Gemeinsam Eltern bleiben. Margret Bürgisser
keinen Vertrag machen. Ich glaube, wir haben beide den Willen, unabhängig von Verträgen gute Lösungen zu finden. Sobald man einen Anwalt nimmt, werden auch Flöhe gepflanzt.»
Bedeutung der Grosseltern früher und heute Als Leander noch klein war, erwiesen sich die Grosseltern als Glücksfall. Goetschs Eltern wohnten nur zehn Minuten entfernt, jene von Gasche drei Tramstationen entlang der Forchbahn. Goetsch blickt zurück: «Es war ein Geben und ein Nehmen. Für die Kinder war es ein grosser Gewinn, andere Bezugspersonen zu haben und nicht einfach auf Mutter oder Vater fixiert zu sein. Meine Eltern wohnten gleich um die Ecke …»
Heute ist das anders: Anna Goetschs Mutter lebt nun im Pflegeheim, der Vater ist bereits gestorben. Willi Gasches Eltern sind ebenfalls verstorben, die Mutter vor eineinhalb Jahren, der Vater vor zweieinhalb Jahren. «Zum Glück erst jetzt, sie haben uns extrem unterstützt, vor allem die beiden Grossmütter und Annas Vater.» Sohn Leander hat das Abschiednehmen bewusst miterlebt, auch die Auseinandersetzung mit Krankheit und Tod.
Er: «Meine Mutter hat in einem elfmonatigen Prozess Abschied genommen. Und als sie im Bett bleiben musste, sind wir jeden Tag kurz hingegangen.»
Sie: «Wir haben nachher noch oft mit Leander darüber geredet. Für ihn ist es in Ordnung, dass sie jetzt gestorben ist, auch die anderen, das gehört zum Leben, und sie konnte auch noch Abschied nehmen. Und als sie gestorben waren, gingen wir alle vorbei – als Sippe – und die Kinder wollten in den Raum hinein, um Abschied zu nehmen. Diese Rituale sind bei uns leider fast verschwunden. Wir haben diese Kultur, wie man mit dem Tod umgeht, nicht mehr.»
Konstruktiv kommunizieren In ihrer Beziehung bemühen sich beide Expartner um einen konstruktiven Dialog. Willi Gasche findet es entscheidend, ob man mit einer Anspruchshaltung daherkomme. «Wenn man glaubt, auf etwas ein Anrecht zu haben, dann ist der Streit schnell da.» Gasche lobt seine Expartnerin: «Anna hat eine spezielle Fähigkeit, die mich immer wieder fasziniert hat. Sie hat sich nie auf eine Haltung versteift. Sie ist gar nicht auf Angriffe eingestiegen und hat mir auch nie Vorwürfe gemacht. Sie hat eine Eskalation nicht zugelassen und auch nicht geschürt.» Das hat massgeblich zu einer einvernehmlichen Trennung beigetragen. Goetsch ergänzt, sie finde es spannend, wie es zu und her gehe in Gesprächen. «Es ist wichtig, Ich-Botschaften zu formulieren und bei sich zu bleiben. Dann lässt man dem Gegenüber mehr Raum.» Sie sagt ihren Kindern immer und lebt es ihnen auch vor, dass man über Probleme reden soll. «Ich finde unterschwellige Konflikte, vor denen man die Kinder verschonen will, viel schlimmer als Meinungsverschiedenheiten. Ich denke, das ist für Kinder belastender, als wenn die Sache auf dem Tisch liegt.»
Ein weiterer Grundsatz, den Goetsch beachtet: «Für Gespräche, die uns drei betreffen, müssen wir zu dritt an einem Tisch sitzen. Nie würde ich Leander ausfragen: ‹Was macht dein Vater jetzt und mit wem ist er jetzt?› Ich finde es falsch, Themen über das Kind auszutragen oder es zu benutzen, um an Informationen über den Expartner heranzukommen.»
Neuorientierung als Herausforderung Das Leben hat die beiden gefordert und geformt. Anna Goetsch hat die Trennung als einen Reifeprozess erlebt. «Das Problem ist, dass man, auch als Mutter, oft das Gefühl hat, man sei die Einzige, die den Kindern kochen und zu ihnen schauen könne. Das stimmt einfach nicht.»
Er: «Es geht um die Fähigkeit, abgeben zu können.»
Sie: «Bei mir geht es darum, was in mir drinnen abgeht, als Mutter. Es ist immer noch das Bild, wie ich geprägt bin von meinen Eltern. Ich versuche, mich von dem zu lösen und zu schauen: Was ist jetzt da bei mir? Man hat so viele Muster, die man von Eltern unbewusst übernommen hat.»
Er: «Zum Glück sind es aber nicht nur die Sachen, die man von den Eltern vorgelebt bekommen hat, die einem bleiben.»
Sie: «Ja, aber man muss es auch erkennen und dafür ein Bewusstsein entwickeln.»
Wie gelingt die gemeinsame elterliche Sorge? Sich als Paar zu trennen und als Eltern weiterzukooperieren, ist eine schwierige Aufgabe. Goetsch findet es wichtig, «dass man immer wieder versucht, in schwierigen Situationen etwas Distanz zu schaffen. Es geht darum, von seinem Ego wegzukommen, den Fokus aufs Kind zu richten und sich zu fragen: Wie können wir es machen, dass es für das Kind stimmt und letztlich für alle drei? Das ist oft nicht einfach, wenn man Frust und Streit erlebt. Aber man muss vielleicht einen Tag lang mit sich allein sein und sich darüber klarer werden. Dabei ist mir meine Arbeit als Shiatsu-Therapeutin eine Hilfe. Sie hat mich immer wieder zentriert.» Gasche ergänzt: «Und was du immer wieder gesagt hast: Es gibt keinen Schuldigen. Es sind immer zwei, die an einem Problem beteiligt sind. Es gibt keine Schuld, sondern einen gemeinsamen Prozess, eine gemeinsame Verantwortung.»
Sie: «Es sind immer beide zu 50% beteiligt, an den schwierigen wie an den guten Sachen.»
Er: «Genau. Man ist nicht einfach Opfer, sondern mitverantwortlich für das, was geschieht.»
2.Scheidungen – eine gesellschaftliche Realität
2.1Ehe und Scheidung im gesellschaftlichen Wandel
Nach wie vor wird in der Schweiz viel geheiratet. Die entsprechenden Zahlen blieben in den letzten Jahren praktisch unverändert. Wie die nachstehende Statistik zeigt, wurden pro Jahr etwas mehr als 40 000 Ehen geschlossen.
Heiraten und Heiratsverhalten 2008–201237
Doch auch Scheidungen sind eine verbreitete Tatsache. «Jede zweite Ehe wird geschieden» lautet eine verallgemeinernde Aussage. Die Statistiken bestätigen dies, weisen allerdings in den letzten Jahren grosse Schwankungen auf. Im Jahr 2010 erreichte die Scheidungsrate in der Schweiz mit 54,4% einen neuen Höchststand, das waren rund 22 000 Ehen. Die durchschnittliche Ehedauer bei Scheidung betrug 14,5 Jahre. 2012 wurden 17 550 Scheidungen registriert, was einer Scheidungsrate von 43,1% entsprach. Die grossen Unterschiede seit 2010 sind weitgehend durch eine neue statistische Erhebungsmethode bedingt.
Scheidungen und Scheidungsverhalten 2008 bis 201238
Anwalt Vincenzo Amberg, der unzählige Scheidungen abgewickelt hat, sieht diese als ein modernes Phänomen: «Die Auffassung von Ehe hat sich stark gewandelt, von etwas Lebensprägendem zu etwas Auflösbarem. Das hat auch mit dem Zerfall von religiösen und ethischen Werten und mit dem Aufkommen von Materialismus und Egoismus zu tun. Die Ehe wird heute eher als Wirtschaftsgemeinschaft angeschaut, was sich auch im Recht widerspiegelt.»
Trotzdem sind Scheidungen auch heute noch einschneidende Ereignisse. Wie unsere Elternporträts zeigen, verbergen sich dahinter oft persönliche Dramen. Die mit der Eheschliessung verbundenen Hoffnungen sind zerschlagen, das Vertrauen in den Partner zerstört, die gemeinsame Zukunft erscheint chancenlos. Es drängt sich eine Umorientierung auf, die psychologisch, organisatorisch und oft auch finanziell eine grosse Herausforderung darstellt. In dieser Zeit des grossen Umbruchs ist auch das Kindeswohl gefährdet. Das ist für alle Betroffenen eine enorme Belastung. Was Paare in einer solchen Situation besonders trifft, sind Vorwürfe, Kritik oder Anschuldigungen vonseiten ihres sozialen Umfelds. Fakt ist: Diese Menschen sind zwar gescheitert, doch sie beweisen mit ihrer Trennung und dem Neuanfang auch Mut. Dafür verdienen sie Respekt und Unterstützung.
In früheren Jahrzehnten wurden Scheidungen vor allem als nachteilige Erfahrungen beschrieben. Heute weiss man jedoch, dass sie nicht nur mit Gefährdungen verbunden sind, sondern auch Chancen beinhalten. Staub/Felder (2004) vermitteln einen Überblick über negative und positive Scheidungsfolgen.
Negative Scheidungsfolgen
Nach