Zwingli. Franz Rueb

Zwingli - Franz Rueb


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lieber als ein sogenannter Komödient. Es ist die einzige und zudem gewichtige Äusserung des Vaters über seinen Sohn.

      Die Beschäftigung mit dem jugendlichen Philosophen Pico della Mirandola hat sich dann über Jahre hinweg weitergezogen. Zwingli nennt ihn einen Mann von grossem Scharfsinn, aus welchem, wenn Gott ihn hätte zur Reife kommen lassen, etwas Göttliches geworden wäre. Mirandolas Rede über die Würde des Menschen ist berühmt geworden, ausserdem schrieb er über die Willensfreiheit, die er ein charakteristisches Merkmal des Menschen nannte. Er formulierte 900 Thesen zu theologischen und philosophischen Fragen. Der Papst verurteilte diese Thesen, der Autor geriet in Rom unter Häresie-Verdacht. Doch er stand unter dem Schutz des Fürsten von Florenz, Lorenzo der Prächtige. Mirandola starb an einem Fieber, er war erst 31-jährig.

      Zwingli hat sich intensiv mit dem jugendlichen Philosophen beschäftigt. Er las seine Schriften, kommentierte sie, strich wichtige Sätze an. Er war geradezu ein Bewunderer dieses Pico della Mirandola.

      UNIVERSITÄT BASEL

      Von 1500 bis 1502 in Wien, von 1502 bis 1506 an der Universität Basel. Interessant ist, dass Zwingli seine Studien in Wien abgebrochen hat und in Basel sofort fortsetzte, wo er gleichzeitig neben dem Studium eine Lehrerstelle übernahm, er erbte den Posten von Gregor Bünzli, der seinerseits vor ein paar Jahren den zehnjährigen Ueli unterrichtet hatte. Zwingli war nun 18-jährig, bekleidete bereits ein Lehreramt, wohl um etwas zu den Studienkosten beitragen zu können. Ob Vater und Onkel ihn dazu berufen haben, ist anzunehmen, sicher ist es nicht.

      1502 stieg er, 18-jährig, in Basel ein, 1506 schloss er dort mit dem Magister der Künste ab. Er war nun 22-jährig. Basel war seit einigen Jahren im Aufstieg zur Drucker- und Gelehrtenstadt. Johann Froben war dort der grosse Buchdrucker. Hier lebten die geistig Arbeitenden, mit denen Zwingli später regen Briefkontakt pflegte: Heinrich Loriti aus Glarus, Glarean genannt, Konrad Pellikan aus Rufach im Elsass, Wolfgang Capito aus Hagenau, und Leo Jud, der Elsässer, schliesslich mit dem Berner Nikolaus von Wattenwyl, der später im reformatorischen Prozess in Bern eine führende Rolle spielen sollte. Vor allem mit von Wattenwyl pflegte der junge Zwingli wohl lebhaften Austausch.

      Offenbar hat Zwingli sich erst in den letzten zwei Jahren auf die Theologie konzentriert, obwohl er zunächst sowohl akademisch-theoretisch als auch didaktisch-praktisch tätig war. Er hat sich demnach tatsächlich als etwa 20-Jähriger für das Pfarramt entschieden. Umso überraschender ist, wie wichtig ihm stets die Philosophie und die Philologie geblieben sind. Das ganze aristotelisch-christliche Gebäude samt dessen scholastischen Kommentaren kannte Zwingli bis ins Detail. Berichte, Zeugnisse, Geschichten und Anekdoten gibt es über den Studenten Zwingli keine. Vermutungen über Konzerte, in denen Ulrich eine aktive, führende Rolle übernommen hatte, gab es einige, mehr aber nicht. Es wurde in der Biografik angestrengt lange Zeit nach Studienkollegen gesucht, die sich zu bedeutenden Zeitgenossen oder zu Freunden des Toggenburgers entwickelt hätten. Die Funde waren dürftig. Die wichtigsten Bekanntschaften waren jene mit dem Elsässer Leo Jud, der später in Zürich als Pfarrer am St. Peter ein bedeutender Mitstreiter wurde sowie mit dem Luzerner Myconius, seinem ersten Biografen.

      Das geistige Klima in Basel war heiter, keineswegs nur lammfromm, was aus Myconius’ Berichten und Annahmen aufgrund des musikalischen Könnens des jungen Zwingli zu erfahren ist. Er hat sich im Münster eine grosse mahnende Synodalpredigt des Bischofs Christoph von Utenheim anhören müssen, der als Freund der Gelehrten ihnen ins Gewissen redete. Der junge Ulrich befasste sich vornehmlich mit den Schriften des Thomas von Aquin. Der Vertreter der Scholastik in Basel war Thomas Wyttenbach.

      Die vier Fakultäten waren hierarchisch aufgebaut: zuunterst die philosophische, damals die artistische genannt, die zweite Etage bildeten die medizinische und auf gleicher Ebene die juristische Fakultät, und darüber thronte die theologische. Durch das ganze Mittelalter stand die Theologie, also das Lehrgebäude der grossen Theologen und Kirchenväter, zuoberst, die Theologie bekämpfte und beeinträchtigte die Philosophie, die sich erst langsam zu behaupten begann. Zwingli soll sich kritisch über den Schul- und Lehrbetrieb geäussert haben, er habe viel Ballast mitschleppen müssen, der ihm später nichts genützt habe, erzählt Myconius. Er war immerhin Zeitgenosse, so konnte er behaupten, es sei im Studium alles durcheinander gelaufen: Weltweisheit, Gott, Philosophie mit eitlem Geschwätz, Unwissenheit und Ruhmsucht, eine gesunde Lehre habe dort niemand bekommen. Und das alles habe der junge Zwingli erkannt und kritisch hinterfragt, um seinen Verstand für künftige Auseinandersetzungen zu schärfen. Uns stehen leider keine Belege zur Verfügung für eine solche Annahme. Den frühesten Biografen ist nicht in jedem Falle zu vertrauen, schon gar nicht blind zu glauben, eine altbekannte Erfahrung, denn in der Regel standen diese ersten Berichte der dargestellten Figur so nahe, dass Glorifizierung oder aber Unkenntnis oft nicht weit weg waren. Vielleicht hat Zwingli irgendwann bei Gelegenheit mal eine solche Bemerkung gemacht, und Myconius, der sie aufgeschnappt hat, versetzte sie flugs in die Studentenzeit, wo sie ein ganz anderes Gewicht bekommen hat.

      Zwinglis Lehrer wie Wölfflin in Bern oder Wyttenbach in Basel waren Vertreter des «alten Weges». Gleichwohl hat Zwingli schon 1508 das Priesterzölibat, die Messe und den Ablass in die Kritik genommen. Zwingli lebte in der Zeit, in welcher die Gegensätze langsam aufgehoben wurden. Trotzdem, die Diskrepanzen waren damit nicht aus der Welt geschafft. Aber es war möglich, beide theologischen Richtungen – den alten scholastischen Weg, die «via antiqua», und den neuen Weg, die «via moderna» – ins Studium aufzunehmen. Der alte basierte auf Thomas von Aquin, der neue auf Wilhelm von Ockham. Zwingli jedenfalls besetzte beide Schulrichtungen und bereicherte so sein Wissen, öffnete seinen Horizont und verabschiedete sich vom Dogmatismus. Denn Zwingli war ein Eklektiker, und das ein Leben lang. Seine Devise «Prüfet alles und behaltet das Gute» hat ihn sein ganzes Leben begleitet.

      NEUER UND ALTER WEG

      Die Frage, zu welchem Zeitpunkt sich der reformatorische Geist in Zwinglis Bewusstsein zu regen begonnen UND ALTER hat, ist gewiss ziemlich bedeutend. Myconius macht WEG den Versuch, diesen Beginn mitten in das studentische Leben zu versetzen, was nicht nur reichlich übertrieben, sondern eigentlich erfunden ist. Als der junge Theologe 22-jährig die Universität verliess und in Glarus seine erste Priesterstelle antrat, war sogar seine theologische Bildung, wie Oskar Farner festhält, noch ein Torso. Dass er jedoch so intensiv und mit Liebe die antiken Philosophen und Dichter studierte, machte ihn gewiss zu einem aussergewöhnlichen Anwärter auf eine Pfarrei. Aber das Hauptgewicht im Studium lag gleichwohl auf der Scholastik, nicht, wie in mancher Biografie vorschnell behauptet wird, auf dem Humanismus. Eine Art Erasmianer wurde Zwingli erst im Laufe seiner Glarner Zeit durch intensive Lektüre römischer und griechischer Philososophie und vor allem durch Erasmus’ Herausgabe des Neuen Testaments.

      Die Studentenzeit durchlebte er im Spannungsfeld von «via moderna» und «via antiqua», zwischen «neuem» und «altem» Weg, und er wird in beiden Richtungen unterrichtet worden sein, denn die beiden Lehren standen mehr oder weniger gleichberechtigt nebeneinander. Der «alte Weg» postulierte die Einheit von philosophischer und theologischer Weltanschauung. Der «neue Weg» hingegen trennte Glauben und Wissen und behauptete die Unbeweisbarkeit der theologischen Wahrheiten. Zentrum des «alten Weges» war Paris, seine Anhänger waren vor allem die Universitäten in den südlichen Gebieten des Reichs. An erster Stelle stand da Tübingen. Von so enormer Wichtigkeit war dieser Richtungsstreit für den jungen Zwingli nicht, denn seine Entwicklung bewegte sich in den ersten Jahren seiner seelsorgerischen Tätigkeit in Glarus entschieden dem Humanismus eines Erasmus entgegen.

      Der Drang vieler Biografen, den jungen Zwingli geistig zurechtzustutzen und ihn einer Schule zuzuordnen, ist zum Scheitern verurteilt, zu eigenständig war der Toggenburger Bauernsohn, intellektuell zu neugierig. Ein paar Jahre später liess er einen Blick in seine Haltung tun: «Nie habe ich mich im Laufe meiner Studien einem Lehrer und einer Lehre so angeschlossen, dass ich mich deswegen von den andern abgewandt und das zurückgewiesen hätte, was diese an Wert und Klarheit jenen voraus hatten. Ich habe die Gesamtheit aller Weisen und Formen, die jemals gelebt haben, als ein Gastmahl angesehen, zu welchem jeder seinen Beitrag zu liefern das Recht und die Pflicht hat.» Zwingli hätte auch sagen können: Nie war ich Dogmatiker.


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