Bildungswertschöpfung. Walter Schöni

Bildungswertschöpfung - Walter Schöni


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schaffen die erforderlichen Spielräume für die »flexible« Gestaltung der Arbeitsverhältnisse, für das Personalmanagement und die unternehmerische Arbeitspolitik (Döhl, Kratzer & Sauer 2000; DGFP 2005, 18f.; Pardini & Schöni 2003). Ihr Ziel ist es, Humanressourcen intensiv zu bewirtschaften, Arbeitgeberrisiken zu minimieren, z. B. durch die Ausgliederung von vermindert Leistungsfähigen, Kranken, Älteren, und das vom Unternehmen benötigte passende Personal möglichst kostengünstig bereitzustellen (Schöni 2006a). Auch Weiterbildungsmaßnahmen werden vermehrt nach Kriterien der Personalbewirtschaftung gesteuert.

      Die Arbeitskraft wird wieder stärker zur Ware, die Nachfrageschwankungen und Beschäftigungsrisiken unterliegt. Sie muss sich auf dem Arbeitsmarkt bewegen und ihre Leistungsvorzüge aktiv vermarkten. Wer in der unsteten Erwerbsarbeit mit Leistungsdruck, gesundheitlichem Verschleiß und prekären Anstellungsbedingungen zurechtkommen soll, muss vermehrt auf Ressourcen und Dienstleistungen des familiären und sozialen Umfelds zurückgreifen (Abb. 1.2): auf emotionale Unterstützung, auf Support beim Outfit, auf Betreuung und Pflege, auf Zweiteinkommen, auf bezahlte und unbezahlte Care-Arbeit, auf sozialstaatliche Leistungen.

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      Familiäre, soziale und gemeinwirtschaftliche Ressourcen werden »unentgeltlich« genutzt, um das Arbeitsverhältnis zu stützen. Der Wandel der Erwerbsarbeit berührt somit auch die Versorgungsarbeit, und zwar für breite Bevölkerungsgruppen. In ihrer klassischen Analyse sprechen die Soziologen H. Pongratz und G. G. Voß bereits in den 1990er-Jahren von einer «Verbetrieblichung» des sozialen Umfelds der Arbeitskraft (Voß & Pongratz 1998), was die ungleiche geschlechtliche Arbeitsteilung zementiert. Dieser Trend spitzt sich mit der Ausbreitung irregulärer, nicht existenzsichernder Arbeitsverhältnisse eher zu.

      Mit der Neuordnung und Marktanbindung des Arbeitsverhältnisses ändern die Erwartungen an die Arbeitskraft. Wurden noch bis vor wenigen Jahrzehnten vor allem berufliche Perfektion, Zuverlässigkeit, Loyalität und die vorbehaltlose Umsetzung betrieblicher Anweisungen erwartet (und im besten Fall mit sicherer Beschäftigung honoriert), so sind inzwischen Fähigkeiten der Selbstorganisation, Initiative, Problemlösefähigkeit und Kundenorientierung stärker gefragt. Auf solche Ressourcen hat der Betrieb nicht ohne Weiteres Zugriff, sie müssen vom arbeitenden Subjekt in eigener Initiative gepflegt, mobilisiert und in den Dienst der beruflichen Aufgabe gestellt werden. Um dies zu erreichen, setzt die Personalführung immaterielle Anreize und andere »Motivationshilfen« ein.

      Es findet somit eine kognitive und affektive Subjektivierung der Arbeitsleistung (Moldaschl 2003; Rau 2005) statt, die im Konzept der unternehmerischen Arbeitskraft ihren Ausdruck findet (Voß 2001; Schöni 2000). Diese ist zur Leitfigur des Managements geworden und passt zum flexibilisierten Arbeitsverhältnis.[2] Die unternehmerische Arbeitskraft steht für die erfolgreiche Kombination zweier Aspekte von Subjektivierung: der Selbstunterwerfung im Arbeitsprozess und der erfolgreichen Nutzung individueller Leistungspotenziale am Arbeitsmarkt. Die unternehmerische Arbeitskraft nutzt beides. Sie stellt ihr Leistungsvermögen dem Arbeit- oder Auftraggeber befristet zur Verfügung; dieser erhält so Zugriff auf hoch entwickelte Leistungsressourcen; sie sucht danach ein nächstes Arbeitsumfeld, erweitert ihr »Portfolio« und steigert ihren Marktwert.

      In der Figur der unternehmerischen Arbeitskraft findet die »Subjektivierung« der Arbeitstätigkeit ihren verdichteten Ausdruck, was sich in den Qualifizierungsperspektiven niederschlägt. Qualifizierung wird zum persönlichen Anliegen, zur individuellen »Investition« und Selbstkapitalisierung (Wrana 2006, 9f.), die sich am Arbeitsmarkt in Einkommenszuwachs und Laufbahnschritten auszahlt – sich zuweilen aber auch als Fehlinvestition erweist. Ganz im Sinne dieser Subjektivierung richten viele Firmen ihre Personalpolitik explizit darauf aus, die »Arbeitsmarktfähigkeit« der Angestellten zu fördern; diese sollen im Gegenzug auf die Forderung nach Beschäftigungssicherheit verzichten. Studien zeigen indessen, dass weniger qualifizierte Personalgruppen von wirksamen Förderungsmaßnahmen sehr oft ausgeschlossen werden (Raeder & Grote 2003; 2007).

      Da Beschäftigte mit Qualifikation, Leistungsfähigkeit, Gesundheit, sozialer und materieller Absicherung sehr unterschiedlich »ausgestattet« sind, verfügen sie über ungleiche Spielräume für Qualifizierungsaktivitäten: Hoch Qualifizierte, die frühzeitig gelernt haben, ihre Bildungsbiografie zu planen und ihr Portfolio zu bewirtschaften, suchen gezielt flexible Arbeitsverhältnisse und nutzen Entwicklungschancen, insbesondere wenn sie sich sozial und familiär nicht verpflichtet sehen. Weniger Qualifizierte verbleiben dagegen oft in konventionellen Arbeitsverhältnissen, für die geringe Qualifizierungschancen, betrieblich verordnete Flexibilisierung, Leistungsverdichtung und Entlassungsrisiken typisch sind. Der daraus erwachsende Druck ist umso höher, je größer die soziale und familiäre Verpflichtung dieser Personen ist.

      Die ungleiche Verteilung beruflicher Entwicklungschancen und Ressourcen bildet sich in der Nachfrage nach berufsorientierter Weiterbildung ab. Wer in der Lage ist, seine Laufbahn zu optimieren, beansprucht Angebote des oberen Preissegments, die individualisiertes Lernen, gute Vernetzungsmöglichkeiten und prestigeträchtige Zertifikate bieten. Wer dagegen von Erwerbsrisiken bedroht oder arbeitslos ist, durchläuft mit größerer Wahrscheinlichkeit zugewiesene arbeitsmarktbezogene Maßnahmen (Nachholbildung, Bewerbungstrainings) oder bemüht sich um die Validierung nichtformaler Kompetenzen. Anbieterstrategien, Angebotsstrukturen und Finanzierungsmechanismen der Weiterbildungsbranche bestimmen darüber, mit welchen Angeboten die Nachfrage gedeckt wird (vgl. Kapitel 2).

      Mit dem Wandel der Arbeitsverhältnisse und des Personaleinsatzes in den Unternehmen verändern sich auch Nachfrage und Angebot an Arbeitskräften, es verändert sich somit die Struktur des Arbeitsmarktes. Tradierte berufsständische Zugangsregelungen sind gelockert, Unternehmen richten ihren Rekrutierungsfokus auf neue, teils branchenfremde Berufe und Qualifikationsprofile. Es kommt zu Verschiebungen in der Hierarchie und im Arbeitsmarktwert von Bildungsabschlüssen. Zu beobachten sind zum einen die Öffnung von Teilarbeitsmärkten für neue Qualifikationsgruppen, zum anderen aber neue Segmentierungen als Folge von neuen berufsständischen Abgrenzungen und selektiver Personalpolitik der Unternehmen. Diese Veränderungen strukturieren die Nachfrage nach Weiterbildung, etwa hinsichtlich der Themen, Kompetenzen, Bildungsabschlüsse und Anschlussmöglichkeiten.

      Die Neuordnung beruflicher Funktionen und die Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse in den Unternehmen finden ihren Niederschlag in der Nachfrage nach und im Angebot an beruflichen Profilen am Arbeitsmarkt (Dostal 2007). Das nachgefragte »berufsförmig geformte Arbeitsvermögen« (Brater 2010, 806) verändert seine Zusammensetzung: Schwindende Beschäftigungsbereiche in Industrie oder Dienstleistungen verlieren am Arbeitsmarkt an Bedeutung; Teilarbeitsmärkte entfallen, wenn die Einsatzbereiche bisher getrennter Berufs- und Qualifikationsgruppen sich zu überschnei­den beginnen oder wenn tradierte Berufsrollen z. B. in Hightech-Branchen ihre Konturen verlieren; der Zugang zu beruflichen Positionen wird erleichtert, weil Firmen vermehrt auf »Quereinsteiger/innen« setzen. Bisher berufsständisch und/oder hoheitlich regulierte Teilarbeitsmärkte werden grenzüberschreitend geöffnet, beispielsweise wurde die Berufsausübung für freie Berufe zwischen der EU und der Schweiz abgestimmt.

      Damit erweitern sich die Zugangsmöglichkeiten der Arbeitskräfte zum Arbeitsmarkt, und die Unternehmen erhalten vielfältigere Rekrutierungsmöglichkeiten. Der Arbeitsmarktwert von Berufs- und Qualifikationsgruppen pendelt sich aber oft erst über längere


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