Bildungswertschöpfung. Walter Schöni

Bildungswertschöpfung - Walter Schöni


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heterogene) empirische Evidenz. Diese Grundlagen sind für eine Einschätzung der Wirksamkeit zusammenzuführen. Was das Geschäft der Weiterbildung betrifft, also die Konzeption, Vermarktung und Verwertung von Bildungsdienstleistungen, so hilft uns die Wertschöpfungstheorie und Wertschöpfungsanalyse weiter. Sie nimmt (einzelwirtschaftliche) Geschäftsbeziehungen, Geschäftsfelder und Branchen in den Blick; sie hat sich bisher allerdings kaum mit der Weiterbildungsbranche befasst, und umgekehrt sind ihre Konzepte in den Bildungswissenschaften kaum rezipiert worden.[1] Was die Märkte der berufsorientierten Weiterbildung betrifft, so erlaubt die Datenlage zur Situation in der Schweiz nur grobe Trendeinschätzungen. Unsere Analyse verfolgt einen politisch-ökonomischen Ansatz, der Weiterbildungsmärkte nicht als Sphäre selbsttätiger Marktgesetze versteht, sondern nach außerökonomischen Bestimmungskräften wie Macht, Interessen und Prestige fragt.

      Die Ziele dieser Studie lassen sich wie folgt umreißen: Erstens geht es darum, gestützt auf sozial- und bildungswissenschaftliche Erkenntnisse ein Raster zu entwickeln, das uns erlaubt, die gesellschaftliche Wirksamkeit des Systems der berufsorientierten Weiterbildung einzuschätzen, summarisch zwar, aber auf empirischer Evidenz basierend. Das Raster dient in der Studie mehrfach als Referenz. Zweitens ist ein theoretischer und methodischer Ansatz zu erarbeiten, der erlaubt, das Wertschöpfungspotenzial von Bildungsdienstleistungen zu objektivieren, es vergleichend zu bewerten und Bezüge zu Wirtschaft und Gesellschaft herzustellen. Drittens soll auf werttheoretischer Grundlage erörtert werden, worin die symbolische Ordnung und die Stabilität der Weiterbildungsmärkte gründen. Und viertens sollen aus diesen Analysen neue Kriterien und Orientierungslinien hervorgehen, die in die Steuerung von Weiterbildung und in die weiterbildungspolitische Debatte einfließen.

      Teil I setzt ein beim Strukturwandel der Arbeitswelt. Er analysiert die Rolle der Weiterbildung und untersucht ihre gesellschaftliche Wirksamkeit. Der Weiterbildung fehlt es nicht an geschäftlicher Dynamik, wohl aber an qualifikationspolitischer Orientierung. Ersatz bietet hier das Konzept der Bildungswertschöpfung, das in der Weiterbildungsdiskussion bisher allerdings keine Rolle spielt. Teil II erarbeitet methodische Grundlagen für die Analyse von Bildungswertschöpfung, Teil III befasst sich mit den Leistungsprozessen der Weiterbildung. Teil IV führt die Ergebnisse zusammen. Er fragt nach der symbolischen Ordnung der Weiterbildungsmärkte, skizziert Ansätze der Marktsteuerung und benennt kontroverse Themen der Weiterbildungspolitik.

      Die vier Teile der Studie sind als Einheiten mit je eigenen theoretischen und empirischen Bezügen konzipiert. Sie bewegen sich nicht nur in den disziplinären Grenzen der Bildungswissenschaften, sondern integrieren bildungsfremde Ansätze. Sie stellen Instrumente für die Entwicklung und Bewertung von Weiterbildungsangeboten zur Verfügung. Im Folgenden finden die Leserinnen und Leser eine detaillierte Beschreibung der Inhalte und Argumentationslinien der Studie. So können sie Teile für eine selektive Lektüre auswählen.

      Teil I: Entwicklungsdynamik der berufsorientierten Weiterbildung

      Ausgangspunkt ist der Strukturwandel der Arbeitswelt und der Bildung in den letzten Jahrzehnten. Mit dem Wandel haben sich Bezugssysteme und Vorgaben der berufsorientierten Weiterbildung verschoben. Wie antwortet die Branche darauf, wie orientiert sich ihre Angebotspolitik?

      Kapitel 1 beschreibt erstens, wie Arbeitsverhältnisse flexibilisiert und die Arbeitskräfte enger an die Märkte angebunden wurden; zweitens, wie sich Angebots- und Nachfragestrukturen am Arbeitsmarkt verändert und Segmentierungen neu herausgebildet haben; und drittens, wie durch bildungspolitische Reformen und internationale Regulierungen die Bildung standardisiert, aber nicht immer kohärenter gestaltet worden ist. Festzuhalten ist: Die großen Veränderungen erzeugen ständig neue Lernbedarfe. Sie halten das Bildungsgeschäft im Gang, schaffen aber auch Unsicherheiten für Beschäftigte.

      Am Beispiel der Schweiz analysiert Kapitel 2, wie sich das System der berufsorientierten Weiterbildung entwickelt hat, wie es auf den Strukturwandel der Arbeitswelt reagiert, wie die Weiterbildungsmärkte funktionieren und wie sie gesteuert werden. Weiterbildungsmärkte sind weniger durch das freie Spiel von Angebot und Nachfrage als durch Anbieterstrukturen und korporative Interessenverbünde geprägt. In vielen Teilbereichen der Weiterbildung sind funktionale subsidiäre Lösungen entstanden, im Gesamtsystem jedoch beanspruchen Sonderinteressen und bildungspolitische Zuständigkeitskonflikte sehr viel Raum. Von diesen Realitäten weitgehend unberührt, pflegt die Weiterbildung ihren Marktdiskurs. Gleichzeitig wird eine zielführende politische Regulierung unterbunden, wie das neue schweizerische, per 1. Januar 2017 in Kraft getretene Weiterbildungsgesetz deutlich erkennen lässt.

      Kapitel 3 fragt nach der gesellschaftlichen Wirksamkeit des Weiterbildungssystems. Die Einschätzung der Wirksamkeit erfolgt anhand von vier sozial- und bildungswissenschaftlichen Dimensionen: Bedarfsgerechtigkeit des Angebots, Kohärenz der Bildungswege, Regulier- und Steuerbarkeit des Systems sowie Egalisierung der Bildungschancen. Das Weiterbildungssystem der Schweiz zeigt grundlegende Wirksamkeits- und Orientierungsdefizite. Die ideologische Fixierung auf Markt und Wettbewerb scheint jedoch zu verhindern, dass solche Defizite wahrgenommen und korrigiert werden, was für den Fortgang der Studie die Frage aufwirft, wie Leistungen der Weiterbildung künftig angebotsunabhängig und segmentübergreifend objektiviert werden könnten; und ob sich daraus Orientierungslinien für eine zielorientierte Weiterbildungspolitik gewinnen lassen.

      Teil II: Wertschöpfung der berufsorientierten Weiterbildung

      Dieser Teil befasst sich mit den Grundlagen der Bildungswertschöpfung. Ziel ist, die von Bildungsdienstleistungen erzeugten Werte zu analysieren und daraus Kriterien zu gewinnen für die Bewertung von Weiterbildungsleistungen, für die Angebotsentwicklung und für die Weiterbildungspolitik. Die Überlegungen knüpfen an Theorien der Wertschöpfung, der Dienstleistung und des Prozessmanagements an, d. h. an betriebswirtschaftlich geprägte Theoriestränge. Ihre Begriffe und Konzepte werden referiert und in der bildungswissenschaftlichen Diskussion verortet.

      In einem ersten Schritt wendet Kapitel 4 dienstleistungstheoretische Konzepte auf die Bildung an. Für Bildungsdienstleistungen gelten die Merkmale einer »starken Kundenintegration«, typisch für personenbezogene Dienstleistungen: Weiterbildung führt nur in der direkten Zusammenarbeit mit Teilnehmenden, Abnehmern und Auftraggebern zu Lernfortschritten. Leistungsprozesse der Weiterbildung sind daher nur begrenzt standardisierbar und steuerbar. Die Weiterbildung ist mit heterogenen Nutzenerwartungen, Lern- und Handlungsbedingungen konfrontiert. Anbieter müssen mit diesen Gegebenheiten produktiv arbeiten, sie können sich nicht damit zufrieden geben, vorgefertigte Lernsettings zu inszenieren. Praxisrelevanz und Gebrauchswert der von Lernenden und Bildungsfachpersonal gemeinsam erbrachten Lernleistung müssen klar ersichtlich sein.

      Anknüpfend an die betriebswirtschaftliche Definition von Wertschöpfung, fragt Kapitel 5 nach dem spezifischen Charakter von Bildungswertschöpfung. Es referiert Wertschöpfungsmodelle der Industrie und des Dienstleistungssektors, um dann die Wertschöpfung von kursförmigen, beratenden und intermediären Bildungsdienstleistungen mit ihren Leistungslogiken, Wert- und Kostentreibern zu rekonstruieren. Es werden die monetären Werte und Gebrauchswerte der Weiterbildung bestimmt, und zwar aus Kunden- und aus Anbietersicht. Die Analyse der Wertschöpfung richtet ihren Fokus auf die einzelwirtschaftliche Ebene. Sie wird am Fallbeispiel »Förderungsprogramm für Führungskräfte« illustriert.

      Kapitel 6 weitet die Konzeption der Bildungswertschöpfung auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bezugssysteme aus, in denen Bildungsdienstleistungen erbracht werden. Es macht deutlich, dass Bildungswertschöpfung – wie andere wertschaffende Aktivitäten – nicht nur von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des einzelnen Anbieters und vom Engagement der Lernenden


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