Die katholische Kirche und die Medien. Wolfgang Beck

Die katholische Kirche und die Medien - Wolfgang Beck


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Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend als Mediengesellschaften charakterisiert. Darin wird erkennbar, dass die gesellschaftliche Funktion der Medien und ihre Prägekraft für öffentliche Debatten wie auch für das alltägliche Leben von Bürger_innen zu einem grundlegenden Strukturprinzip des Zusammenlebens geworden sind. Es wäre also zu fragen, wie sich dieses Strukturprinzip auch auf alle kirchlichen Lebensvollzüge und Grunddienste auswirkt.

      Eine Analyse der Mediengesellschaft als „Zeichen der Zeit“ gehört zu den ausstehenden Aufgaben der wissenschaftlichen Theologie und wäre deshalb wichtig, weil mit ihr eine tendenziell pessimistische Grundausrichtung229 und ein Habitus des einseitigen Protestes230 überwunden werden könnten.

      Zu den elementaren Bestandteilen der Reich-Gottes-Botschaft Jesu gehört die Befreiung von sehr realen Erfahrungen des Leids, der Einschränkung von Entwicklungsmöglichkeiten und nicht zuletzt der Armut. Damit kommt der Reich-Gottes-Botschaft eine umfassend befreiende Wirkung zu. Es war zu sehen, dass diese Effekte insbesondere von der Politischen Theologie und der Befreiungstheologie reflektiert und auf ihre theologischen und kirchlichen Konsequenzen hin befragt werden. Die Beschäftigung mit modernen Medien nicht nur im Zusammenhang mit Fragen der kirchlichen Verkündigung zu realisieren, wirft die Frage auf, wie deren Verhältnis zur Reich-Gottes-Botschaft zu bestimmen ist.

      Zunächst lassen politische Umwälzprozesse des 21. Jahrhunderts erkennen, dass diese eng mit der Nutzung von digitalen Medien verbunden sind: die Vernetzung von Protestbewegungen gegenüber diktatorischen Regimen, die Koordination oppositioneller Gruppierungen und Menschenrechtsaktivist_innen.

      Die langjährige Inhaftierung des Bloggers Raif Badawi in Saudi-Arabien und vieler anderer Dissident_innen in China, Russland und der Türkei zeigen, dass Einschränkungen der Meinungs- und Pressfreiheit im 21. Jahrhundert meist mit Eingriffen in die Nutzung digitaler Medien durch undemokratische Regime verbunden sind. Denn sie ermöglichen schwer zu kontrollierende Informationsflüsse und konstituieren als bedrohlich empfundene Netzwerke.

      Kurzum: Digitale Medien sind für diktatorische Regime bedrohlich, weil sie freiheitsfördernde Effekte generieren. Darin liegt eine ihrer größten politischen Chancen und ein wichtiger Anknüpfungspunkt für die kirchliche Rede von der Reich-Gottes-Botschaft in der Moderne.

      Zugleich sind jedoch die freiheitsmindernden Effekte digitaler Medien mit zu berücksichtigen.

      Sie werden im deutschen Sprachraum vor allem von dem Philosophen Harald Welzer vertreten, der den Mechanismen digitaler Medien selbst diktatorische Züge unterstellt: Sie erlauben Formen der digitalen Überwachung durch „Selbstzwangtechnologien“ ohne rechtsstaatliche Achtung vor der Privatsphäre.231 Sie speichern Konsum- und Mobilitätsgewohnheiten, wie es bis dahin keinem Unrechtsregime in vergleichbarer Effektivität gelungen war. Sie befördern über das öffentliche „Shaming“ bis hin zu „Shitstorms“ auch soziale Ausgrenzung. Am deutlichsten werden diese Mechanismen in der Analyse von Sortierungsalgorithmen, wie sie in den Social Media zum Einsatz kommen: die Auswahl bestimmter Postings, die einem zuvor analysierten Nutzungsverhalten entsprechen;232 die Angebote von YouTube-Videos, die anhand der schrittweise zunehmenden „Personalisierung“233 ergänzt werden. Wenn Internetsuchmaschinen die Priorisierung von Informationsangeboten an Konsum- und Bewegungsschemata der Nutzer_innen orientieren, ohne diese Vorsortierung zu einsehbar zu gestalten, sind sie zugleich Bestandteil einer „Kultur der Digitalität“234. Diese Algorithmen haben nicht nur einen massiv steuernden Einfluss, sie bewirken „Selbstredundanz“, bei der einzelne User nur die Informationen und Angebote erreichen, die ihnen auch entsprechen und ihre Meinung oder ihren Geschmack bestätigen. Sie erscheinen gerade aufgrund ihrer Intransparenz natürlich schnell als manipulativ.235 Damit beinhalten die technischen Algorithmen zugleich die Tendenz, wertvolle Irritationen236 zu vermeiden, die jedoch für kreatives Ringen unerlässlich sind.237 Sie stellen jedoch lediglich eine technische Form der Komplexitätsreduktion von einer schwerlich handhabbaren Informationsmenge dar, die auch außerhalb digitaler Medien selbstverständliche Praxis ist. Sie sind deshalb nicht einfach eine Kombination aus „Logik plus Kontrolle“238, sondern von Logik und Steuerungsversuchen. Sichtbar wird in ihnen jedoch ein zentrales Element der Digitalität, das der Soziologe Armin Nassehi als „Rekombination“239 beschreibt, als Mechanismus, in dem Phänomene in immer neuen Kombinationen zusammengefügt werden und zum Inbegriff für den Verlust einer Zentralperspektive auf die Wirklichkeit in der Postmoderne werden. Für Nassehi sind damit die Unübersichtlichkeit und Unordnung als wesentliche Grundzüge der Digitalität entscheidende Indikatoren postmoderner Gesellschaft.240

      All diese Phänomene sind für Welzer Indiz für problematische und nicht demokratisch legitimierte Machtmechanismen, in denen Menschen marktkonform erzogen und diszipliniert werden. Sie sind damit eng verbunden mit den Charakteristika globalisierter Ökonomien.

      Entscheidend ist jedoch, dass mit dem freiheitsfördernden Anspruch digitaler Medien offensichtlich auch weitgehend intransparente Effekte der Freiheitsminderung einhergehen.

      Strategien und Aufrufe, sich der Nutzung digitaler Medien radikal durch Verweigerung zu entziehen, muten indes vor allem kulturpessimistisch an.

      Vor dem Hintergrund der Frage nach der Medienrelevanz für die Verkündigung der Reich-Gottes-Botschaft ergibt sich aus den ambivalenten Effekten digitaler Medien die Bedeutung medienpädagogischer Arbeit und ihrer medienethischen Fundierung. Die Vermittlung von Kompetenzen zur Gestaltung des Lebens in allen Lebensphasen umfasst auch die Aufklärung über die geschilderten Mechanismen problematischer Freiheitsminderung. Diese Ansätze zu einem kritisch reflektierenden Umgang mit digitalen Medien bauen auf der Anerkennung als eigenständiger Ort der Virtualität auf, ohne damit einer strengen Separierung der Virtualität im Kontrast zur Realität zu entsprechen. Jede Virtualität konkretisiert sich in Abhängigkeit von Materialität und in Ausrichtung auf jene Realität, in die sie hineinwirkt.241

      Auf internationaler Ebene werden die Medienaktivitäten der katholischen Kirche von dem Weltdachverband für Kommunikation mit dem Titel „Signis“ (www.signis.net) mit Sitz in Brüssel koordiniert. Die Ausrichtung des Verbandes, in dem die unterschiedlichen Bischofskonferenzen ihre Kompetenzen zusammenführen, besteht in Beratungsangeboten für den Ausbau von Medienangeboten und im Bereich der Medienpädagogik wie auch in der Ausrichtung von Kongressen zu spezifischen medienwissenschaftlichen Fragestellungen. In enger Verbindung mit Signis sind die unterschiedlichen Medienformate des Vatikans zu sehen, die vornehmlich die weltkirchliche Kommunikation mit den nationalen Teilkirchen gewährleisten sollen. Zu ihnen gehört seit 1931 auch Radio Vatikan mit Sendungen in 48 Sprachen und einer eigenen deutschen Abteilung. Wie kaum ein anderes Medium hat Radio Vatikan von den digitalen Möglichkeiten des Internets profitiert und erreicht mit seinem kostenlosen Newsletter eine beachtliche Zahl von Leser_innen und Hörer_innen.

      Die Zeitung „L’Osservatore Romano“ besteht seit 1861 und wird seit 1971 auch als deutschsprachige Wochenzeitung veröffentlicht. Sie dient vor allem der Bekanntmachung offizieller kirchlicher Nachrichten. Hinzu kommt der Vatikanische Pressesaal in Verantwortung für die Internetpräsenz www.vatican.va.

      Im Jahr 1964 wurden verschiedene Arbeitsstellen in der Päpstlichen Kommission für die sozialen Kommunikationsmittel gebündelt und 1988 zum Päpstlichen Rat für die sozialen Kommunikationsmittel zusammengeführt.

      Diese weltkirchlichen Medienaktivitäten gründen in der Pastoralinstruktion „Communio et Progressio“ aus dem Jahr 1971. Sie wurde 1992 mit dem Dokument „Aetatis novae“ weiterentwickelt.

      In der Verlagerung einer Reihe von kirchlichen Medienangeboten auf den digitalen Bereich des Internets spiegelt sich die gesellschaftliche Entwicklung wider und stellt klassische Formate der Printmedien auch im weltkirchlichen Kontext zunehmend in Frage. Den aktuellen Entwicklungen der „Social Media“ ist hier ein eigenes Kapitel gewidmet. Aus ihnen ergeben sich nicht nur wirtschaftliche Herausforderungen aufgrund eines veränderten


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