Die katholische Kirche und die Medien. Wolfgang Beck

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entzogen ist.207

      Schon früh wurden Talkshows zu alternativen Beicht-Settings. Die Prägekraft der Fernsehsendung „Traumhochzeit“ bestimmt bis in die Gegenwart die Details auch von kirchlichen Trauungen. Und das „Dschungelcamp“ avanciert zum alternativen Initiationsritus. Das sind nur wenige Beispiele, in denen sich die Rede von einer „TV-Religion“208 nahelegt.

      Dabei verläuft ihre Entwicklung jedoch erkennbar kontrastierend zum christlichen Inkarnationsgedanken und dessen Grundausrichtung vom Wort zum Fleisch (Joh 1). Deshalb bedarf es einer Medienhermeneutik, bei der mit prophetischer Kraft im Sinne Hans-Joachim Höhns nicht Künftiges vorhergesagt, sondern vor allem Gegenwärtiges in seinen hintergründigen Strukturen wahrgenommen und gedeutet wird: „Es hat zuerst etwas mit Ästhetik (als Kunst der Wahrnehmung) und Kritik (als Kunst der Unterscheidung von Chance und Gefahr) und dann erst mit Ethik (als Kunst der Gestaltung und Darstellung gelungenen Daseins) zu tun.“209 In dieser Grundstruktur einer Medienhermeneutik wird eine Parallele zu theologischen Ansätzen erkennbar, von denen bei dem Bemühen um die Deutung von Medienstrukturen Lerneffekte erhofft werden können.

      Um die öffentliche Ausrichtung des Christentums zu verstehen, wäre es unzureichend, sich lediglich auf Jesu Aussendung von Jünger_innen zur Verkündigung seiner Botschaft und zum Heilungs- und Heiligungsdienst zu fokussieren. Zwar stellt diese missionarische und evangelisierende Form des Weltbezugs ein zentrales Element des Verhältnisses von Gesellschaft und Christentum dar, allerdings längst nicht den einzigen. Wenn sich die Kirche im Zweiten Vatikanischen Konzil selbst zur Wahrnehmung der „Zeichen der Zeit“ verpflichtet, drückt sich darin ein wichtiger Bestandteil des Anliegens aus, jegliche Gegenüberstellung zwischen Gesellschaft und Kirche zu überwinden und sich dadurch mit ihren jeweiligen Zeitgenoss_innen zu solidarisieren.

      Sehr profiliert wurde dies Anliegen von dem Theologen Johann Baptist Metz aufgegriffen. Er entwickelt in der Neuen Politischen Theologie (in Absetzung zur „Politischen Theologie“ von Carl Schmitt in den 1920er-Jahren)210 einen doppelten Gegenakzent: 1. Gegen eine Theologie, die sich aus einer Kontrastierung von Theorie und Praxis heraus versteht (also als Wahrheit, die nur noch zu vermitteln wäre) und sich in einer Ausrichtung allein auf die Welt der eigenen Konfession selbst begrenzt. 2. Gegen ein privatisiertes Religionsverständnis, bei dem auch die Religionspraxis und Spiritualität lediglich auf die Bedürfnisse der Einzelnen ausgerichtet sind und um den Preis der Möglichkeiten zur zivilgesellschaftlichen Mitgestaltung privatisiert wird.211 Gegen diese Versuchungen stellt Metz ein grundlegend verändertes Theorie-Praxis-Verhältnis, aus dem sich nicht nur eine Stärkung der christlichen Sozialethik ergibt, sondern auch die Erkenntnis, dass Theologie immer von den gesellschaftlichen Ereignissen und Entwicklungen der jeweiligen Gegenwart mitgeprägt ist und sein muss. Daraus ergeben sich die zwei zentralen Elemente jeder gegenwartssensiblen Theologie: Aktualisierungen und Konkretion.

      Insbesondere die Erfahrung der Shoa gewinnt dabei für Metz als markantes historisches Ereignis Bedeutung, um an einer „Theologie nach Auschwitz“ beispielhaft die Unmöglichkeit einer neutralen Theologie und die Notwendigkeit einer sich immer wieder ihrer Kontextualität212 vergewissernden Theologie aufzuzeigen.

      Dem Anliegen der Neuen Politischen Theologie trägt in besonderer Weise auch die Befreiungstheologie213 Rechnung. Sie baut auf der Wahrnehmung von konkreten gesellschaftlichen Missständen auf und ist damit ein Beispiel für die Bereitschaft und Wahrnehmungsfähigkeit einer Theologie, die sich ihre Themen und Fragestellungen aus ihren gesellschaftlichen Kontexten vorgeben lässt. Sie setzt damit die Suche nach und das Ringen um die „Zeichen der Zeit“ fort.214 Ihr gelingt damit die Konfrontation der Glaubenstradition mit den realen und konkreten Gegebenheiten einer gesellschaftlichen Situation und das Ernstnehmen einer „Option für die Armen“, für die Metz vorwiegend im Modus theoretischer Reflexion wichtige Grundlagen geschaffen hat.

      Wurde es zum Ende des 20. Jahrhunderts um den Ansatz von der Neuen Politischen Theologie ruhig, sodass von einer „Krise“ gesprochen werden musste, gibt es in jüngerer Zeit Ansätze zu ihrer Aktualisierung.215 Sie sind auch eine Antwort an das neu erwachte gesellschaftliche Interesse an Religionen: Zunächst sind Religionen, insbesondere in ihren extremistischen Ausformungen, seit Beginn des 21. Jahrhunderts stark in den Medien und öffentlichen Debatten präsent. Darüber hinaus kommt es zu öffentlichen Debatten über den gesellschaftlichen Beitrag der Religionen zu den ethischen Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft. So ist ein wiedererwachtes zivilgesellschaftliches Interesse am öffentlichen Beitrag der Religionen zu konstatieren.

      Im Bereich evangelischer Theologie hat die Neue Politische Theologie zunächst in der Arbeit von Jürgen Moltmann216 ihre Entsprechung gefunden. Bemerkenswert ist die Wirkung, die auch daraus für den Entwurf einer Öffentlichen Theologie217 im Feld der Sozialethik mit Vorläufer_innen in der US-amerikanischen „Public Theology“ erwachsen ist. Sie wird insbesondere von Wolfgang Huber218 und Heinrich Bedford-Strohm219 entwickelt und konnte durch deren Funktionen als Landesbischöfe und EKD-Ratsvorsitzende über den wissenschaftlichen Kontext hinaus prägend werden. Gegen die Verlusterfahrungen einer gesellschaftlichen Marginalisierung der Volkskirchen in den Säkularisierungsprozessen moderner Gesellschaften setzt die Öffentliche Theologie die profilierte Beteiligung an zivilgesellschaftlichen Diskursen. Damit bringt sich Öffentliche Theologie in zivilgesellschaftliche Diskurse mit Orientierungsangeboten ein: „Kennzeichen öffentlicher Theologie ist der Versuch, die Befragung der eigenen Traditionsquellen der Theologie mit größtmöglicher Kommunikabilität im allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Diskurs zu verbinden.“220 Öffentliche Theologie und Politische Theologie221 sind damit in doppelter Hinsicht befreiende222 Theologien: Sie sind leidsensibel gegenüber den Marginalisierten und Bedrängten einer Gesellschaft (Option für die Armen)223 und leisten damit einen Beitrag zum Eigenstand der Gesellschaft.224 Sie haben aber zugleich befreiende Wirkung für eine zum Rückzug neigende und sich selbst marginalisierende Kirche. In dieser doppelten Ausrichtung wäre die Rede von einer „gefährlichen Freiheitserinnerung“225, wie sie Metz in seinem Ansatz entwickelt hat, um damit das kritische Potenzial des Christentums in der Gesellschaft zu markieren und auch in umgekehrter Richtung wahrzunehmen: Christliche Theologie enthält eine für sie selbst „gefährliche Erinnerung“ an ihre eigene Kraft und Größe, wie sie dazu neigt, sich mit den eigenen Strukturen abzufinden, und eine minoritäre Mentalität226 ausbildet. Die auf die Kirche selbst bezogene Freiheitserinnerung steht in den Ansätzen der Neuen Politischen Theologie hinter ihrer Wirkung für und in der Gesellschaft zurück.

      Der Blick auf die Strukturen und Mechanismen in einer Mediengesellschaft eröffnet die Chance, diese wechselseitige Ausrichtung der christlichen Verkündigung zu erkennen. Die irritierenden und verunsichernden Wirkungen und Effekte moderner Medien könnten so einen wichtigen Beitrag leisten, der Kirche auch selbst immer wieder zu einem „Befreiungsprozess“227 zu verhelfen. Die hier erkennbare, doppelseitige Wirkung wird in Wissenschaften, wie der Soziologie, im Kontext eines „public turn“ reflektiert. Er symbolisiert das wissenschaftliche Interesse, theoretische Erkenntnisse nicht nur auf die Wirklichkeit zu übertragen, sondern sie aus der Praxis heraus zu entwickeln. Auch hier ergibt sich also jene Wechselseitigkeit, die im Verhältnis von Kirche und Medien konstatiert werden kann.

      Für die Beschäftigung mit Medien ergeben sich daraus wichtige Schlussfolgerungen:

      1. Sie können nicht nur als Instrument zur Verbreitung eigener Einsichten und kirchlicher Positionen verstanden werden, sondern bieten vor allem die Chancen, öffentliche Debatten und gesellschaftliche Entwicklungen wahrzunehmen und diese auch als Impulse für die Theologie wirksam werden zu lassen. Wer Medienarbeit lediglich auf die Indienstnahme für kirchliches Sendungsbewusstsein reduziert, schadet deshalb der Theologie! Innerhalb der Missionstheologie hat sich diese Veränderung als Abschied von (auch theologischem) Kolonialismus etabliert. Für die konkrete kirchliche Medienarbeit bedeutet dies auch, dass sie sich nicht auf das Verständnis eines identitätsprofilierenden228 Marketings reduzieren lassen darf, indem sie die Botschaft des Evangeliums bruchlos mit der Institution Kirche identifiziert und sich damit


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