Die katholische Kirche und die Medien. Wolfgang Beck

Die katholische Kirche und die Medien - Wolfgang Beck


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Reduzierung von Redaktionen Qualitätsjournalismus als wichtiger Bestandteil einer demokratischen Gesellschaft gewährleistet werden kann. Des Weiteren: Wie wird der pietätvolle Umgang mit Menschen, die ein Selbstbestimmungsrecht nicht wahrnehmen können oder nicht mehr haben, in einer Gesellschaft konsensfähig gestaltet (z. B. bei der bildlichen Darstellung von Unfallopfern oder in der Kriegsberichterstattung)?

      Ein profiliert theologischer Beitrag zu Fragen der Medienethik wurde von Johanna Haberer mit der Formulierung von „10 Geboten für die digitale Welt“169 vorgelegt, in denen vor allem eine ausgeprägte Skepsis gegenüber den Social Media erkennbar wird.

      Aktuelle Beschäftigungen mit medienethischen Fragestellungen und Problemfeldern aus katholisch-theologischer Perspektive finden zunehmend in der Zeitschrift „Communicatio socialis“ statt. Bereits 1968 von dem Theologen und Publizisten Franz-Josef Eilers gegründet, wurde die Zeitschrift 2013 in einer Profilierung auf die Medienethik spezifischer ausgerichtet.170

      Intensive gesellschaftliche Diskussionen um das Vertrauen gegenüber Informationsangeboten im Internet entstanden bereits in den 1990er-Jahren im Umgang mit dem Online-Lexikon Wikipedia, das sich in kurzer Zeit als allgemein zugängliche Informationsquelle etablieren konnte, in Wissenschaft und Lehre jedoch aufgrund seiner Anfälligkeit für Manipulationen auf starke Vorbehalte traf.171

      Auch mit dem Erstarken populistischer Parteien in einer ganzen Reihe westlicher Gesellschaften entstanden gegenüber etablierten Medien eine breit aufgestellte Kritik und der Verdacht der interessegeleiteten Auswahl von Informationen. Diese Auswahl von Informationen ist Bestandteil jeder redaktionellen Arbeit und erzeugt immer wieder Spekulationen über offene und verdeckte Motive für entsprechende Prioritätensetzungen:

      Die negative Einschätzung klassischer Medienformate und die Bevorzugung direkter Kommunikation in Social-Media-Formaten, wie z. B. Twitter, bewirken in der Regierungszeit des US-Präsidenten Donald Trump ein gesteigertes Problembewusstsein im Umgang mit Medien.

      Neben der geschilderten strategischen Auswahl von Informationen gehören auch lancierte Falschmeldungen, sogenannte „Fake News“, zu aktuellen gesellschaftlichen und politischen Ereignissen. Mit der karikaturesk beschönigenden Umschreibung „alternativer Fakten“ markieren „Fake News“172 nichts anderes als die altbekannten Phänomene von Lügen, Fälschungen und Betrug. Werden diese Phänomene und ihre Auswirkungen auf gesellschaftliche Debatten und konkrete Regierungsarbeit in der Fokussierung auf digitale Medien besonders dramatisch dargestellt, zeugt dies auch von Geschichtsvergessenheit. Das anschaulichste Beispiel liefert hier ausgerechnet die Kirchengeschichte mit der „Konstantinischen Schenkung“. Es handelt sich um eine um 800 n. Chr. gefälschte und auf das Jahr 315 n. Chr. datierte Urkunde, mit der Kaiser Konstantin I. der Kirche bzw. Papst Silvester I. von Rom und all seinen Nachfolgern große Territorien Mittelitaliens überlassen haben sollte. Der auf die Fälschung aufbauende Betrug konnte maßgeblich zum Aufbau der weltlichen Macht des Papstamtes und zur Rechtfertigung der dominanten Position des Patriarchates von Rom gegenüber den östlichen Teilen der Kirche (insbesondere gegenüber dem Patriarchat von Konstantinopel) beitragen. Damit ist die „Konstantinische Schenkung“ ein Inbegriff der menschlichen Erfahrung, dass Fälschungen und Lügen wohl zu allen Zeiten gerade auch in alltäglichen Lebensvollzügen173 unabhängig von ihrer moralischen Bewertung menschliches Zusammenleben geprägt haben. Fake News sind also kein spezifisches Phänomen des 21. Jahrhunderts oder der digitalen Medien, ihre Wahrnehmung und Diskussion erfolgt jedoch mit einer zunehmenden Sensibilität, da die neu entstandenen Medienformate die Filterfunktion von Redaktionen weitgehend eliminiert haben und allen Interessierten die Möglichkeit bieten, aktiv öffentliche Diskurse mitzugestalten. Daraus leitet sich eine gesteigerte Erwartung an die Transparenz von Medienarbeit, politischen Entscheidungen und der Arbeit von Institutionen allgemein ab, wie auch der populäre Ruf nach Authentizität als Bemühen um Vertrauenswürdigkeit und Verlässlichkeit in öffentlicher Kommunikation: Die Schwierigkeit der Bewertung von verlässlichen Informationen erzeugt Unsicherheitserfahrungen („Auf wen ist noch Verlass, wenn sich selbst seriöse Informationsquellen widersprechen?“). Diese Unsicherheit legt zunächst eine Grundhaltung des Verdachtes nahe, der sich kaum durch eigene Überprüfungen ausräumen lässt, als Medienkritik formuliert wird und dabei in extreme Ausformungen von Verschwörungstheorien174 übergeht. Demgegenüber stellen der Ruf nach Transparenz175 insbesondere gegenüber Institutionen und die damit einhergehende Vulnerabilität die Spiegelung der eigenen Verunsicherung dar. Der Ruf nach Authentizität176 von Entscheidungsträger_innen und Informant_innen ist daneben die einzig verbleibende Form der Vergewisserung und Absicherung. Er ist der fast verzweifelte Versuch, einen verlässlichen Realitätsbegriff zurückzugewinnen.177 Der zunehmende Stellenwert von Transparenz und Authentizität zeigt sich damit auch als markantes Ergebnis medialer Entwicklungen. Ob sich die Kirchen als Institution und ihre Amtsträger diesen Erwartungen stellen, etwa im transparenten Agieren bei Skandalen oder im Umgang mit kirchlichen Finanzen, wird vielen Zeitgenossinnen zum Ausweis ihrer Demokratiefähigkeit. Eine unmittelbare Konsequenz für kirchliche Kommunikation und den Verkündigungsdienst ergibt sich aus der gesteigerten Erwartung an Authentizität, insofern die Bedeutung des persönlichen Glaubenszeugnisses178 innerhalb der kirchlichen Verkündigung (z. B. bei der Predigt, aber auch bei kirchlichen Sendungen) an Bedeutung zunimmt.

      Im theologischen und kirchlichen Bemühen um Fragestellungen der modernen Medien fällt auf, dass es zu ausgeprägten Einseitigkeiten der medienethischen Themenfelder kommt: etwa die medienethische Profilierung von wissenschaftlichen Instituten und Lehrstühlen oder die medienethische Ausrichtung von diözesanen und überdiözesanen Einrichtungen. Dies zeugt in der Regel einerseits davon, dass deren gesellschaftliche Prägekraft vor allem hinsichtlich ihrer problematischen Aspekte wahrgenommen wird.179 Es ist andererseits Ausdruck einer problematischen Reduzierung der kirchlichen Verkündigung auf moralische und ethische Fragestellungen, die seit der Mitte des 20. Jahrhunderts für die öffentliche Wahrnehmung der katholischen Kirche auf fatale Weise dominierend geworden ist und den Eindruck einer – freilich kaum mehr akzeptierten – „Moralagentur“180 erzeugt. Die Veröffentlichungen der Deutschen Bischofskonferenz wie auch die Einrichtung von Institutionen zeugen von dieser Einseitigkeit und sind damit womöglich Ausdruck von Verunsicherungen und Ressentiments insbesondere gegenüber digitalen Medien auf kirchenleitender Ebene.181

      Zugleich stellt die hohe Innovationsgeschwindigkeit der digitalen Medien staatliche Gesetzgebung wie auch die allgemein ethischen Reflexionen vor die Herausforderung je neuer Bewertungen und Einschätzungen. Von dieser Herausforderung sind keine gesellschaftlichen Bereiche ausgenommen, wie z. B. die Vorgaben von kirchlichen Institutionen wie Caritasverbänden und Diözesen für die Aktivitäten ihrer Mitarbeiter_innen im Bereich der Social Media zeigen.

      Die in den Social Media vervielfachte Zahl möglicher Informationsquellen und -formate können für Nutzer_innen (Rezipient_innen) zu einem Überangebot von Nachrichten führen. Die Bewertung unterschiedlicher Informationsquellen und die Reflexion der eigenen, selektiven Wahrnehmung als Grundkompetenz bürgerlichen Medienverhaltens sind damit auch elementarer Bestandteil moderner Medienpädagogik. Gerade im Segment der Social Media verschmelzen zudem die klassischen Rollen von Anbieter_innen und Nutzer_innen. Frühere Monopolstellungen zur Steuerung von öffentlicher Kommunikation sind dadurch obsolet geworden, wie sie beispielsweise für die staatlichen Sicherheitsbehörden wie die Polizei im Rahmen eines Katastrophenfalls akzeptiert waren. Niemand käme auf die Idee, im Rahmen eines Amoklaufes, wie er 2016 in München stattfand, sich durch eine polizeilich verordnete Nachrichtensperre am Posten von Bildern hindern zu lassen. Daraus entstehen nicht nur für staatliche Institutionen Anfragen an die Sicherheitsstruktur einer Gesellschaft. Die Möglichkeiten zur Veröffentlichung von Fotos, Audio- und Videoaufnahmen oder einfachen Statements von jedermann/–frau zu jeder Zeit nivelliert sehr weitgehend traditionelle Autoritäten: Hochschuldozent_innen, deren Vorlesungen aufgenommen und veröffentlicht werden; Prediger_innen und Liturg_innen, deren Gottesdienste im Livestream übertragen werden. Sie alle erleben die Ambivalenz eines potenzierten Wirkradius und damit die Aufwertung des gesprochenen Wortes durch zeitnahe Veröffentlichung.

      Versuche, mit dem „Recht am eigenen Bild“ widerstrebende Rechte miteinander abzustimmen, erscheinen eher hilflos.


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