Zwingli. Franz Rueb
der Panther und Löwe, die heiteren Brüder, und alsbald stürmen sie mächtig heran und drohen mit knirschenden Zähnen:
Schreckhafter Krieg sei dem Stiere gewiss, wenn er bleibe im Bündnis und er vom Hirten nicht lasse.
So steht es mit dem Stier jetzt – was machen?
Die Moral von der Geschichte: Man mische sich nicht in fremde Händel! Der Stier beziehungsweise Muni gehört auf seine Weide, er gehört weder dem französischen König noch dem Deutschen Kaiser, auch nicht dem Papst. Also bleibe im Lande und nähre dich redlich!
Da war ein Geissbock zur Stelle, der sprach zu sich selber die Worte:
«Wunder nimmt es mich nur, ob jetzt der Stier nicht – O Jammer! – Prügel bekommt.
Oder wird der Stab des Hirten ihn schirmen? Werden der Leu und der Panther die Treue sich halten gar lange? Wird der Gefleckte uns wieder beschenken? Dann hast du vom Hirten Zorn und Verachtung. Wohin du nur siehst, gespannt sind die Netze bloss noch die Waffe blutigen Krieges wird sie durchhauen.
Lasst mich in Frieden!
Ich grase den Grünklee, verschmähe die Gaben. Nehmt nur Geschenke – ihr werdet erfahren: das Leben verwahrlost!»
Der junge Zwingli hat nicht nur ein fundiertes Wissen über die Zusammenhänge der politischen Mächte, wie sie funktionieren, was ihre Interessen sind, und wie sie sich zur Schweiz verhalten. Er durchschaut die Hintergründe, die Winkelzüge, die «Bestechungen» durch Pensionen sowie die verborgenen politischen Lügen der grossen Herren, denen die Schweizer nicht nur einmal zum Opfer fielen. Er muss als Leutpriester in Glarus jede Möglichkeit ausgenutzt haben, zu Informationen sowie zu Geschichten zu kommen, sei es durch reisende Kaufleute, durch heimkehrende Reisläufer oder vor allem durch Teilnehmer an den Tagsatzungen. Es gab ja keine Bulletins, keine Zeitungen, keine Agenturen. Wer sich mit den Vorgängen und Problemen der Zeit auseinandersetzen wollte, der musste alles ausschöpfen, was ihm an mündlichen Berichten zur Verfügung stand.
Verblüffend ist ebenso, wie früh und engagiert Ulrich Zwingli sich mit dem Zustand seines Vaterlandes befasste, wie klar seine Haltung und Position zu den haarsträubenden Problemen des Landes sich geformt haben, obwohl er noch immer ein Anhänger des Papstes war und sich seine Katholizität noch in keiner Weise aufgeweicht hat. Die Tagsatzung hat mehrmals über die Jahre den Solddienst verboten, davon war der Papst aber immer ausgenommen, ohne dass sich Zwingli daran gestört hätte. Er gibt dem Hofhund in seinem vaterländischen Gedicht eine äusserst wichtige Rolle, der Hund nimmt die Rolle des Geistlichen ein, der wachsam ist, der bellt, wenn Gefahr in Sicht ist. Er hat also schon da, 26-jährig, vom Amt des Geistlichen eine Auffassung und Haltung, die es ihm verbietet, zu schweigen, sich zu ducken, sich zu verdrücken, wenn Verführer sich im Land ausbreiten. Dieser Mann ist schon ganz früh nicht nur ein äusserst kritischer Geist mit fundierter Bildung, er ist ein politischer Zeitgenosse, ein politischer Kopf, und es drängt ihn, die Vorgänge zu analysieren und seine Analyse seiner Umwelt mitzuteilen. Wir können davon ausgehen, dass er die Haltungen und Ansichten auch in seine Kanzelreden eingeflochten hat. Auffallend ist vor allem auch, dass in dem grossen Fabelgedicht nicht der geringste konfessionelle Ton oder Gedanke angeschlagen wird. Selbst in der Moral von der Geschichte am Ende kommt nichts Derartiges auf.
Doch Zwingli befasst sich zwei Jahre später, in einem grösseren Feldzugsbericht 1512, wieder mit der Reisläuferei der Eidgenossen in die Lombardei. Es ist nicht klar, ob das Dokument ein Erlebnisbericht ist, das heisst, die Zwingli-Forschung streitet, ob der Autor dabei war als Feldprediger oder ob er wiedergibt, was ihm erzählt wurde. Allerdings ist die Reportage so detailliert, so anschaulich und teilnehmend geschildert, dass kaum daran zu zweifeln ist, so kann nur ein Zeuge berichten.
Jedenfalls, der Papst hatte sich inzwischen mit Spanien und Venedig in der Heiligen Liga zusammengeschlossen, um nach wie vor die Franzosen aus Italien zu vertreiben. Der Bericht von Zwingli ist farbig, teils geradezu lustig. Eine grundlegende kritische Haltung im Geiste seiner Fabel ist hier kaum vorhanden, wohl weil der Verfasser die Taten seiner Eidgenossen im Interesse des Papstes begriff. Der Wortführer für die Sache Roms ist der Walliser Kardinal Schiner, der den Dienst am Christentum gegen den französischen König ins Zentrum rückte. Nach Schiner ging es um die Angelegenheiten der Kirche und um die Ordnung in Italien. Das war natürlich eine Verschleierung der politischen Realität.
Von Schiners umsichtigem politischen Interesse im Lande erzählt der Autor Emanuel Stickelberger: wie Kardinal Schiner Zwingli in Glarus besuchte, wie er vorher in der Wirtschaft die Bauern und Handwerker mit Bewunderung von Zwingli sprechen hörte, wie er ihn aufsuchte, im Garten bei einer Musikprobe aufstöberte, wie er dann ein abendliches intensives Gespräch unter Humanisten mit dem Landpfarrer führte, über die Kirche, über Gott und die Welt, über den Papst, die Franzosen und die Kronenfresser, die Glarner Pensionäre, über die griechischen und lateinischen Dichter und Philosophen. Der Papstfreund Schiner warb um den aussergewöhnlichen Geistlichen, wollte ihn für die päpstlichen Interessen gewinnen, als Werkzeug für die Pläne des Heiligen Stuhles in Rom.
Seit mehr als 100 Jahren waren die Eidgenossen auf der ganzen Linie siegreich, wo sie an einem Krieg teilnahmen. Sie galten in Europa als Musterkrieger. Der Zwingli-Biograf Oskar Farner spricht in diesem Fall von «Kriegs-Theologie in fragwürdigem Sinne». Denn der Glarner Kirchherr sei «völlig hineingerissen in das Kraftgefühl der Grossmachtpolitik, wie sie die Eidgenossen nunmehr eingeschlagen haben». Vergessen schienen das grosse kritische Gedicht über die Mächte in Europa und sein Aufruf nach Bescheidenheit der Eidgenossenschaft.
Natürlich, der Kurie war die Parteinahme des Glarner Kirchherrn hoch willkommen, sie belohnte den jungen Geistlichen mit einer päpstlichen Pension. Der Hauptmann des Glarner Haufens bot ihm in Pavia ein Landgut an, in welches er sich ein Jahr oder länger hätte zurückziehen können. Zwingli dachte aber nicht daran, sein Hirtenamt zu verlassen. Auch die Franzosen boten ihm ein Jahrgeld an, doch hat er es ausgeschlagen. Die päpstliche Pension schlug Zwingli erst 1520 definitiv aus, als er bereits in Zürich war.
Nun, Geschenke des Kaisers und des Papstes waren nach allgemeiner Sitte erlaubte ehrenvolle Auszeichnungen. Darum betrafen die Verbote von Pensionsgeldern nur solche von Fürsten. Zwingli selbst sagte darum 1526, er sei sein Leben lang von Pensionsgeldern unbefleckt geblieben, ausser von päpstlichen. Deswegen fühlte er sich nicht zur Entschuldigung ermahnt.
MARIGNANO
Eigenartig ist, dass nach dieser Vorgeschichte von Zwinglis Beschäftigung mit der eidgenössischen Politik ein so gewaltiges Ereignis wie die Schlacht von Marignano in seinem Leben kaum Erwähnung fand. War er nun als Feldprediger in Marignano dabei? Hat er seine Glarner Kämpfer tatsächlich begleitet? Es gibt von ihm keine persönliche Erwähnung dieses so wichtigen, ja schwerwiegenden Falles, es gibt keine Briefzeile darüber, jedenfalls ist keine erhalten. Nie geht Zwingli auf diese gigantische, schmählich verlorene Schlacht ein. Man muss doch annehmen, dass sie einem Teilnehmer, und sei er nur Beobachter gewesen, als traumatisches Erlebnis stets in Erinnerung geblieben ist. Oder war er gar nicht Beobachter der Schlacht?
Der französische König wollte Mailand zurückerobern, mit Schweizer Söldnern, und der Papst wollte es wieder befreien, auch mit Schweizer Söldnern. Mailand war eine Stadt, die 100 000 Einwohner zählte. Die einwohnerstärkste Stadt auf Schweizer Boden war damals Basel mit 10 000 Bewohnern.
Am 6. September 1515 kamen die Schweizer Truppen in Lonza an. Zwei Tage später predigte Zwingli seinen Glarner Landsleuten auf dem Marktplatz in Lonza kurz vor der vernichtenden Niederlage, ermahnte sie zur Einigkeit und zur Treue zum päpstlichen Bündnis. Es gibt einige Zeugen für Zwinglis Anwesenheit in Marignano. Doch von ihm selbst ist kein Wort aufzufinden.
Da die Tagsatzung, die damalige Zusammenkunft der führenden Männer der eidgenössichen Orte, das Söldnerproblem nie in den Griff bekam, war es möglich, dass im französischen Heer eine stattliche Zahl Schweizer Söldner gegen die eigenen Landsleute kämpfte. Dem jungen König Frankreichs mit Namen Franz gelang es, das eidgenössische Heer zu spalten. Er bot den Schweizern 700 000 Kronen, wenn sie ihm das Herzogtum Mailand überliessen. Daraufhin zogen rund 10 000 Mann aus Bern, Solothurn,