Lehrberuf: Vorbereitung, Berufseinstieg, Perspektiven (E-Book). Mirjam Kocher

Lehrberuf: Vorbereitung, Berufseinstieg, Perspektiven (E-Book) - Mirjam Kocher


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Pädagogik sowie die gymnasialen Schwerpunktfächer Musik, BG und PPP. Da Valorisierung zum einen diskursiv erfolgt, wurden problemzentrierte Einzel- oder Gruppeninterviews (Witzel, 2000) in jeweils beiden Ausbildungsprofilen geführt: sechs mit Schulleitenden, acht mit Lehrpersonen sowie zehn mit Schülerinnen und Schülern. Da Valorisierung andererseits auch gestützt auf Objekte, kognitive Formate und räumliche Rahmenbedingungen geschieht, wurden acht Unterrichtsbeobachtungen durchgeführt und repräsentative Dokumente wie Schulleitbilder, Rahmenstundentafeln und Curricula analysiert. Bei der Datenanalyse wurde auf zentrale konventionensoziologische Konzepte fokussiert, und zur Kategorienbildung wurden bisher empirisch relevante Dimensionen wie zum Beispiel Bildungsziele, Wissensformen und Modi der Wissensvermittlung (Derouet, 1992) herangezogen. Ebenso wurden in Anlehnung an die Codierstrategie der Grounded Theory (Strauss & Corbin, 1996) Kategorien induktiv am Material gebildet. Da Konventionen als überindividuelle Logiken weder einzelnen gesellschaftlichen Ebenen (Mikro- vs. Makroebene) noch Akteursgruppen zugeordnet werden können und sich Valorisierung auch auf materielle und kognitive Formate stützt (Diaz-Bone, 2018), wurde bei der Datenanalyse auf eine Differenzierung nach einzelnen Personen- oder Dokumentengruppen verzichtet.

      Im Folgenden werden exemplarisch anhand der Dimensionen «Bildungsziele», «Wissensformen» und «Modi der Wissensvermittlung» idealtypisch zentrale Charakteristika der FMS Pädagogik und der gymnasialen Schwerpunktfächer Musik, BG und PPP skizziert.

      Obwohl beide Bildungsprogramme ähnliche Bildungsziele verfolgen, unterscheiden sie sich in ihrer Ausrichtung. In beiden Profilen ist die Vorbereitung auf die weiterführende hochschulische Ausbildung zentral. In der FMS Pädagogik bezieht sich diese in einer funktional-effizienten, der industriellen Konvention entsprechenden Logik spezifisch auf die Berufsausbildung an PH. Die Akteure der FMS Pädagogik nehmen ihre Institution als der PH funktional vorgelagerte Stufe wahr. In derselben Logik ist auch die Allgemeinbildung in hohem Maße auf das Herstellen von Studierfähigkeit an PH ausgerichtet. Materialisiert ist dies im Format der Fachmaturität Pädagogik, die aus einem Lehrgang in für die PH-Studierfähigkeit als notwendig erachteten Fächern besteht. Auch die selbstständige Arbeit und die Fachmaturitätsarbeit dienen in funktionaler Weise dem Erwerb von klar umrissenen methodischen Kompetenzen, wie sie in der industriellen Konvention Wertigkeit erhalten und an PHs zum Beispiel im Rahmen schriftlicher Arbeiten gefordert sind.

      Beim Bildungsziel der Persönlichkeitsbildung werden in der FMS Pädagogik überwiegend Elemente der häuslichen Konvention wie Sozialkompetenz, ein gefestigter Charakter sowie Team- und Kommunikationsfähigkeit ins Zentrum gestellt und mit Verweis auf die spätere Berufstätigkeit als Lehrperson valorisiert. Materialisiert ist dies in verschiedenen schulischen Gefäßen zur Stärkung des Gemeinschaftsgefüges, zur Förderung von Auftrittskompetenz oder in Form des Bündels berufsfeldspezifischer Fächer. Sie bestehen im Berufsfeld Pädagogik im Kern aus Musik/Instrument/Chor, Gestalten/Werken und Pädagogik/Psychologie[14] und sollen neben der Persönlichkeitsbildung auch ein Ensemble an praktisch-konkreten Grundfertigkeiten im musisch-pädagogischen Bereich vermitteln. Die berufsfeldspezifischen Fächer und die Persönlichkeitsbildung werden ebenso aus der funktional-effizienten Perspektive der industriellen Konvention valorisiert, da beide zweckmäßig und zielgerichtet der Vorbereitung auf die spätere berufliche Tätigkeit als Lehrperson dienen sollen. Durch diese klare berufliche Ausrichtung erhält intrinsische Motivation als Wertigkeit der inspirierten Konvention an Bedeutung, sofern sie sich in ausgeprägt pädagogisch-sozialem Interesse im Allgemeinen und im Berufswunsch «Lehrperson» im Besonderen äußert. In diesem Zusammenhang wird das Format pädagogischer Praktika als zentral für die Prüfung und Stärkung der Berufsmotivation betrachtet.

      In den musisch-pädagogischen Schwerpunktfächern des Gymnasiums ist die Vorbereitung auf die weiterführende hochschulische Ausbildung einerseits klar auf universitäre Hochschulen ausgerichtet. Andererseits wird hier explizit keine funktionale Verknüpfung von gewähltem Schwerpunkt- und zukünftigem Studienfach[15] angestrebt, sondern eine diesbezügliche Entkopplung valorisiert. Das gewählte Schwerpunktfach soll der Allgemeinbildung im Sinne von persönlicher Entfaltung dienen, was dem in der staatsbürgerlichen Konvention zu verortenden Humboldt’schen Bildungsideal entspricht (Imdorf, 2011). Intrinsische Motivation als Wertigkeit der inspirierten Konvention bezieht sich nicht auf eine berufliche Tätigkeit, vielmehr werden Leidenschaft und Fachinteresse als Kriterien für die Schwerpunktfachwahl valorisiert. Die Persönlichkeitsbildung ist nicht funktionales Instrument für die spätere berufliche Tätigkeit, dient aber dennoch der Vorbereitung auf spätere gesellschaftliche Funktionen. Laufbahnen von Gymnasiasten und Gymnasiastinnen werden valorisiert, wenn sie in verantwortungsvolle Positionen in Politik, Wissenschaft und Kunst münden, zum Wohl der Zivilgesellschaft beitragen und so Wertigkeiten der staatsbürgerlichen Konvention verwirklichen. Für diese zukünftigen Aufgaben werden kognitive Fähigkeiten wie Kreativität, Abstraktions- und Analysefähigkeit als zentral angesehen. Gerade den musischen Schwerpunktfächern wird hier aufgrund ihres Beitrags zur Förderung von Kreativität und von differenzierter Wahrnehmung und Analyse Bedeutung zugeschrieben.

      Die skizzierten Bildungsziele schlagen sich in den valorisierten Wissensformen und den Modi der Wissensvermittlung nieder. Die funktionale Logik der industriellen Konvention zeigt sich in der FMS Pädagogik im Format klar umrissener und operationalisierter Kompetenzen, die für die PH-Studierfähigkeit oder den Lehrberuf als wichtig und nützlich erachtet werden. Dies entspricht einem «savoir-faire» (Derouet, 1992) im Sinne von «technischem» Anwendungs- oder Problemlösewissen, das als Wissensform der industriellen Konvention auf zukünftige Aufgaben vorbereitet. Ebenfalls valorisiert wird die der häuslichen Konvention entsprechende Wissensform des «savoir-être» (a. a. O.), die ganzheitliche Charakterbildung, moralische Werte und soziale Fähigkeiten wie zum Beispiel Team- und Kommunikationsfähigkeit umfasst. Die Vermittlung beider Wissensformen erfolgt tendenziell im handwerklich-praktischen, erzieherisch-pädagogischen Modus der häuslichen Konvention: Die Akteure der FMS Pädagogik valorisieren Praxisbezug zum Lehrberuf oder zu einer sozial-erzieherischen Tätigkeit, was sich in den Fachinhalten (z. B. Gruppendynamik im Fach Psychologie, Kinderlieder im Fach Musik), aber auch in der Arbeit an konkreten Fallbeispielen oder körperlich-praktischen Übungen wie Ballspielen zum Erlernen von Taktarten äußert, auf welche die Schülerinnen und Schüler später als Lehrperson gegebenenfalls zurückgreifen können sollen. Auch ohne direkten Bezug zum Lehrberuf erfolgt die Wissensvermittlung alltagsnah und anschaulich, gegebenenfalls unterstützt durch die «häusliche» Praktik des Vormachens und Nachahmens oder durch Objekte wie zum Beispiel eine Gummitastatur zur Veranschaulichung von Harmonien. Ebenfalls der häuslichen Konvention entspricht die Wissensvermittlung im Modus pädagogischer Engführung, Anleitung und Erziehung durch die Lehrperson. Dies fördert eine stärker persönlich-emotionale Beziehungsqualität, welche die Akteure der FMS Pädagogik valorisieren.

      Die stärkere Orientierung an Wertigkeiten der staatsbürgerlichen Konvention im Gymnasium zeigt sich auch hier in der präferierten Wissensform: abstraktes Wissen in Form von Konzepten, Theorien und Modellen im Sinne von «savoir» (a. a. O.). In den untersuchten Schwerpunktfächern äußert sich dies zum Beispiel im Format komplexer Harmonie- und Farbenlehre, Musik- und Kunstgeschichte oder in psychologischen Theorien und Modellen. Überwiegend in Textform (z. B. Klassiker der Psychologie) formatiert, erfordert diese Wissensform von den Schülern und Schülerinnen stärker kognitiv-abstrahierende Fähigkeiten. Sie übernimmt keine funktionale Problemlöse- oder Berufsvorbereitungsfunktion und wird, dem Humboldt’schen Ideal entsprechend, eher am Ausmaß gemessen, in dem das Schwerpunktfach das eigene Fachinteresse befriedigt und der persönlichen Entfaltung dient. Diesen staatsbürgerlichen Wertigkeiten entsprechend, erfolgt auch die Wissensvermittlung stärker theoretisch-abstrakt und im Modus intellektueller Übertragung (a. a. O.). Frontalunterricht, extensive Textlektüre und kognitive Arbeit in hohem Tempo werden valorisiert, dies auch in den musischen Fächern, wo zum Beispiel Harmonielehre weniger praktisch-anschaulich als kognitiv über Melodiediktate


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