Bildungswertschöpfung. Walter Schöni

Bildungswertschöpfung - Walter Schöni


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die berufsorientierte Weiterbildung darauf in wirksamer Weise antwortet.

      Kapitel 1 beschreibt den tief greifenden Wandel von Arbeitsverhältnissen, Unternehmen, Arbeitsmärkten und Bildungssystem. Es fragt, was der Wandel für die berufliche Qualifizierung bedeutet. Die Ausführungen stützen sich auf Erkenntnisse der industriesoziologischen Forschung, der arbeitswissenschaftlichen Forschung und der Qualifikationsforschung. Kapitel 2 analysiert Ursprünge und Politik der Weiterbildung am Beispiel der Schweiz. Es definiert die Angebotssegmente der berufsorientierten Weiterbildung, die Gegenstand dieser Studie sind. Und es beschreibt Märkte, Branchenstrukturen und Entwicklungsdynamik des Weiterbildungsangebots.

      Kapitel 3 untersucht die gesellschaftliche Wirksamkeit des Weiterbildungssystems. Inwieweit deckt es Qualifizierungsbedarfe, stellt es kohärente Bildungswege bereit, reguliert es die Anbieterleistungen und sorgt es für Chancenausgleich? Die Analyse stützt sich auf Befunde der Weiterbildungsforschung und auf Beobachtungen zum Weiterbildungsgeschäft. Die Resultate zeigen, dass das System der berufsorientierten Weiterbildung einer Reorientierung bedarf. Es braucht allgemeine Orientierungslinien und Kriterien, um im Umfeld des Wandels seine Angebote und Leistungsprozesse zielgerichtet gestalten zu können. Anregungen dazu finden wir bei wertschöpfungs- und dienstleistungstheoretischen Ansätzen. Sie werden in Teil II auf die berufsorientierte Weiterbildung angewendet.

      Für den Zeitraum der letzten dreißig bis vierzig Jahre konstatiert die Forschung grundlegende Veränderungen in Wirtschaft und Arbeitswelt. Dieses Kapitel beleuchtet einige Punkte, die für die berufsorientierte Weiterbildung wichtig sind (Abb. 1.1).

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      Die nachstehenden Stichworte deuten die Tragweite der Veränderungen an:

      –Arbeitsverhältnisse unter Marktdruck: Unternehmen agieren an globalen Märkten, Wirtschaftsstandorte stehen im Wettbewerb. Arbeitsverhältnisse und Personalressourcen werden daher intensiver bewirtschaftet. Die Ideologie der »unternehmerischen Arbeitskraft« zeugt vom Bestreben, auch die subjektiven Leistungsressourcen der Beschäftigten zu mobilisieren (Kapitel 1.1).

      –Arbeitsmarkt – Deregulierung und ihre Folgen: Flexibilisierung und grenzüberschreitende Öffnung des Arbeitsmarkts lösen auch gegenläufige Kräfte aus. Neue Qualifikationshierarchien und soziale Segmentierungen begrenzen die Beschäftigungschancen; wer über geringe Chancen verfügt, gerät in den Fokus der »aktivierenden« Arbeitsmarktpolitik (Kapitel 1.2).

      –Bildungssystem im Fokus der Politik: Bildungsreformen zielen auf mehr Kohärenz. Sie bereiten den Boden für international einheitliche Regulierungen (»Bologna«, »Kopenhagen«), für die standardisierte Leistungsmessung und den Wettbewerb der Bildungsstandorte. Dies trägt jedoch wenig bei zur Chancengleichheit in der beruflichen Bildung (Kapitel 1.3).

      Im Folgenden werden wichtige Veränderungen und ihre Folgen thesenartig referiert und eingeordnet. Dabei ziehen wir Erkenntnisse der Arbeits- und Industriesoziologie, der Arbeitsmarkt- und der Bildungsforschung bei und fragen nach ihrer Bedeutung für die berufsorientierte Weiterbildung.

      Arbeitsverhältnisse im Unternehmen, berufliche Funktionen, Anforderungsprofile und die Identität der Arbeitskraft sind seit jeher wichtige Bezugspunkte für die berufsorientierte Weiterbildung. Sie verändern sich unter dem Einfluss der wirtschaftlichen Globalisierung und des (Standort-)Wettbewerbs. Unternehmen richten ihre Geschäftsprozesse auf globale Märkte aus und stellen ihre Führungs- und Personalwirtschaftskonzepte um. So, wie Unternehmen stärker »vom Markt her geführt« werden, so wird auch die Arbeitskraft stärker an den Markt angebunden. Sie ist gehalten, selber für marktgerechte Leistungsfähigkeit zu sorgen, eine Grundausstattung an Qualifikation, Motivation und Gesundheit mitzubringen und den persönlichen »Auftritt« zu pflegen. Der Strukturwandel der Arbeit hat zur Folge, dass die Anforderungen an die Arbeitskräfte steigen oder zumindest vielfältiger werden. Es erweitern sich sowohl betriebliche und arbeitsprozessbezogene Qualifizierungsbedarfe als auch individuelle Qualifizierungsbedürfnisse. Beides steigert die Nachfrage nach Angeboten der Weiterbildung – und verändert die gesamte Ökonomie der Arbeitskräftereproduktion. Zu erhalten sind neben den physischen und psychischen Leistungsressourcen auch die Wissensressourcen, die beruflichen Kompetenzen und die sozialen Unterstützungsnetze.

      Die Ausrichtung aller Geschäftsaktivitäten am (Welt-)Markt erzwingt interne Reorganisationen und Effizienzsteigerung. Sie beherrschen das Geschehen in privatwirtschaftlichen genauso wie in öffentlich-rechtlichen Unternehmen. ­Diese positionieren sich auf internationalisierten Märkten und passen ihre internen Strukturen laufend an: Die Kernprozesse von der Beschaffung bis zum Absatz, aber auch unterstützende Prozesse werden hinsichtlich ihrer Effektivität, ihres Kosten- und Wertbeitrags optimiert.

      Durch die Wahl von Standorten und Kooperationen optimieren Unternehmen Beschaffung und Absatz, und sie sichern sich den Zugriff auf Wissen und andere Ressourcen. Da jedoch erworbene Vorteile an den Märkten nie unbestritten bleiben, werden strategische Ausrichtung und interne Reorganisation zur Daueraufgabe, und es entsteht ständiger Anpassungsdruck bei den Arbeitsprozessen (»permanente Reorganisation«, Sauer 2010, 561f.).

      Dabei verändern sich Arbeitsbedingungen und Personaleinsatz. Berufliche Funktionsfelder mit ihren Abgrenzungen und Schnittstellen werden neu definiert und entlang der Prozesskette reorganisiert; Arbeitsabläufe werden vernetzt und erfordern breiteres Wissen; das – zahlenmäßig reduzierte – Personal wird in fachlicher, organisatorischer, zeitlicher und räumlicher Hinsicht flexibel eingesetzt, intensiv genutzt und kostenmäßig optimiert (Döhl, Kratzer & Sauer 2000). Höhere Effektivität stellt sich aber nur ein, wenn sämtliche Stellen im Unternehmen Ergebnisverantwortung übernehmen, was voraussetzt, dass sie über die nötigen Prozesskenntnisse und Gestaltungsspielräume verfügen (Marrs 2010). Dies gilt selbst für sogenannt »einfache Arbeiten« in Industrie und Gewerbe (Zeller, Richter & Dauser 2004). Modernes Management setzt daher auf indirekte Führung, kombiniert mit materiellen oder immateriellen Anreizen, welche die subjektiven Leistungsressourcen der Arbeitskraft – Motivation, Verantwortungsgefühl, Loyalität, Problemlösungsfähigkeit, Kreativität – für den betrieblichen Leistungsprozess erschließen. Entsprechend verändern sich die Inhalte der berufsorientierten Weiterbildung, auch der Personalweiterbildung.

      Dies alles trifft die Institution des Arbeitsverhältnisses im Kern. Das Management holt den Markt gezielt in die Geschäfts- und Arbeitsprozesse hinein (Dörre 2003). War das Arbeitsverhältnis nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1980er-Jahre zumindest in den Kernbereichen der Wirtschaft durch arbeitsgesetzliche und tarifvertragliche Regelungen vor kurzfristigen Marktschwankungen geschützt, gewinnen seither Elemente einer »Marktsteuerung« an Bedeutung. Es sind dies:

      –Leistungsaufträge, auslastungsabhängige Arbeitszeiten, leistungs- und ertragsabhängige Lohnbestandteile;

      –Konkurrenz zwischen Arbeitsteams, Outsourcing von Supportleistungen, direkter Einbezug des Kunden in den Auftragsprozess;

      –befristete Anstellungen und Personalausleihe, Subunternehmertum, Lockerung


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