Die katholische Kirche und die Medien. Wolfgang Beck
der Lernenden in der Zusammenstellung für ihren konkreten Bedarf im Sinne eines „autonomen Selbstlernens“142 und fördern damit – ein entscheidendes Kriterium für den Einsatz digitaler Medien in der religionspädagogischen Arbeit – die „Selbsttätigkeit“143.
Wenn sich auch in der Religionspädagogik bei Lernenden und Lehrenden in dem Bewusstsein für die Bedeutung von E-Learning und Blended Learning Unsicherheiten ergeben, kann dies viele Gründe haben (z. B. individuell unterschiedliches und generationsspezifisches Mediennutzungsverhalten). Es kann aber im Sinne eines „abduktiven Lernprozesses“144, bei dem in der Verunsicherung die Möglichkeiten neuer Erkenntnisse entstehen, eine Chance ausgemacht werden: Die Gegenüberstellung und profilierte Abgrenzung von Lernenden und Lehrenden wird in der Arbeit mit digitalen Medien nivelliert. Hier entsteht also die Möglichkeit, gemeinsam nach Antworten und Erkenntnissen zu suchen.
Grundlage für eine solche kooperative Konzeption von Religionspädagogik ist die ausreichende Kenntnis zur Nutzung digitaler Medien.145 Die Lernplattformen www.rpi-virtuell.net oder www.rpp-katholisch.de bieten dazu Materialien für die Gestaltung von Religionsunterricht und katechetischen Einheiten. Genauso wie die „Medienstellen“ der Diözesen bieten sie zudem eine Fülle von Materialien an, um der Präsenz von Religion in Internet, Film und anderen Medien nachzugehen. Derartiges Aufspüren bereits praktizierter Religiosität gehört zur religionspädagogischen Vermittlung von Wahrnehmungskompetenz und setzt sich im Kennenlernen kirchlicher Präsenz fort. Als Beispiel aus jüngerer Zeit sei hier auf den Firmkurs „vernetzt“146 hingewiesen, bei dem in die einzelnen katechetischen Einheiten auch die Arbeit mit mobilen Kommunikationsgeräten und Social-Media-Formaten integriert ist.
2.4.2. Medienethik
Mit der flächendeckenden Verbreitung der Internetnutzung im beruflichen und privaten Bereich war zu beobachten, dass hier Herausforderungen für die Formen zwischenmenschlicher Kommunikation entstanden: Wirtschaftsunternehmen und Institutionen entwickelten deshalb schon in den 1990er-Jahren für Mitarbeiter_innen Verhaltenscodices, die sich als Formen der „Netiquette“ verbreitet haben. Diese Entwicklung veranschaulicht, dass mit allen Medien auch spezifische ethische Fragestellungen aufgeworfen werden.
Die bereits aufgezeigte Instrumentalisierung von Medien im Kontext von Propaganda und politischer Manipulation haben bereits ein erstes Feld medienethischer Reflexion aufgezeigt.
Ansätze für die Frage nach einem angemessenen Umgang mit den Medien bestimmen in Deutschland vor allem in der Zeit nach 1945 das Anliegen neu aufzubauender Medienformate, vor allem im Zeitungswesen. Dabei kommt der demokratischen Absicherung durch Rundfunkräte, aber auch der journalistischen Selbstkontrolle ein hoher Stellenwert zu, um einen Schutz vor einseitiger, politischer Einflussnahme zu gewährleisten. Neben dem Schutz der Pressefreiheit (Art. 5 GG) entsteht Regulierungsbedarf insbesondere im Jugendschutz147 und beim Schutz von Persönlichkeitsrechten Einzelner, sodass es auch Missformen der „regulierten Selbstkontrolle“ gibt. Nicht nur aufgrund der technischen Entwicklung, sondern auch aufgrund der sich wandelnden Rechtswahrnehmungen entsteht die Notwendigkeit, das Maß der Regulation immer neu zu bestimmen.148 Die Rede vom „Regulierungsloch“149, etwa hinsichtlich der Verbreitung von privaten Fotoaufnahmen, offenbart, dass medienethische Bewusstseinsbildung und rechtliche Bestimmung mit technischen Entwicklungen wie auch mit dem praktischen Medienverhalten kaum Schritt halten. Die Veränderungen in der öffentlichen Wahrnehmung von Moral und Recht lassen sich leicht am Umgang mit gesellschaftlichen Normen nachzeichnen. Eine herausgehobene Bedeutung kommt in der Selbstkontrolle der Medien seit 1956 dem „Deutschen Presserat“150 zu. Dessen Ziel ist die Wahrung von Pressefreiheit und journalistischen Arbeitsmöglichkeiten (seit 2009 auch in Zuständigkeit für journalistische Onlineangebote). So gehört der Schutz von Journalist_innen ebenso zu seinen Aufgaben wie das Verhindern von Monopolisierungstendenzen, die Vertretung des Pressewesens gegenüber den staatlichen Organen und die Bearbeitung von Beschwerden. Da der Deutsche Presserat lediglich Rügen151 und Missbilligungen aussprechen kann, ansonsten aber nicht über Sanktionsmöglichkeiten verfügt, kommt es immer wieder zu Diskussionen über dessen Effektivität.152 Das größte Problem aber ist seine Beschränkung auf reine Pressearbeit, also seine fehlende Zuständigkeit für Rundfunk, Fernsehen und Internet. Ähnlich ausgerichtete Gremien als Instrumente der Medien-Selbstkontrolle entstanden mit den Rundfunk- und Fernsehräten zur Vernetzung von öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten mit der Zivilgesellschaft und zur unabhängigen Bearbeitung von Programmbeschwerden. Hinzu kommt der Deutsche Werberat153, der sich naturgemäß nicht an journalistischen Grundsätzen der Wahrheit und Informationspflicht ausrichtet.154 Im Bewusstsein dafür, dass auch Werbung in besonderer Weise eine prägende Funktion für öffentliche Kommunikation und Gesellschaftsprozesse eigen ist, richtet sich hier die Kontrolle auf Fragen wie die Frauenfeindlichkeit155, Herabwürdigung von Minderheiten oder auf die Vermeidung von „Schleichwerbung“, also der erkennbaren Trennung von journalistischem Angebot und Werbung.
Da sich zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Grenzen dieser Mediensegmente kaum noch eindeutig ziehen lassen, zeigt sich zunehmend Klärungsbedarf. Überlegungen zu einer alle Medien umfassenden „Stiftung Medientest“156 haben dies zum Ausdruck gebracht.
Unter dem Begriff der Medienethik157 haben sich unterschiedliche Arbeitsfelder und verschiedene Fragestellungen entwickelt, die hier vor allem exemplarisch aufgezeigt werden sollen: ethische Fragen in der Werbung,158 ethische Fragen im Umgang mit Bildrechten und bildethische Reflexionen,159 Manifestierungen von gesellschaftlicher Ungerechtigkeit in der Verstärkung von Geschlechterstereotypen160. Nicht erst in Fragen des Jugendschutzes wird im Hinblick auf Gesetzgebung wie auch in der medialen Selbstkontrolle das Bewusstsein für Wirkungen von Medien und öffentlicher Kommunikation reflektiert.161
Ein besonderes Feld stellen medienethische Fragestellungen im Bereich des Internets und insbesondere der Social Media dar. Aufgrund der jungen Entwicklungsgeschichte ergeben sich viele Fragen, die nicht zuvor schon in ähnlicher Weise gesellschaftlich geklärt werden konnten und Bestandteil einer „Ethik im digitalen Zeitalter“162 sind:
a) der Umgang mit einer Fülle von personenbezogenen Daten, die bei einzelnen Unternehmen gesammelt, für wirtschaftliche Zwecke genutzt oder als Ware Dritten angeboten werden,
b) die Frage von rechtlicher und ethischer Verantwortlichkeit163 weitgehend eigenständig agierender Technik,
c) die Internationalität im Umgang mit Datenschutzbestimmungen,
d) die Suchtgefahren bei internetgestützten Spielen,164 Glücksspiel und Pornografie,165
e) der Umgang mit Anonymität insbesondere im Hinblick auf Straftaten im Bereich des „Darknet“,166
f) die Ausgestaltung des Jugendschutzes in Werbung167 und Film,
g) die mangelnde Transparenz von ökonomischen Interessen innerhalb der verschiedenen Digitalformate und die Auswertung von konsumentenbezogenen Daten,
h) die Wahrung von Urheber_innenrechten,168 für die im Jahr 2017 bei der Interessenvertretung von Autor_innen und Verlagen, der VG-Wort, neue Regelungen gefunden werden konnten.
Um die gesellschaftliche Diskussion dieser Fragestellungen zu forcieren und innerhalb der EU-Staaten zu einer abgestimmten Gesetzgebung zu finden, wurde im Jahr 2016 eine „Digitalcharta“ entwickelt, in der Grundsätze für ethische Bestimmungen zur Digitalität formuliert und in das EU-Parlament eingebracht wurden (www.digitalcharta.eu). Der Diskussionsprozess dazu hält weiter an und kann in einer eigenen Internetpräsenz beobachtet und auch mitgestaltet werden.
Neben dieser Reihe von gesellschaftlichen und politischen Fragestellungen, die auf nationaler und auch auf internationaler Ebene bislang noch der Klärungen und der öffentlichen Meinungsbildungsprozesse bedürfen, gibt es auch eine Reihe medienethischer Fragen, die weniger in der Öffentlichkeit präsent sind