Die katholische Kirche und die Medien. Wolfgang Beck

Die katholische Kirche und die Medien - Wolfgang Beck


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ermöglichten.

      Die expansive Kraft der Reich-Gottes-Botschaft Jesu bewirkt durch Zeugenschaft eine Faszination, die ihrerseits zur wichtigsten Grundlage der Osterbotschaft wird. Die historisch-kritische Frage nach Verlässlichkeit des leeren Grabes oder der Zeugen für Begegnungen mit dem Auferstandenen relativiert sich angesichts der entstehenden Jesus-Bewegung, der Separierung eigener Gemeinden neben den Synagogen und dem beginnenden kirchlichen Leben. Diese Entwicklung, die bis heute kaum schlüssig erklärt werden kann, wäre ohne eine überzeugende Verkündigungspraxis nicht vorstellbar. Zu ihr gehört auch die Ausweitung des Wirkradius mit Hilfe der Reisetätigkeit des Paulus und vor allem seiner Briefe. Zu ihr gehört die redaktionelle Arbeit der Evangelisten und die Jahrhunderte anhaltende und zunehmend verbindliche Bildung des Kanons biblischer Schriften. Neben den personalen Medien der Menschen, die ihren Glauben bezeugen, stellen die biblischen Schriften die wichtigste Ausformung mediengestützter Verkündigungspraxis dar. Und weil Verkündigung immer aus Auslegung sowohl der biblischen Schriften als auch der je neu gegebenen gesellschaftlichen Umstände und Herausforderungen besteht, ergeben sich an diesen Konkretisierungen immer auch heftige Auseinandersetzungen.

      Eine besondere Dominanz der medialen Prägekraft entsteht für den Medien-Historiker Jochen Hörisch mit der Etablierung des Abendmahls als zentraler symbolischer Akt. In Brot und Wein als Grundlage der sakramentalen Feier der Eucharistie sieht er gerade seit der Konstantinischen Wende und bis hinein in die Neuzeit „Formationen semontologischer bzw. ontosemiologischer Synthesis“191.

      Grundlegende kulturhistorische Entwicklungen des Mediengebrauchs entstehen etwa durch die gesellschaftliche Etablierung von Geldmitteln und die Ablösung des Tauschhandels, in der Erfindung des Buchdruckes oder gegenwärtig durch die digitalen Medien. Gerade am Medium Geld wird die Verbindung des äußeren Zeichens des Mediums mit seinem bezeichneten Inhalt sichtbar: „Sein und Zeichen fallen zusammen. Seine Erosion erleidet das erste Massen- und Leitmedium Abendmahl in dem Maße, wie sich Geld als neuzeitlich-modernes Massenmedium durchzusetzen beginnt.“192 Hier genügt zunächst die Beobachtung, dass (Massen-)Medien sich in Formen darstellen, die umgangssprachlich sicherlich nicht mit dem Begriff der Medien verbunden werden.

      Üblich ist eine Reduzierung des Medienbegriffs auf klassische Formate und damit auch ein tendenziell vereinfachtes Verständnis von Medien als bloßen Mitteln zum Transport von Informationen.

      Wie wenig ein solch reduziertes Verständnis ausreicht, wird mit der Verbreitung des Buchdrucks seit der Mitte des 15. Jahrhunderts erkennbar. Erst mit ihm wird nicht nur eine flächendeckende Verbreitung der Bibel und religiöser Bildung möglich, sondern auch die religiösen und politischen Umwälzungen in Folge der Reformation.193 Dem Buchdruck kommt nicht nur in seinen demokratisierenden Effekten (Aufkommen von Flugblättern und ersten Zeitungen), sondern auch aufgrund seiner Impulse für Wissenschaft und Bildung (Bildungszugang für breitere Bevölkerungsschichten) größte gesellschaftliche Bedeutung zu.

      Gerade die Wirkmächtigkeit von Medien in ihren gesellschaftlichen Bezügen steigert in der Neuzeit das Bewusstsein für ihre politische Instrumentalisierung.

      Hatte der Buchdruck für das Verständnis der aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen zentrale Bedeutung und bildete die Grundlage für das eigene wissenschaftliche und theologische Selbstverständnis, kann dies für die katholische Kirche nur in deutlich geringerem Umfang beobachtet werden. Hier erlangen der Buchdruck und das Zeitungswesen in den Auseinandersetzungen des Kulturkampfes des 19. Jahrhunderts und der kirchlichen Konzeption des Milieukatholizismus größere Bedeutung. Die konfessionalistische Abgrenzung des katholischen Milieus in den entstehenden Großstädten und industriellen Ballungsräumen ist einer Abschottung gegenüber Andersgläubigen verpflichtet und konstruiert eine kirchliche Welt, in der Einzelne von der Geburt an durch ein kirchliches Bildungssystem, pfarrliche und verbandliche Aktivitäten bis ins hohe Alter abgeschlossen begleitet und vor Irritationen durch Andersgläubige bewahrt werden sollten. Ein wichtiger Bestandteil dieses Milieukatholizismus, der bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts aufrechterhalten wurde und erst mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil auch theologisch in Frage gestellt werden konnte, stellen katholische Zeitungen und Zeitschriften dar. Sie wurden zu dem wichtigsten Medium für religiöse Bildungsarbeit, politische Meinungsbildung und moralische Stabilisierung.

      Diözesane Kirchenzeitungen wie auch die Mitgliederzeitschriften von kirchlichen Verbänden lassen bis in die Gegenwart den großen Stellenwert der konfessionellen Presse in der katholischen Kirche in Deutschland und die Bedeutung für die Pflege einer katholischen Identität erkennen.

      Diese verstärkt sich durch das Aufkommen von bildgebenden Medien (zunächst Film) und dem Rundfunk im 20. Jahrhundert und gipfelt in den dunklen Auswüchsen der Propaganda diktatorischer Regime und Ideologien, insbesondere des Nationalsozialismus. In bis dahin nicht gekannter Form wird das manipulative Potenzial von Medien zur Steuerung von breiten Bevölkerungsteilen eingesetzt. Unabhängig von der propagandistischen Beanspruchung der Medien hat sich die Präsenz der Manipulation vor allem in Werbung194 und Marketing195 erhalten.

      Das konfessionelle Zeitungswesen konnte auch aufgrund der Förderung durch die alliierten Siegermächte nach dem Zweiten Weltkrieg neu errichtet werden und erlangte eine beachtliche Vielfalt.196

      Erst mit der stärkeren Verbreitung von Fernsehen und Rundfunk197 als Elemente bürgerlichen Lebensstandards bricht das Ende der „Gutenberg-Galaxis“ an. Für die kirchlichen Printmedien ergibt sich am Ende des 20. Jahrhunderts sowohl aufgrund der veränderten Medienlandschaft als auch durch eine fortschreitende gesellschaftliche Säkularisierung eine massive Krise.

      Mit der Zulassung privater Fernsehsender198 zeichnet sich ab, was dann im Internet und mit dem Web 2.0 am Beginn des 21. Jahrhunderts vollends beobachtbar wird: die De-Monopolisierung von Meinungsbildungsprozessen und Informationsvermarktung, in der auch die Profile journalistischer Berufsbilder zunehmend nivelliert werden. Politische Debatten sind im Zuge dieses Prozesses nicht mehr vorrangig in Parlamenten verortet, sondern auch in Medienformaten, in denen die Gegenüberstellung von Sender und Hörer_in, von Produzent_in und Rezipient_in aufgelöst ist. Jeder und jede kann nun live Informationen verbreiten, Meinungen äußern und kommentieren. Hier ereignet sich mit den Social Media von Facebook, Instagram, WhatsApp, YouTube199 und Snapchat eine bislang ungeahnte Dezentralisierung, eine beeindruckende Zunahme der Innovationsintervalle200 in der Etablierung neuer Medienformate201 und die (durchaus auch ambivalente) Auflösung von Kontrollmöglichkeiten, was erklärt, warum in stark hierarchisch entwickelten Institutionen die Vorbehalte ausgeprägt sind, die allen Institutionen zur Herausforderung werden, wie der Soziologe Michael N. Ebertz formuliert:

      „Der kommunikative Kontrollverlust der Religion über die Religion dürfte in der durchmedialisierten Gegenwartsgesellschaft die zentrale Herausforderung für jede Religion darstellen. (…) Das Kontrollproblem wird zur zentralen Herausforderung aller herkömmlichen Institutionen, nicht nur der Religionen, sondern auch von Wissenschaft, Medizin, Militär und Diplomatie.“202

      Häufig bauen diese Ressentiments203 auf der Unterscheidung von realer und virtueller Wirklichkeit auf, die sich jedoch spätestens mit der Beobachtung von politisch-gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Konsequenzen als absurd entlarvt: Die virtuelle Welt ist Teil der ganzen geschöpflichen Realität und nicht davon zu separieren.204 Die schrittweise Verbreitung des Internet mit einer hundertprozentigen Zugangsmöglichkeit in westlichen Industrienationen verändert auch kirchliche Debatten. Sie gleichen sich allen anderen gesellschaftlichen Debatten in Form und Stil weitgehend an. In Erinnerung an die expansive Kraft der Reich-Gottes-Botschaft nach Tod und Auferstehung Jesu fällt jedoch die kommunikationshistorische Parallele der scheinbar unaufhaltbaren Expansion auf – diesmal freilich ohne erkennbar jesuanische Prägung. Elemente und Fragestellungen wie die unendliche (ewige?) Präsenz von Account-Inhaber_innen in Internetforen bringen Vorstellungen von Ewigkeit und Auferstehung hervor, die zunächst kaum mit christlichen Vorstellungen vereinbar scheinen, doch mit gleichen oder ähnlichen Begrifflichkeiten verbunden sind. Hier wird zunehmend unübersehbar: Digitale


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