Bildungswertschöpfung. Walter Schöni

Bildungswertschöpfung - Walter Schöni


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durch modularisierte Studienstrukturen; Ausrichtung der Curricula auf berufsrelevante Zielkompetenzen; Individualisierung des Lernens und Förderung des Lerntransfers.

      –Ausbildungsorganisation, Lernzeiten und Lernorte sind den Lernbedürfnissen Erwachsener besser angepasst.

       Beispiele: Vernetzung der Lernorte, virtuelle Lernräume, flexiblere Gestaltung von Lehrgängen, Wahl des Studienmodus je nach Lebenssituation (z. B. Fern-, Teilzeitstudium).

      Obwohl aber im System der Berufsbildung weiterführende und flexiblere Bildungswege geschaffen wurden, nehmen die Zielgruppen die Option eines Wechsels zwischen formalen Bildungsniveaus seltener als erwartet wahr. So sind die Quoten derjenigen, die beispielsweise nach der Berufsmaturität ein Fachhochschulstudium oder gar – über eine den Anschluss herstellende »Passerelle« – ein universitäres Studium aufnehmen oder die nach einem Fachhochschulabschluss an der Universität weiterstudieren, bescheiden geblieben (Weber 2013, 29f.; Gonon 2012). Die Erstausbildung, die in der Schweiz seit jeher die Erwerbskarriere stark vorbestimmt, bewahrt offensichtlich ihre hierarchisch ordnende Kraft, und das Hochschulsystem bleibt gespalten in ein beruflich ausgerichtetes und ein akademisches Segment (Kiener 2013, 347f.).

      Die schweizerische Bildungspolitik hat sich in ihren Reformen den internationalen Regulierungsbestrebungen im Bildungswesen frühzeitig angeschlossen und neue Modelle rasch umgesetzt. Dies betrifft vor allem die Richtlinien für den Europäischen Hochschulraum (Bologna-Prozess, vgl. Müller 2012, 247), aber auch die Einrichtung eines »europäischen Raums der beruflichen Bildung« (Kopenhagen-Prozess). Weitere Formen der internationalen Regulierung zielen auf die standardisierte Messung von Schülerinnen- und Schülerleistungen (z. B. PISA) oder die länderübergreifenden Referenzrahmen zur Einstufung beruflicher Kompetenzniveaus (Europäischer bzw. nationale Qualifikationsrahmen, Dehnbostel 2008, 167f.). Auch in der beruflichen Bildung wurden Standards der Modularisierung, Kompetenzorientierung und Individualisierung in die Lernorganisation der Bildungsgänge aufgenommen, besonders zügig bei der Neuordnung der Fachhochschulen und höheren Fachschulen.

      Als wichtige Regulierungsinstrumente erweisen sich die Normierung der Studienstrukturen und die Einführung der standardisierten Leistungsbemessung mit ECTS-Leistungspunkten auf Hochschulebene respektive mit ECVET-Leistungspunkten in der höheren Berufsbildung.[4] Leistungspunkte werden in Abhängigkeit von der Anzahl der absolvierten Module, Kompetenz- und Praxisnachweise an die Gesamtleistung angerechnet. Der Stand der zertifizierten Leistungsergebnisse zeigt an, wo die Lernenden im Curriculum stehen und welche Verwertungsoptionen für den Einstieg in andere Ausbildungen oder Berufsfelder bestehen. Wichtiger jedoch ist die wirtschaftliche Funktion solcher Regulierung. Sie soll die Mobilität der Qualifikationsträgerinnen und -träger auf den internationalisierten Bildungs- und Arbeitsmärkten erhöhen und – in wettbewerbspolitischer Perspektive – ein optimal entwickeltes und quantifizierbares Humankapital für die Wirtschaft am jeweiligen Standort verfügbar machen. In diesem Sinne hat die EU bereits in ihrer Lissabon-Strategie im Jahr 2000 die Vorstellung eines offenen Europäischen Bildungsraums festgeschrieben, mit dem hochgesteckten Ziel, Europa zum weltweit wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsraum zu machen (Knust & Hanft 2009, 40f.).

      Gestärkt wurde seit den 1990er-Jahren auch die politisch-administrative und die betriebswirtschaftliche Steuerung im Bildungssektor (Dehnbostel 2013, 42f.). Zum einen verlagerte sich die Steuerung von der Inputseite (Budgetplanung) hin zu Leistungsprozessen und Output, wobei der Auftraggeber Leistungsziele (Umsatzziele, Abschlussquoten, Zufriedenheitsergebnisse) vorgibt und überprüft. Zum anderen wird indirekt über Qualitätsvorgaben und Zertifizierungsverfahren gesteuert. Im Hochschulbereich müssen sich Bildungsanbieter gemäß staatlichen und internationalen Richtlinien akkreditieren lassen, das heißt: Sie müssen den Nachweis erbringen, dass sie Standards einhalten und Vorkehrungen treffen, um formale Leistungs- und Qualitätsziele zu erreichen. Diese Veränderungen zielen bei Weitem nicht nur auf die Steuerungseffizienz in der Institution, sie führen ein neues Regime ein, unter dem sich jede einzelne Fachhochschule bzw. Universität als unternehmerische Einheit versteht (Kiener 2013, 346f.).

      Internationale Regulierung, politisch-administrative und betriebswirtschaftliche Steuerung haben Auswirkungen auf die berufsorientierte Weiterbildung, nicht nur auf die ohnehin stark regulierte höhere Berufsbildung, sondern auch auf die anderen Segmente. So finden beispielsweise Standards der Curriculumentwicklung, der Leistungsmessung und Zertifizierung auch in der Weiterbildung Beachtung. Allerdings folgt ihre Anwendung oft einer anderen Systematik; zudem gibt es für die Qualitätsentwicklung vielfach nur Empfehlungen (vgl. Kapitel 3.3).

      Wie sind die Veränderungen im Bildungssystem gesellschaftspolitisch einzuschätzen? Verfügt die Bildungspolitik über eine kohärente Orientierung, die ihr erlaubt, auf wirtschaftliche und gesellschaftliche Problemlagen differenziert zu reagieren? Mit Bezug auf die berufliche und schulische Grundbildung und die primäre Integration junger Erwachsener in den Arbeitsmarkt kann die Frage für die Schweiz in der Tendenz positiv beantwortet werden, auch im Vergleich mit anderen Ländern. Die institutionellen Träger der beruflichen Grundbildung sind heute mit der Privatwirtschaft und dem öffentlichen Sektor eng vernetzt.

      Einschränkungen sind jedoch beim Zugang zur beruflichen Grundbildung zu machen: Der Übergang von der obligatorischen Bildung in die berufliche Grundbildung, auch in die Erwerbstätigkeit fällt Schülerinnen und Schülern mit schwächeren Leistungen oder mit Migrationshintergrund nach wie vor nicht leicht. Sondermaßnahmen (»Brückenangebote«) lösen dieses Problem nicht zureichend, es kommt öfter zum Abbruch von Bildungslaufbahnen (Künzli & Scherrer 2013).

      Probleme gibt es ferner bei der beruflichen Nachholbildung Erwachsener ohne Berufsabschluss. Nach Lindenmeyer (2013) werden die gesetzlich vorgesehenen Wege der Nachholbildung via Erfahrungsjahre, spezielle Bildungsgänge und Validierungsverfahren auch deshalb wenig genutzt, weil es den Betroffenen an Selbstlernkompetenzen mangelt, aber auch weil Begleitung und finanzielle Überbrückungshilfen fehlen.

      Weitere Vorbehalte sind mit Bezug auf die soziale Selektivität der höheren Bildung anzubringen. Zwar sind Fortschritte bei der institutionellen Durchlässigkeit der Bildungswege zu verzeichnen (siehe oben). Der Zugang zur höheren Bildung ist jedoch nach wie vor in hohem Maße abhängig von der sozialen Herkunft, und zwar besonders ausgeprägt auf dem akademischen Niveau. Die Segregation des Bildungssystems nach Geschlecht ist in den letzten Jahrzehnten insofern schwächer geworden, als sich der Zugang von Frauen zu höheren Ausbildungsniveaus deutlich verbessert hat; dies schlägt sich aber nach wie vor nicht in einem gleichberechtigten Zugang zu Führungspositionen am Arbeitsmarkt nieder. Die Selektivität der höheren Bildung zeigt sich auch daran, dass im Lehr- und Forschungsbetrieb der Hochschulen Fragestellungen der Geschlechterforschung und des Feminismus nach wie vor nur am Rande existieren (Fankhauser & Schöni 2013).

      Der Beitrag der Bildung zur Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen könnte also in vielen Bereichen gezielter und wirksamer gestaltet werden. Über die Ansatzpunkte allfälliger Korrekturen besteht allerdings wenig Einigkeit. Vielmehr werden auf dem Gebiet der Bildung grundsätzliche gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen geführt. Sie betreffen etwa die Gewichtung des schulischen und des beruflichen Bildungswegs, der Wirtschaftsbedürfnisse und der sogenannten Akademisierung (vgl. Strahm 2014). In der Analyse dieser Konfliktpunkte ist zu beachten, dass der Bildungssektor längst selber ein gewichtiger Wirtschaftsfaktor ist. Seine Akteure haben keineswegs nur den Bildungsauftrag oder die Kohärenz der Bildung im Blick, sie verfolgen vielmehr eigene Einfluss- und Wachstumsinteressen.

      Fazit: Das Bildungssystem nimmt Probleme der Arbeitswelt auf, um sie zu bearbeiten und Wege der Qualifizierung anzubieten. In der Abstimmung der Bildungswege und in der Steuerung der Bildungsleistungen sind in den letzten Jahrzehnten Fortschritte erzielt worden. Zunehmend definiert das Bildungssystem aber auch selber Probleme und Lernbedürfnisse, für die es »passende«


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