Bildungswertschöpfung. Walter Schöni

Bildungswertschöpfung - Walter Schöni


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aktiv mitwirken. Eine Bildungsdienstleistung erbringen heißt sie auf die Handlungsfelder der Lernenden ausrichten, verbindliche Beziehungen eingehen und in der Zusammenarbeit lernen.

      Die kooperative Leistungserbringung wird jedoch für das boomende Weiterbildungsgeschäft zum Hindernis. Weiterbildungsmärkte funktionieren wie andere Märkte nach der Logik des Wachstums, der Marktbeherrschung und der Verdrängung von Konkurrenten. Im Kampf um Themenführerschaft und Marktanteile, um Rankingpositionen und Renditeziele geraten soziale Beziehungsstrukturen des Lernens aus dem Blick. Die Weiterbildungsbranche ist bestrebt, für beliebige Veränderungen im Geschäftsfeld »Arbeitswelt« passende Bildungs- und Beratungsangebote bereitzuhalten, die Nachfrage zu lenken und die Geschäfte voranzutreiben; ihren Fokus hat sie längst auf das »Produkt« und seinen Absatz verlagert. Weiterführende Ziele der Zusammenarbeit, der Befähigung und gesellschaftlichen Entwicklung verlieren an Bedeutung. Je mehr aber Bildungsanbieter den Marktanteil und die Nachfragenden das Abschlusszertifikat ins Zentrum stellen, desto wichtiger wird das Preis-Leistungs-Verhältnis dieses Produkts, und desto austauschbarer werden seine Inhalte und Prozesse.

      Der Primat des Produktabsatzes prägt das Geschäftsverhalten. Öffentlich-rechtliche und privatwirtschaftliche Bildungsanbieter scheinen in ihrer Marktoffensive zu »vergessen«, dass die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wertbeiträge, mit denen sie werben und ihr Angebot rechtfertigen, verpflichtend sind: dass selbst das trendigste Angebotssortiment ein Leistungsversprechen darstellt; dass das Angebot seinen Gebrauchswert nur in kooperativen Prozessen realisieren kann; und dass der Gebrauchswert einem gesellschaftlichen Bildungsauftrag entsprechen und Anerkennung finden sollte. Diese Verpflichtungen werden öffentlich zwar kaum bestritten, durch die Praxis aber konterkariert. Vom Anbieter vororganisierte und kontrollierte Lernsettings bestimmen die Abläufe des Lehrens und Lernens. Wirtschaftlichkeitsvorgaben beschränken den Spielraum, den das Fachpersonal erhält, um Lernvoraussetzungen zu klären, Lerntransfer zu begleiten und wertschätzenden Service zu erbringen, kurz: um den Gebrauchswert des Lernens zu sichern.

      Die Weiterbildung verantwortet diese Prioritätensetzung nicht allein, sie ist aber zum Treiber der Absatzorientierung geworden, mit qualifizierungspolitisch fragwürdigen Folgen. Einseitig funktional interpretierte Bildungsbedarfe und kurzlebige Trends geben heute die Richtung der Angebotsentwicklung vor; und die Leistungserbringung hat formale Ziele des Umsatzes, der Wirtschaftlichkeit und Kundenzufriedenheit zu erfüllen. In vielen Angebotsbereichen, selbst bei öffentlichem und gemeinnützigem Leistungsauftrag, entscheidet die Marktgängigkeit über das Angebot. Marketingmethoden der Konsumwirtschaft werden auf die Bildung übertragen. Was nicht unbedingt dem Marketing anzulasten ist, schon eher dem kommerzialisierten Selbstverständnis vieler Anbieter und Programme der Weiterbildung.

      Umso grundsätzlicher ist zu fragen: Nach welchen markt- und anbieterunabhängigen Kriterien ließen sich Leistungsangebot und Wertbeiträge der Weiterbildung beurteilen? Wie wäre das Leistungsangebot weiterzuentwickeln, welche weiterbildungspolitischen Folgerungen wären möglich? Im Gesamtsystem der berufsorientierten Weiterbildung fehlen heute die Grundlagen für eine Beantwortung dieser Fragen. Zum einen sind die Bildungsaufträge seitens der Wirtschaft und der Gesellschaft, an denen das Leistungsangebot zu messen wäre, in der Geschichte der Weiterbildung schon frühzeitig abhandengekommen. Zum anderen mangelt es der Branche an eigenen weiterführenden Visionen, die den spezialisierten Bildungswegen und Bildungsgängen heute Orientierung geben könnten.

      Gesucht sind daher wissenschaftlich fundierte Ansätze, nach denen wir die von der Weiterbildung erbrachten Leistungen und geschaffenen Werte kategorisieren, objektivieren und vergleichend bewerten können. Wertkategorien der Weiterbildung sind etwa monetäre Anbietererträge, qualifikatorische Fortschritte von Lernenden und Abnehmern, ferner Wertbeiträge an die Wirtschaftsregion, an die Lösung sozialer Probleme, an gerechtere Sozialsysteme. Wertschöpfung und Wertbeiträge von Bildungsdienstleistungen zu beurteilen, setzt allerdings voraus, dass wir einen für die Bildung tauglichen Wertschöpfungsbegriff besitzen und Wertgrößen methodisch verlässlich erfassen können.

      Die begrifflichen und methodischen Grundlagen gilt es zu erarbeiten. Anregung dafür finden wir unter anderem in den Wirtschaftswissenschaften, insbesondere bei der Wertschöpfungstheorie und dem Dienstleistungsmanagement. Sie machen darauf aufmerksam, dass Wertschöpfung an Voraussetzungen gebunden ist und Standards zu beachten hat. Bei Dienstleistungen sind die Kundenanforderungen genau abzuklären, damit die Kundinnen und Kunden im ganzen Leistungsprozess eine produktive Dienstleistungshaltung erkennen können. Welche Werte dabei geschaffen werden, wie sie objektiviert und beurteilt werden, ist Gegenstand der Wertschöpfungsanalyse. Diese Aspekte sind auch für die Bildungsdienstleistung überlegenswert. Die Auseinandersetzung damit hilft, die oft ungenau formulierte Kritik an der Ökonomisierung der Bildung zu schärfen.

      Die vorliegende Studie findet konzeptuelle Anregung somit auch außerhalb der Bildungswissenschaften. Sie macht wirtschaftswissenschaftliche Konzepte für die Wertschöpfungsdiskussion in der Weiterbildung nutzbar. Sie bezieht sich zudem auf soziologische Dimensionen, um die Wirksamkeit des Weiterbildungssystems einzuschätzen. Und sie rekonstruiert mit diskursanalytischen Mitteln die symbolische Ordnung der Weiterbildungsmärkte, die bislang verhindert, dass der Wertbeitrag des Weiterbildungsgeschäfts unter die Lupe genommen wird. Die Auseinandersetzung mit solchen »bildungsfremden« Ansätzen bringt neue Impulse für die Weiterbildungsdiskussion. Sie macht eine theoretische Integration zwar nicht einfach, führt aber zu alternativen Konzepten, die Anbieter und Bildungsfachleute in ihrer Praxis unterstützen, ihre Leistungen zu analysieren und zu verbessern.

      Der Fokus der Studie liegt auf der berufsorientierten Weiterbildung: auf ihrem Geschäft, ihren Märkten und Diskursen, auch auf ihrem institutionellen System. Mit dem Begriff »berufsorientierte Weiterbildung« bezeichnen wir die der beruflichen und schulischen Ausbildung nachgelagerte, sie ergänzende Weiterbildung in den Segmenten 1. höhere Berufsbildung, 2. Weiterbildung an Hochschulen,

       3. allgemeine berufsorientierte Weiterbildung (inklusive betriebliche Weiterbildung, Personalentwicklung), 4. arbeitsmarktbezogene Weiterbildung und 5. Weiterbildung für öffentliche Funktionen (zur Systematik vgl. Kapitel 2.2). Die Ausführungen der Studie konzentrieren sich auf die Angebotssegmente 1 bis 3, sie lassen sich unter Beachtung der Spezifika auch auf die anderen Segmente anwenden.

      Berufsorientierte Weiterbildung als Geschäft, als Dienstleistung begreifen heißt, sich eingehend mit Nutzenerwartungen der Kundinnen und Kunden, mit kooperativen Leistungsprozessen, mit wirtschaftlicher Vernetzung, mit gesellschaftlicher Anerkennung und Verwertung von Bildungsleistungen zu befassen. Zu ihren Resultaten zählen nicht bloß bildungsökonomische Wertgrößen (Bildungsrenditen, wirtschaftlicher Output der Branche), sondern ebenso Gebrauchswerte für Lernende und Unternehmen, für Wirtschaft und Gesellschaft.

      Die Studie analysiert das Wertschöpfungspotenzial der Weiterbildung in diesen erweiterten Kontexten. Sie geht den folgenden Fragen nach:

      –Welches sind die relevanten Bezugssysteme und Einflussfaktoren der berufsorientierten Weiterbildung?

      –Wie gut erfüllt das berufsorientierte Weiterbildungssystem seine Funktionen für Wirtschaft und Gesellschaft, wie wirksam ist es?

      –Wie unterscheiden sich Bildungsdienstleistungen von anderen Wirtschaftsaktivitäten, etwa bezüglich Kundenbeziehung, Abwicklung, Ergebnis?

      –Welche Werte erzeugen Bildungsdienstleistungen für Einzelne, Wirtschaft und Gesellschaft? Wie werden die Leistungen anerkannt und verwertet?

      –Welchen Einfluss haben Leistungsprozesse und Interaktionen auf die Wertschöpfung von Bildungsdienstleistungen?

      –Welche Rolle spielen arbeitsteilige Wirtschaftssysteme und Bildungsstrukturen für die Wertschöpfung von Bildungsdienstleistungen?

      –Welche ökonomischen und außerökonomischen Kräfte bestimmen den Weiterbildungsmarkt, worin gründet seine Stabilität?

      Was die Bezugssysteme und Funktionen der berufsorientierten Weiterbildung betrifft,


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