Gemeinsam Eltern bleiben. Margret Bürgisser
Stigmatisierung als negativ erlebt. Kinder können vorübergehend an Verhaltensauffälligkeiten leiden (vgl. Staub/Felder 2004, S. 39–43). Im Übrigen unterscheiden sich die Belastungen der Kinder dadurch, wie hoch das Konfliktniveau vor und nach der Scheidung der Eltern ist. Am meisten profitieren Kinder, deren Eltern vor der Scheidung viele Konflikte hatten, nachher hingegen nur noch wenige.
Für viele Familien belastend sind zweifellos auch beengende finanzielle Verhältnisse. Oft reicht das Geld nach einer Trennung oder Scheidung kaum zum Leben. Das Armutsrisiko geschiedener Eltern und ihrer Kinder ist statistisch nachgewiesen. Kinder in Einelternhaushalten sind am stärksten von Armut betroffen, und das bedeutet für sie auch verminderte Lebenschancen.
Gemäss Studien von Walter Bien (2010, S. 6) «haben Scheidungs- und Trennungskinder in Deutschland häufig nicht nur mehr familiale Konflikte zu bewältigen als ihre Altersgenossen, sie sind auch häufiger von gesellschaftlichen Risiken wie Armut betroffen, die sie in vielfacher Weise in ihrer Entwicklung benachteiligen können». Wie Bien anhand einschlägiger Forschungen darlegt, «weisen Alleinerziehende mit mehr als 40% weit überdurchschnittliche Armutsraten auf.39 War das jüngste Kind bis zu drei Jahre alt, waren sogar mehr als die Hälfte der Elternteile von Armut betroffen» (ebd.). Um diese Not zu lindern, empfiehlt Bien, die Erwerbschancen für alleinerziehende Frauen zu verbessern und zügig mehr Angebote der Kinderbetreuung bereitzustellen.
Wie Alt/Lange (2010, S. 8) ausführen, ist Armut oft nicht nur die Folge, sondern wohl die Ursache von Trennungen. Finanzielle Schwierigkeiten führen häufig zu Konflikten, welche die Beziehung belasten. Je nach Schicht variiert dieses Risiko. «Das Trennungsrisiko ist offensichtlich stark mit der Zugehörigkeit zu einer niedrigeren Gesellschaftsschicht bzw. einer ökonomischen Notlage verknüpft. Während jedes zweite Kind aus der Unterschicht beziehungsweise aus der unteren Mittelschicht mit der Trennung der Eltern konfrontiert wird, gilt dies lediglich für knapp sieben Prozent der Kinder aus der Oberschicht.»
Auch die Kindesschutzexpertin Bettina Bannwart ist überzeugt, dass viele Konflikte bei Trennung und Scheidung finanzieller Natur sind. Sie kritisiert deshalb, dass die Revision der elterlichen Sorge von jener des Unterhalts abgespaltet wurde. «Das ganze Paket zusammen hätte Sinn ergeben, denn genau aus der Sicht des Kindeswohls braucht es die Regelung der Betreuung, der Entscheidungskompetenz und der finanziellen Absicherung. Wenn die Mutter zu wenig Geld hat zum Leben – was auch die Möglichkeit der sozialen Teilhabe tangiert –, so schadet das dem Kindeswohl. Das Kindeswohl betrifft nicht nur die Beziehungen, sondern auch die Frage, ob das Kind mit der Mutter zur Sozialhilfe muss, stigmatisiert wird und in Armut aufwächst. Die Forschungen sind vorhanden, die belegen, welche gravierenden Folgen es hat, wenn Kinder in Armut aufwachsen müssen. Die Politik muss dies unbedingt ändern.»
Jede Diskussion von Scheidungsfolgen muss sich deshalb zwingend auch mit der Frage der Existenzsicherung befassen.
Positive Scheidungsfolgen
Scheidungen können den Beteiligten aber auch positive Impulse geben. Als Erstes zu nennen ist die Chance zur Konfliktreduktion. Davon profitieren nicht nur die Eltern, sondern vor allem auch die Kinder. Diese erleben an ihren Eltern, dass sie Lösungen für ihre Probleme suchen und diese auch umsetzen. Unter Umständen pflegt der Vater nach der Scheidung auch eine bewusstere und engagiertere Beziehung zu den Kindern als früher als «Ernährer-Vater». Oft halten sich Väter währen der Ehe ja eher im Hintergrund und überlassen die erzieherische Verantwortung zumindest tagsüber ganz der Mutter.
Eltern sind nach der Scheidung eventuell auch eher in der Lage, sich unterschiedliche Wertvorstellungen zuzugestehen. Die Kinder können von unterschiedlichen Stilen im Umgang mit den Eltern profitieren.
Die Trennung der Eltern kann auch die Entwicklung des Kindes fördern. Wenn ein Kind erlebt, dass es eine gefürchtete Belastung gut bewältigt, kann sein Selbstwertgefühl wachsen. Es wächst an den scheidungsbedingten Herausforderungen. Als positive Scheidungsfolgen bei den Kindern werden häufig auch eine erhöhte Empathiefähigkeit und eine geringere Geschlechtsrollenfixierung erwähnt.
2.2Das Phänomen Scheidung enttabuisieren
Im Kanton Basel-Stadt betrug die Scheidungsrate im Jahr 2010 54%. Von zwei Ehen wurde also mindestens eine geschieden. Diese Zahlen sollten ein Anlass sein, unser Verhältnis zum Phänomen Scheidung zu überdenken. Scheidungen sind für alle Beteiligten schmerzhaft und daher bedauerlich. Und sie haben mancherlei Ursachen, private wie gesellschaftliche.
Rolf Besser, Anwalt und Mediator, sieht die Institution Ehe als ein riskantes Geschäft. «Viele Faktoren müssen funktionieren, die halt einfach oft nicht stimmen. Besonders in der Kleinkinderphase, in der man die Kinder ununterbrochen betreuen muss, sind Eltern in einer Weise gefordert, die ihre Beziehung auf die Probe stellt. Man müsste lernen, das Scheitern zuzulassen, ohne dass es zwingend einen Schuldigen geben muss.»
Jaqueline Fehr betont, wir seien die erste Generation, die mit dem Phänomen Massenscheidungen in Haushalten mit Kindern konfrontiert sei. «Früher hat man viele Konflikte innerhalb der Familie ausgetragen oder ausgehalten – mit allen problematischen Folgen für die Kinder. Heute organisiert man die Familie neu, mit vielen positiven, aber auch schwierigen Prozessen. Wir sind die Ersten, die solche Erfahrungen in so grosser Zahl machen und herausfinden müssen, wie man das am besten macht.» Fehr plädiert für mehr Toleranz im Umgang mit Scheidungen. «Eine wichtige Botschaft finde ich: Es ist normal. Es ist zwar ein singuläres Erleben, aber es ist tausendfach geteilt. Es ist normal, dass es Schwierigkeiten gibt, es ist normal, dass es wehtut, es ist normal, dass man nicht über das Problem hinaussieht, aber es ist auch normal, dass es nachher weitergeht.» Und Fehr ergänzt: «Man sollte sich immer bewusst sein, dass es Alternativen gibt zu dem, was bisher war. Man muss sich nur darum bemühen, sie zu finden. Es geht um die Neuorganisation der Familie.»
Die Gesellschaft muss lernen, mit Scheidungen toleranter umzugehen. «Ehescheidungen haben zugenommen und deren Akzeptanz in der Gesellschaft muss wachsen. Es lässt sich nämlich nicht folgern, Beziehungen seien generell schlechter geworden. Vielmehr sind die Ansprüche an Beziehungen gestiegen und damit auch die Bereitschaft, unbefriedigende Beziehungen aufzulösen» (Staub/Felder 2004, S. 13).
Praktiker wie Anwalt Vincenzo Amberg stellen fest, dass Nachscheidungsfamilien in der Regel recht gut funktionieren: «In vielen Fällen, und das ist erfreulich, funktioniert das Kontaktrecht picobello. Nicht selten hat die Mutter einen Freund, der Vater eine Freundin, diese Partner haben vielleicht selbst auch Kinder; das klappt häufig nicht schlecht. Sie treffen sich womöglich gar zu viert – es freut mich jeweils, wenn ich das sehe. Es ist eigentlich die Regel, dass es geht.» Amberg weist aber auch darauf hin, dass es eine Minderheit von Eltern gibt, bei denen es nicht klappt. Von dieser Minderheit müsse man reden, weil der Schaden, der den Kindern da zugefügt werde, immens sei.
2.3Ursachen von Paarkonflikten
Die Gründe für Konflikte in Paarbeziehungen sind vielfältig (Staub/Felder 2004, S. 19). Eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen einer Paarbeziehung ist der kompetente Umgang mit Stress. Forschungsresultate belegen zudem, dass ein direkter Zusammenhang besteht zwischen ineffektiven Kommunikationsmustern, unzureichenden Problemlösungsstrategien und der Scheidungshäufigkeit (Bodenmann 2001). Personen mit einer gering ausgebildeten Kommunikationsfähigkeit und einer geringen Fähigkeit zur Lösung von Konflikten haben ungünstige Voraussetzungen, eine tragfähige Partnerschaft aufzubauen. Auch gewalttätiges Verhalten und äussere Stressfaktoren belasten eine Beziehung. Die Gefahr, dass diese scheitert, ist unter solchen Umständen besonders gross.
Im Scheidungsfall nennen Betroffene meist ein bis zwei Gründe, die zur Auflösung der Partnerschaft geführt haben. Objektiv betrachtet führen aber immer mehrere Faktoren zur Scheidung. «Die Motive, welche Paare als Scheidungsgründe anführen, können nur als rhetorische Kunstgriffe verstanden werden, welche einer von Ambivalenz und gegenseitigen Anschuldigungen geprägten Situation ein Gefühl von Sinn und Ordnung aufdrängen. Scheidungsforscherinnen