Bildungswertschöpfung. Walter Schöni

Bildungswertschöpfung - Walter Schöni


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an Fachhochschulen und Eidgenössischen Technischen Hochschulen erhält gesetzliche Grundlagen. Und die »Weiterbildungsoffensive« des Bundes legt ab 1990 landesweit thematische Förderungsschwerpunkte fest, zum Beispiel die technische Weiterbildung an Fachhochschulen, die Weiterbildung von Berufsleuten, von Frauen, von Ausländerinnen und Ausländern. Seither expandiert die Weiterbildung auch in der höheren Berufsbildung und an den Hochschulen. Die Aktivitäten der Fachhochschulen geraten dabei auch in Konkurrenz zur höheren Berufsbildung.

      Nach der Jahrtausendwende verstärken sich auf nationaler Ebene die Bestrebungen, die Weiterbildung bundesgesetzlich zu regeln. Im Jahr 2006 stimmt die Bevölkerung einem neuen Verfassungsartikel zu, der Weiterbildung als Aufgabenbereich des Bundes erstmals in der Verfassung verankert. Jahre später beginnen die Arbeiten am Bundesgesetz über die Weiterbildung, das die neue Weiterbildungspolitik des Bundes begründen soll. Es versteht Weiterbildung »als Teil des lebenslangen Lernens im Bildungsraum Schweiz«, so ein Kommentar des zuständigen Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation SBFI zum damaligen Gesetzesentwurf (SBFI 2013a).

      Das neue Weiterbildungsgesetz des Bundes wird 2014 vom Parlament verabschiedet und tritt Anfang 2017 in Kraft (WeBiG 2014). Es schreibt die marktliberale Doktrin fort. Vorrangiges Ziel ist gemäß Gesetzestext (Art. 4) die Sicherstellung »günstiger« Rahmenbedingungen für Weiterbildungsanbieter und für die individuelle Weiterbildungsteilnahme. Die Verantwortung ist vor allem den Einzelnen zugewiesen, während der Beitrag der Arbeitgeber erwähnt, aber nicht eingefordert wird (Schläfli 2015). Damit ist gesetzlich festgelegt, dass wichtige Ansatzpunkte zielgerichteter Weiterbildungsförderung und Steuerung auch künftig ungenutzt bleiben sollen. Dem Staat kommen weiterhin vor allem subsidiäre Aufgaben zu »in Ergänzung zur individuellen Verantwortung und zum Angebot Privater« (WeBiG 2014, Grundsätze, Art. 5).

      Zu den wenigen konkret beschriebenen Aufgaben des Bundes zählen etwa die Förderung der Grundkompetenzen Erwachsener, die Nachfragefinanzierung in begrenzten Bereichen, die Weiterbildungsstatistik (Monitoring) und die Weiterbildungsforschung. Das Gesetz definiert regulative Grundsätze zu Eigenverantwortung, Qualität, Chancengleichheit und Wettbewerbsfreiheit sowie zur Anrechnung von individuellen Weiterbildungsleistungen an die formale Bildung, deren Ausgestaltung allerdings offen bleibt. Das Gesetz ist so konzipiert, dass seine Grundsätze in den bereichsspezifischen Bildungsgesetzen konkretisiert werden, beispielsweise im Hochschulförderungs- und -koordinationsgesetz (HFKG 2011) und im Berufsbildungsgesetz (BBG 2002).

      Für alle staatlichen Aktivitäten auf dem Gebiet der Weiterbildung gilt im Übrigen die Einschränkung, dass sie »den Wettbewerb nicht beeinträchtigen« dürfen, da dies die Märkte verzerren würde. Diesem Anliegen widmet der ansonsten allgemein und knapp gehaltene Gesetzestext einen eigenen Artikel (WeBiG 2014, Art. 9). Zum bescheidenen weiterbildungspolitischen Gestaltungswillen, der im Gesetz zum Ausdruck kommt, haben sich Verbände der Erwachsenenbildung und Gewerkschaften bereits in der Entwurfsphase kritisch geäußert (z. B. SVEB 2012a; Polito 2012). Offensichtlich konnten sich im Gesetzgebungsprozess jedoch Interessenorganisationen der privaten Bildungsanbieter (z. B. der Verband edu-suisse, edu-suisse 2012), unterstützt durch Wirtschaftsverbände und bürgerliche Parlamentsmehrheit, gegen wirkungsvollere Regulierungen und zukunftsorientierte staatliche Finanzengagements erfolgreich durchsetzen. So, dass mit dem Weiterbildungsgesetz nun auch ein Wirtschaftsförderungsgesetz für die Weiterbildungsbranche vorliegt.

      Die Tatsache, dass in der Schweiz ein aktives marktordnendes und qualitätssicherndes staatliches Engagement fehlt, bedeutet aber nicht, dass die Gesamtentwicklung der berufsorientierten Weiterbildung dem »freien Spiel« der Märkte überlassen wäre. In der Art und Weise, wie das Weiterbildungssystem auf Qualifizierungsbedarfe von Wirtschaft und Arbeitsmärkten antwortet, sind durchaus strukturierende Kräfte erkennbar. Angebot und Entwicklungsdynamik werden von den bestehenden Strukturen der Bildungsbranche bestimmt, insbesondere von großen Anbietergruppen und korporativen Interessenverbünden. Diese verfolgen nicht nur weiterbildungsspezifische Zielsetzungen. Sie konkurrieren um Themenführerschaft und Alleinstellung im Geschäftsfeld, um Marktanteile und Nachfragevolumen, um staatliche Anerkennung und Förderbeiträge, um Qualitätszertifikate oder Rankingpositionen. In ihren kompetitiven Zielsystemen stehen die Kohärenz, die Transparenz und Anschlussfähigkeit der Bildungswege nicht zwangsläufig an erster Stelle. Dennoch festigen Weiterbildungsdiskurse bis heute den Glauben, das bestehende Weiterbildungssystem schaffe hohen Gebrauchswert für die Gesellschaft – überprüfen lässt sich das nur schwer, da klare weiterbildungspolitische Zielsetzungen und aussagekräftige Datengrundlagen fehlen.

      Indem das Weiterbildungsgesetz die Vorstellungswelt der Märkte und der freien Marktteilnahme bedient, entbindet es die Akteure von der Notwendigkeit, weiterbildungspolitische Grundsatzfragen überhaupt zu debattieren, denn dies wäre in der Marktlogik ein politischer Übergriff. Die Nachfrage figuriert im Gesetz als freie Marktteilnehmerin, und der Blick auf real vermachtete Märkte und Monopole, auf die Machtposition von Anbietergruppen bleibt verstellt. Diese berufen sich in ihrer Angebotspolitik denn auch gerne auf das »Marktbedürfnis« und legitimieren so ihre Verkaufsstrategie.[5]

      Unsere kritische Einschätzung der politischen und kommerziellen Struktur der berufsorientierten Weiterbildung bezieht sich hier auf das Gesamtsystem und gilt nicht für alle Teilbereiche gleichermaßen. In vielen Berufs- und Bildungssegmenten gelten heute einheitliche Standards, koordinieren die Anbieter ihr Angebot und hat sich die Kohärenz in den letzten Jahren verbessert. Dies gilt für Teile der höheren Berufsbildung, der Hochschulweiterbildung und der Weiterbildung für öffentliche Funktionen (z. B. in der Gesundheit oder der Betreuung). Für den Anbieter stehen in der Regel die bildungsinhaltlichen Anliegen im Zentrum, während wirtschaftliche und marktbezogene Ziele ebenfalls erfüllt werden müssen. Im Gesamtsystem jedoch haben sich die Gewichte verlagert. Wirtschaftliche und marktbezogene Ziele haben eine gesetzlich bestätigte Vorrangstellung. In vielen privatwirtschaftlichen und öffentlich regulierten Bereichen der Weiterbildung diktieren Strategien der Angebotsexpansion und Produktedifferenzierung den Rhythmus, unterbrochen durch Innovation und Strukturbereinigung. Das unstete Geschäft konditioniert dadurch die Nachfrage nach Weiterbildung, wie Kapitel 3.1 zeigen wird.

      Die aktuelle Weiterbildungslandschaft in der Schweiz hinterlässt den Eindruck hoher Geschäftigkeit bei mangelnder Bereitschaft zu politischer Konzeption und transparenter Regulierung von Weiterbildung. Es fehlen nicht nur regulative Bestimmungen, sondern auch weiterbildungspolitische Orientierungskriterien. Während in den Anbieterorganisationen der Weiterbildung – genauso wie im gesamten Bildungssystem (vgl. Kapitel 1.3) – Strategien forcierten Marketings und betriebswirtschaftliche Steuerungsmechanismen sich weitgehend durchsetzen, gibt es kaum konsensuale Vorstellungen darüber, wie denn in der bestehenden Bildungsordnung kontinuierliches Lernen und kohärente Bildungswege zu gewährleisten wären. Immerhin sah selbst die zuständige schweizerische Bundesbehörde, das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI), starken Verbesserungsbedarf bei der Transparenz am Weiterbildungsmarkt, bei der Qualität der Angebote, bei der Durchlässigkeit und bei den Schnittstellen zur formalen Bildung (SBFI 2013b).

      Ob mit dem neuen, weiterhin der marktliberalen Orthodoxie verpflichteten Weiterbildungsgesetz das von der Fachbehörde formulierte, anspruchsvolle Ziel eines »kohärenten Bildungsraums Schweiz« künftig erreicht werden kann, erscheint aber fraglich.

      Zum Gegenstand dieser Studie, der »berufsorientierten Weiterbildung«, zählen Angebote und Programme, die der formalen schulischen und beruflichen Grundausbildung nachgelagert sind oder diese ergänzen. Es handelt sich um Angebote der nichtformalen Bildung, wie sie im Rahmen der internationalen Systematik der Formen lebenslangen Lernens von der Unesco und der OECD definiert wurde (BFS 2013, 3; Zeuner


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