Bildungswertschöpfung. Walter Schöni

Bildungswertschöpfung - Walter Schöni


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(GATS) im Jahr 1995 forciert die marktliberale Politik die Öffnung der nationalen Bildungsmärkte. Sie ist im deutschsprachigen Raum weniger weit vorangeschritten als etwa im angelsächsischen. Die Forderung nach grenzüberschreitender Marktliberalisierung beruft sich auf noch unausgeschöpfte Marktpotenziale: auf die zunehmende Mobilität der Studierenden und Arbeitskräfte, die Bildungsdienstleistungen auch im Ausland beziehen; und auf die erweiterten Möglichkeiten, mit elektronischen Medien und Netzwerken räumlich und zeitlich ungebundenes Lernen zu unterstützen (Fernstudium, webbasiertes Lernen, mobiles Lernen). Mit den lerntechnologischen Innovationen haben auch internationale Anbieter wie Fachverlage, Webdienstleister oder Entwickler von Lernplattformen, also branchenfremde Unternehmen, den Einstieg ins Weiterbildungsgeschäft gefunden. Es verschärft sich damit die Konkurrenz nicht nur in den Kerntätigkeiten der Weiterbildung, sondern auch in den begleitenden Dienstleistungen (Weber 2008, 68f.).

      Genaueren Aufschluss über Anbieterstrukturen und Trends in der Weiterbildung geben die Anbieterbefragungen des Schweizerischen Verbands für Weiterbildung (z. B. SVEB 2012b). Sie basieren auf quantitativen Angaben und Trendeinschätzungen der Anbieter. An der Erhebung im Jahre 2011 haben 207 Weiterbildungsanbieter teilgenommen, wobei die großen Anbieter überproportional vertreten waren. 70 Prozent der Anbieter haben eine private, 25 Prozent eine öffentliche und 5 Prozent eine gemischte Trägerschaft. Die Stichprobe deckt nach Aussage des SVEB rund ein Drittel aller Kursangebote und ein Drittel der Teilnehmenden der Weiterbildungsbranche ab. Das traditionell geringe Engagement des schweizerischen Bundesstaats in der Weiterbildung spiegelt sich im Befund, dass 80 Prozent der befragten Anbieter ihre Angebote ganz oder teilweise aus Teilnahmegebühren finanzieren (bei den privaten Anbietern sind es sogar 88 Prozent); rund 40 Prozent können zusätzlich mit Arbeitgeberbeiträgen rechnen. Nur 47 ­Prozent der privaten gegenüber 62 Prozent der öffentlichen Anbieter können – in sehr unterschiedlichem Ausmaß – mit Beiträgen der öffentlichen Hand rechnen (a.a.O., 27).[8]

      Die weitere Marktentwicklung wird von öffentlichen und privaten Anbietern unterschiedlich eingeschätzt, wie die SVEB-Anbieterbefragung zeigt: Private Anbieter sehen sich im Wettbewerb gegenüber den öffentlichen klar benachteiligt (a.a.O., 12); sie sprechen sich umso deutlicher für die Offenlegung aller Finanzflüsse und die generelle Durchsetzung des Prinzips der Kostendeckung in der Weiterbildung aus (a.a.O., 21). Tendenziell einig sind sich Öffentliche und Private in der Frage, welche regulativen Maßnahmen die Transparenz am Weiterbildungsmarkt verbessern könnten: Qualitätssicherung durch Labels, staatliche Regelung und Normierung der Weiterbildungsabschlüsse, ein nationaler Qualifikationsrahmen und zentral koordinierte Angebotsübersichten erhalten durchweg hohe Zustimmung. Ein aktiveres staatliches Engagement, etwa in der Form von gesetzlichen Vorschriften oder behördlichem Monitoring, erhält dagegen wenig Zustimmung (a.a.O., 9). Entsprechend findet auch die Aussage, die Bildungspolitik solle den Weiterbildungsmarkt stärker regeln, durchgängig eine unterdurchschnittliche Zustimmung (a.a.O., 15).

      Bemerkenswert ist die erwähnte hohe Zustimmung zur staatlichen Regelung der Weiterbildungsabschlüsse. Drei Viertel der befragten Anbieter sind der Ansicht, dass Weiterbildung ohne staatlich anerkannten Abschluss an Bedeutung verlieren werde (a.a.O., 18). Der Bericht des SVEB fordert daher, dass absolvierte Weiterbildungen künftig als Teilqualifizierung anerkannt und »in das formale System einbezogen werden« (a.a.O., 2). Wie dies angesichts der heterogenen und dynamischen Entwicklung neuer Angebote zu bewerkstelligen ist, ohne den Weiterbildungsmarkt und seine Angebote stärker zu koordinieren, wäre zu klären. Die meisten Anbieter möchten die Regulierung des (intransparenten) Marktes darauf beschränken, dass der Staat wettbewerbsförderliche Rahmenbedingungen sicherstellt, und wenden sich gegen ein aktives Engagement des Staates. Ihre Doktrin hat sich im neuen Weiterbildungsgesetz nahezu vollständig durchgesetzt (vgl. Kapitel 2.1), dies, obwohl das bisher schon vorherrschende Modell Steuerungsdefizite und Fehlfunktionen offensichtlich nicht verhindert. Die Chance, dass die Weiterbildung dereinst kohärente Antworten auf den Strukturwandel der Arbeitswelt liefert, wird dadurch nicht besser.

      Der wirtschaftliche und soziale Strukturwandel erzeugt Weiterbildungsbedarf in den Berufsfeldern und Organisationen, und er lässt neue Weiterbildungsbedürfnisse bei den Erwerbstätigen entstehen.

      Die Weiterbildungsbranche definiert dazu passende Kompetenzziele und stellt Curricula und Qualifikationsverfahren bereit, die den Bedarf decken und für Erwerbstätige und Gesellschaft eine existenzielle Aufgabe erfüllen. So jedenfalls versteht die Weiterbildung seit jeher ihre Funktion, wie die Analyse ihrer einschlägigen Diskurse zeigt (Rosenberg 2015, 134). Die Weiterbildung begründet dies mit der in den 1970er-Jahren entstandenen Einsicht, wonach die in der Jugend erworbene formale Bildung den neuen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Anforderungen nicht mehr genüge und aktualisiert werden müsse.

      Das aktuelle Weiterbildungsangebot ist jedoch nicht als direkte Antwort auf manifeste Bedarfe und Bedürfnisse zu verstehen, es ist eine systembedingte Antwort auf den Strukturwandel. »Systembedingt« heißt: Bei der Entwicklung neuer Weiterbildungsangebote wirken jeweils etablierte Angebotsstrukturen und Leistungskapazitäten der Branche, Marktdynamiken, politische Vorgaben und Finanzierungsmechanismen mit. Die Vorstellung, das Angebot resultiere aus einer einfachen Bedarfsfeststellung und der daraus folgenden Planung von Weiterbildung, ist unangemessen, denn die Voraussetzungen solcher Steuerung fehlen. Das Weiterbildungssystem ist kontextbestimmt und pfadabhängig, d. h., seine weitere Entwicklung vollzieht sich in Abhängigkeit von bereits aufgebauten Binnenstrukturen. Es entzieht sich daher einer simplen Funktionsbestimmung.

      Hinzu kommen starke eigendynamische Momente der Expansion und Ausdifferenzierung des Angebots (der Formen und Inhalte) und der institutionellen Strukturen. Treiber dieser Entwicklung sind die Deregulierung der (internationalisierten) Weiterbildungsmärkte, die technische Diversifizierung von Lerndienstleistungen und die dadurch verschärfte Konkurrenz der Anbieter. Mit der Vielfalt der Anbieter und Geschäftsfelder steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Diskrepanzen unter den Segmenten des Weiterbildungssystems sowie zwischen diesem und dem Beschäftigungssystem kommt (Heintz 1971, 2). Denn etablierte Institutionen verfolgen eigene Bestandsinteressen: Sie beanspruchen formelle Anerkennung, Marktanteile, Erträge und Subventionen und rechtfertigen dies mithilfe von Konstrukten (»Ideologien«, a.a.O., 4), welche die Nützlichkeit des Angebots für Wirtschaft und Berufe hervorheben und das institutionelle Eigeninteresse in den Hintergrund treten lassen. So erhalten vereinfachende Deutungen der Weiterbildungsfunktion gerade in Phasen des Wachstums und der Ausdifferenzierung der Branche neuen Auftrieb.

      Was die inhaltliche Ausrichtung des expandierenden Angebots der berufsorientierten Weiterbildung betrifft, so fällt es angesichts der heterogenen Marktstrukturen und Institutionen schwer, allgemeine Aussagen zu treffen oder gar Gesetzmäßigkeiten auszumachen. Dies gilt auch für andere Länder (Tippelt 2011, 454). Dennoch gibt es typische Entwicklungsmuster in Angebotssegmenten. So stellen wir erstens einen engen Bezug zu beruflichen Funktionen in der berufsorientierten Weiterbildung mit Abschluss fest; und zweitens eine große Vielfalt, teilweise gar Beliebigkeit der Themen in der allgemeinen berufsorientierten Weiterbildung.

      Die Angebotsprogramme der berufsorientierten Weiterbildung mit Abschluss sind in den letzten Jahrzehnten ausgebaut und zugleich feiner gegliedert und gestuft worden (Weber 2013, 28f.). Diese Entwicklung hat in der höheren Berufsbildung und in der Hochschulweiterbildung stattgefunden, hier am stärksten bei den Fachhochschulen und etwas weniger ausgeprägt bei Universitäten (Fischer 2014, 31f.). Treibende Kräfte dieser Entwicklung waren und sind Veränderungen in den beruflichen Tätigkeitsfeldern, die bessere vertikale Durchlässigkeit im beruflichen Bildungssystem, ebenso die Interessen seiner Akteure. Für fast jedes zusammenhängende Aufgabenbündel und jede Qualifikationsstufe, die in beruflichen und betrieblichen Funktionen identifiziert sind, werden neue Curricula und Qualifikationsverfahren entwickelt, sofern sich


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