumen gentium“ wird man sagen können, dass sich das letztgenannte Grundverständnis von „Sakrament“ in der Kirchenkonstitution insgesamt durchgesetzt hat.418 Die Idee des „Ursakraments Kirche“ enthält die heilsgeschichtliche Dimension des „Mysteriums“, geht aber noch darüber hinaus. Sie verbindet das frühchristliche „Mysterium“ mit dem späteren gnadentheologischen Sakramentsverständnis und lässt somit Aussagen über das universale Gnadenhandeln Gottes auch jenseits der Kirche, die gestufte Zugehörigkeit zur Kirche und die Sakramente der Kirche zu.419 Das „Deutsche Schema“ leitet daher z.B. die Aussagen über die Mitgliedschaft in der Kirche vom „Heilszeichen“ Kirche ab.420 Im Suenens-Vorschlag zur Neuordnung des Stoffes der Kirchenkonstitution finden die diesbezüglichen Absätze (LG 14–16) in Kapitel II unter dem Leitwort „Volk Gottes“ ihren später endgültigen Platz. „Sakrament“ wird durch die vornehmliche Sichtweise als „μυστήριον / sacramentum“ in seiner Wirkung und Bedeutung abgeschwächt.

      Wenn die Kirche ihrem Wesen nach also „Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ ist, muss dieses Grundverständnis in der gesamten Kirchenkonstitution zu finden sein.421 Das „Deutsche Schema“ hatte das sakramentale Verständnis der Kirche aus den biblischen Bildern gewonnen.422 Somit sollte es sich in den biblischen Bildern der Kirche auch wiederfinden. Es gilt zu untersuchen, wie weit dies auch in der Kirchenkonstitution selber der Fall ist. Otto Semmelroth sieht die folgenden wesentlichen Aussagen zum Sakrament durch das Konzil gegeben423: 1. Die Kirche als Sakrament ist eine irdische Wirklichkeit, in der „die göttliche Wirklichkeit und Wirksamkeit verborgen und zugleich bezeichnet ist.“424 2. Die Kirche ist „Mysterium“ Gottes, indem sie Teil der heilsgeschichtlichen Sendung ist und diese bekannt macht. 3. Die Kirche als Sakrament hat eschatologischen Charakter, da ihre äußere und geschichtliche Dimension mit Blick auf die Vollendung vorläufig ist. 4. Die Kirche hat als Sakrament die Aufgabe der Sichtbarmachung des göttlichen Heilswillens und ist daher missionarisch. 5. Zudem ist die Kirche in ihrer gesellschaftlichen Dimension Ausdruck der Sammlung der Menschen durch Gott425 und verweist 6. neben der gesellschaftlichen Dimension auf das geistgewirkte innere Leben der Gläubigen und die geistgewirkten Charismen, mit denen Christus sein Leben der Kirche mitteilt.426

      Wendet man diese Kriterien auf die in „Lumen gentium“ am stärksten herausgestellten biblischen Bilder, „Volk Gottes“ und „Leib Christi“ an, zeigt sich in ihnen die vom Konzil benannte sakramentale Struktur der Kirche klar:

Grundaussagen zur Sakramentalität der Kirche„Leib Christi“ in LG 7 und 8„Volk Gottes“ in LG 9–13
1. Kirche als Sakrament(Verbindung der gnadenhaften göttlichen Wirklichkeit der Kirche und ihrer realen äußeren Erscheinung)„Der einzige Mittler Christus hat seine heilige Kirche, die Gemeinschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, hier auf Erden als sichtbares Gefüge verfasst und trägt sie als solches unablässig; so gießt er durch sie Wahrheit und Gnade auf alle aus […] Deshalb ist sie [die Kirche] in„Von Christus als Gemeinschaft des Lebens, der Liebe und der Wahrheit gestiftet, wird es [das Volk Gottes]von ihm auch als Werkzeug der Erlösung angenommen und als Licht der Welt und Salz der Erde in alle Welt gesandt. […] Gott hat die Versammlung derer, die zu Christus
einer nicht unbedeutenden Analogie dem Mysterium des fleischgewordenen Wortes ähnlich. Wie nämlich die angenommene Natur dem göttlichen Wort als lebendiges, ihm unlöslich geeintes Heilsorgan dient, so dient auf eine ganz ähnliche Weise das gesellschaftliche Gefüge der Kirche dem Geist Christi, der es belebt, zum Wachstum seines Leibes.“ (LG 8)als dem Urheber des Heils und dem Ursprung der Einheit und des Friedens glaubend aufschauen, als seine Kirche zusammengerufen und gestiftet, damit sie allen und jedem das sichtbare Sakrament dieser heilbringenden Einheit sei“ (LG 9)
2. Heilsgeschichtliche SendungErlösungswerk Christi (LG 7)Verweis auf die apostolische Zeit (LG 8)Israel als atl. VorbildMenschwerdung, Reich Gottes-Verkündigung und Erlösungswerk Christi, Stiftung des neuen Bundes (LG 9)
3. Eschatologischer Charakter„Die Kirche ‚schreitet zwischen den Verfolgungen der Welt und den Tröstungen Gottes auf ihrem Pilgerweg dahin‘ und verkündet das Kreuz und den Tod des Herrn, bis er wiederkommt (vgl. 1 Kor 11,26). Von der Kraft des auferstandenen Herrn aber wird sie gestärkt, um ihre Trübsale und Mühen, innere gleichermaßen wie äußere, durch Geduld und Liebe zu besiegen und sein Mysterium, wenn auch schattenhaft, so doch getreu in der Welt zu enthüllen, bis es am Ende im vollen Lichte offenbar werden wird.“ (LG 8)„Wie aber schon das Israel dem Fleische nach auf seiner Wüstenwanderung Kirche Gottes genannt wird (2 Esr 13,1; vgl. Num 20,4; Dtn 23,1ff), so wird auch das neue Israel, das auf der Suche nach der kommenden und bleibenden Stadt (vgl. Hebr 13,14) in der gegenwärtigen Weltzeit einherzieht, Kirche Christi genannt (vgl. Mt 16,18).“ (LG 9)
4. Missionarischer Auftrag der Kirche„Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfasst und geordnet, ist verwirklicht in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird. Das schließt nicht aus, dass außerhalb ihres Gefüges vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit zu finden sind, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen.“ Christus bedient sich des gesellschaftlichen Gefüges der Kirche zum stetigen Wachstum seines Leibes (LG 8).„Seine [des Volkes] Bestimmung endlich ist das Reich Gottes, das von Gott selbst auf Erden grundgelegt wurde, das sich weiter entfalten muss, bis es am Ende der Zeiten von ihm auch vollendet werde […] So ist denn dieses messianische Volk, obwohl es tatsächlich nicht alle Menschen umfasst und gar oft als kleine Herde erscheint, für das ganze Menschengeschlecht die unzerstörbare Keimzelle der Einheit, der Hoffnung und des Heils.“ (LG 9)„Zum neuen Gottesvolk werden alle Menschen gerufen. Darum muss dieses Volk eines […] bleiben und sich über die ganze Welt und durch alle Zeiten hin ausbreiten. (LG 13), s. auch LG 17
5. Gesellschaftliche Verfassung der Kirche„Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfasst und geordnet, ist verwirklicht in der katholischen Kirche, die vom Nachfolger Petri und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird“ (LG 8)So hat er sich aus Juden und Heiden ein Volk berufen, das nicht dem Fleische nach, sondern im Geiste zur Einheit zusammenwachsen und das neue Gottesvolk bilden sollte. Die an Christus glauben, werden nämlich […], schließlich gemacht zu „einem auserwählten Geschlecht, einem königlichen Priestertum …, einem heiligen Stamm, einem Volk der Erwerbung … Die einst ein Nicht-Volk waren, sind jetzt Gottes Volk“ (1 Petr 2,9–10).Gemeinsames und spezielles Priestertum als Ordnungsprinzip der gesellschaftlichen
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