Zwingli. Franz Rueb

Zwingli - Franz Rueb


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Erhabenheit so viel gegolten, dass ich darüber Aristoteles mit seiner Schärfe, seiner Klarheit und seinem Wissen gering geschätzt hätte. Vielmehr habe ich das eine Mal diesem, das andere Mal jenem den Vorzug gegeben, und zwar aus keiner andern Ursache, als weil keiner alles weiss, und weil, was jeder weiss, überall dem allgemeinen Besten dienen soll.»

      Und an einer anderen Stelle sagte er: «Die Wahrheit ist für mich, was die Sonne für die Welt. Wie wir diese überall, wo sie aufgeht, freudig annehmen und durch sie zur Arbeit uns ermuntern lassen, so sehnt sich auch der Geist nach dem Lichte der Wahrheit und freut sich, wenn es ihm irgend entgegen strahlt.»

      An anderer Stelle sagte er, er habe «von Kind auf die Sophisterei verachtet». Es ist denn tatsächlich früh sichtbar, wie dieser Bergler eine Weite seines Geistes beweist, und dazu eine Reichhaltigkeit des Wissens und eine Ungebundenheit und Offenheit, sodass er in mancher Charakterisierung als Eklektiker bezeichnet wurde. Zwingli war kein Mann, dessen Horizont an der nächsten Felswand seine Grenze fand.

      Thomas Wyttenbach aus Biel, der vielleicht wichtigste Lehrer Zwinglis in Basel, war wohl der Erste, der frühe Ideen, die zum reformatorischen Denken führten, in den Geist des Studenten einpflanzte. In der Auseinandersetzung mit Luther erwähnt Zwingli viel später den Gelehrten Wyttenbach und dessen Polemik gegen den päpstlichen Ablass, welcher nicht aus der Heiligen Schrift zu begründen sei, woraus nun nicht zu schliessen ist, dass Zwingli schon als Student sich über diese Frage im Klaren gewesen war. Es sagt mehr über Wyttenbach aus, der schon zwölf Jahre vor Luther auf diesen zentralen Punkt der Kritik an der alten Kirche hingewiesen hat. Es war auch Wyttenbach, der seine Studenten zum Erlernen der griechischen Sprache ermuntert hat, um das Evangelium in den Urtexten lesen zu können. Der junge Zwingli plagt sich denn jahrelang mit dem Studium des Griechischen herum, in Glarus, dann in Einsiedeln, und auch noch in Zürich.

      Schon als Student, aber auch als junger Theologe war er ein grosser Leser. Er hatte Zeit seines Lebens ein Netz von Freunden, Informanten und Anregern, die ihn mit Neuerscheinungen versorgten oder auf sie aufmerksam machten. Was an wichtigen Werken Ende des 15. und zu Beginn des 16. Jahrhunderts erschienen war, das fand sich nach dem Tod des Reformators in seiner Bibliothek, sodass man annehmen kann, dass er einiges davon schon als Student in Basel besorgt hatte. Da waren vor allem die Werke von Homer, Demokrit, Plutarch, Cicero, Caesar, Livius, Seneca, Plinius, Tacitus, des Satirikers Lukian, natürlich Aristoteles, Demosthenes, Horaz, Josephus, Duns Scotus. Und dann vor allem einer seiner Lieblingsautoren, der Florentiner Pico della Mirandola, den er in seinen Schriften oft erwähnte, den er auch verehrte.

      Solche Vorläufer der Reformation gab es in Europa Dutzende, in mehreren Ländern und Kulturen, selbstverständlich, denn die Reformation fiel ja nicht plötzlich 1517 oder 1519 vom Himmel auf Deutschland und die Eidgenossenschaft nieder. Da gab es ein breites, grosses Feld von mannigfaltigen Früchten, da gab es Dutzende Gelehrte, die an den Missständen kratzten und immer wieder Irrwege aufzeigten und fruchtbare Vorarbeiten leisteten. Ulrich Zwingli aber war ganz gewiss weit und breit derjenige, der diese frühen Früchte der Entwicklung am begierigsten und am aufmerksamsten beobachtete. Pico della Mirandola und Marsilio Ficino, dessen Lehrer, waren ganz wichtige Adressen, ihre Schriften nahmen in Zwinglis Studierstube zu allen Zeiten wichtige Plätze ein. Die Verehrung Mirandolas durch den jungen Geistlichen Zwingli ging in Glarus fast nahtlos in jene des Erasmus von Rotterdam über.

      EUROPÄISCHE PERSPEKTIVEN

      Bevor wir uns Zwinglis Zeit als Pfarrer in Glarus zuwenden, wollen wir einen Blick auf das politische und religiöse Umfeld in Europa werfen, in dem er seine reformatorischen Ideen entwickelte.

      Der Papst war im frühen 16. Jahrhundert nicht nur Oberhaupt der Kirche, sondern auch Machtpolitiker, der eigene und familiäre Interessen verfolgte. Julius II. (1503–1513) war im Kriegswesen sehr bewandert. Leo X. (1513–1521), ein Sohn des Hauses Medici in Florenz, war ein Förderer der Künste und der Wissenschaften, aber als wirklicher Vorsteher der Christenheit galt er nicht. Er liebte das Spiel und die Jagd.

      1506 begann Donato Bramante mit dem Neubau des Petersdoms, der damit finanziert wurde, dass vor allem im Reich überall dem Volk das Geld aus den Taschen gezogen wurde.

      Der Papst beanspruchte für sich, den Kaiser krönen zu dürfen. Dies wurde vom Kaiser und von den Kurfürsten aber zunehmend kritisiert. Der Kaiser stand, obwohl nach der Tradition eher Primus inter Pares als wirkliches Oberhaupt, über den anderen Königen und Fürsten und gab sich als Beschützer des christlichen Glaubens.

      Auf dem Kaiserthron hatten sich die Habsburger installiert. Auf Maximilian I. folgte dessen Enkel Karl V. Seine Wahl zum König des Heiligen Römischen Reiches war nicht ohne Nebengeräusche verlaufen. Am 28. Juni 1519 kamen die deutschen Kurfürsten in Frankfurt zusammen. Es wurde lange verhandelt. Der französische König hatte für sich werben lassen. Das Haus Habsburg unternahm gewaltige finanzielle Anstrengungen, um die Krone an den jungen Karl zu bringen. Die Kurfürsten wurden mehrfach bestochen. Der Stimmenkauf kostete die Habsburger gegen eine Million Gulden, die aber brachte zum grössten Teil die Firma Fugger auf. Nur Friedrich der Weise von Sachsen liess sich nicht bestechen. Schliesslich wurde Karl I. als Karl V. einstimmig zum deutschen König gewählt. Er zählte bei seiner Wahl 19 Jahre. Geboren war er in Gent in den Niederlanden, dort galt er als Spanier, in Spanien als Deutscher. Seine Muttersprache aber war französisch, des Deutschen war er nicht kundig.

      Die Rivalitäten zwischen dem Kaiser, den stärksten Fürsten im Reich und dem französischen König hatten sich schon unter den Vorgängern von Franz I. und Karl V. verschärft. In den oberitalienischen Kriegen waren die beiden Mächte aufeinandergeprallt. Wie der Kaiser sah sich auch der König von Frankreich als führender Beschützer des Christentums. Er nannte sich Allerchristlicher König. Der englische Herrscher galt als Verteidiger des Glaubens. Der spanische Monarch gab sich den Titel Allerkatholischste Majestät.

      Um seinem Anspruch als westliches Oberhaupt des Christentums gerecht zu werden, kämpfte Karl V. erbittert gegen die Osmanen, litt aber dauernd unter Geldknappheit und war beim Bankhaus Fugger gewaltig verschuldet. Zudem versuchte er immer wieder die Reichsverwaltung zu reformieren. Das gelang schon deswegen nicht, weil das Reich keine eigenen Behörden besass.

      Die Reichsfürsten sowie die grossen europäischen Länder protestierten wiederholt und sehr heftig gegen die ständigen Geldsammlungen Roms. Der englische Monarch Heinrich VIII. bekam ein Viertel der in England gesammelten Summe. Der französische König Franz I. erhielt ebenfalls seinen eher bescheidenen Anteil. Kaiser Karl V. bezog ein Darlehen vom Papst. Aber alle Länder waren jahrelang ausgepresst worden und wütend. Nur das Reich war strukturell zu schwach, hoffnungslos zersplittert, darum wurden die deutschen Länder erbarmungslos ausgesaugt. Daran hatte das Augsburger Bankhaus Fugger – als Geldeintreiber – starken Anteil.

      Der Bettelmönch Johann Tetzel, der sich seit dem Jahr 1500 ausschliesslich dem Ablasshandel gewidmet hatte und dadurch in den deutschen Ländern sehr berühmt geworden war, wurde jeweils an den Stadttoren von frommen Bürgern mit Musik und Fahnen und Kerzen empfangen, die Ablassbulle lag bei der Prozession auf einem Goldkissen. Tetzel erzählte, der Papst habe mehr Macht als alle Apostel, alle Engel und alle Heiligen zusammen, der Papst sei gleich Christus.

      Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen, war kein Ablassgegner, er hatte in der Wittenberger Schlosskirche 19 000 Heiligenreliquien zusammengetragen. Die in Sachsen gesammelten Ablassgelder für einen Kreuzzug gegen die Türken verwendete Friedrich schliesslich für den Ausbau der Universität Wittenberg. Und Tetzel hielt eine Brandrede gegen Luther.

      Am 31. Oktober 1517 um die Mittagszeit hatte Martin Luther, zu der Zeit durchaus noch ein guter Katholik, seine 95 Thesen am Portal der Wittenberger Schlosskirche gegen den Ablass angeschlagen.

      Am Pranger stand seit Jahren die verschwenderische Hofhaltung der Kirchenfürsten, die Korruption in der Kurie, die Sittenlosigkeit Papst Alexanders VI., die Heftigkeit Julius II., und die Sorglosigkeit Leos X. Die Kirchenreform scheiterte zum x-ten Mal. Das alles geschah etwa zur gleichen Zeit mit der Entdeckung Amerikas, der Wiederentdeckung der Antike, der Erfindung des Buchdrucks, der Ausbreitung der Bildung und der Übersetzung der Bibel ins Deutsche. Die Reformation wäre ohne diese neue Technik, den Buchdruck,


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