Harzmagie. Jürgen H. Moch

Harzmagie - Jürgen H. Moch


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Knacken. Der Körper wurde schlaff und sackte in sich zusammen.

      Borga, den Eichenast noch hoch erhoben in der Hand, trat einen Schritt näher und stieß die junge Frau mit dem Fuß an. Sie regte sich nicht mehr. Blut lief ihr über die Stirn und in die Augen, die trüb und leer in den Himmel starrten.

      »Du wirst sie nicht mehr bekommen, du kleine Schlampe! Sie ist mein«, sprach Borga noch leise vor sich hin, während sie den Ast in den Wald schleuderte. Dann packte sie den leblosen Körper und zerrte ihn unter großen Mühen in die Büsche, durch die vor ein paar Minuten Elisabeth verschwunden war. Sie schnaufte dabei heftig und als sie sich aufrichtete, stöhnte sie und hielt sich die Hand an den Rücken. Offensichtlich hatte sie dort Schmerzen. Einen Moment später griff Borga in ihre Tasche, suchte und entnahm ihr schließlich ein Glas mit Schraubverschluss. Sie schüttete ein wenig von dem darin befindlichen grauen Pulver über die Leiche und murmelte etwas in einer kehligen, fremden Sprache. Zufrieden schraubte sie das Glas fest zu und steckte es wieder weg. Dann blickte sie den Trampelpfad entlang, den Elisabeth genommen hatte.

      »Lauf, meine Kleine! Jetzt musst du früher reifen, als es dir lieb sein kann!«

      Schließlich drückte sie sich wieder durch die Büsche und ging den Weg zurück, den die andere gekommen war, und summte dabei vor sich hin, während Käfer und Würmer aus der Umgebung eilig Richtung Gebüsch krochen. Eine Minute später bedeckten tausende von Insekten und Würmern die Leiche.

      Jemand rief ihren Namen. Sabrina hörte die Stimme gedämpft durch ihre Musik, die über ihre Ohrstöpsel dröhnte. Sie reagierte nicht. Warum auch? Ihr Blick hing gerade sehnsüchtig an dem bleichen Gesicht des coolen Hauptdarstellers einer beliebten Fantasyserie, der darin eine Art Glitzervampir spielte. Das Gesicht seiner menschlichen Partnerin hatte sie durch ihr eigenes ausgetauscht. Nach langer Arbeit mit einem Grafikprogramm hatte sie es auf dem Drucker im Copyshop für fast zehn Euro auf DIN A3 ausgedruckt. Nun sah das Bild besser aus als das Original, wie sie fand. Überhaupt hatte sie ihr ganzes Zimmer mit Bildern aus Vampirfilmen tapeziert, sodass eine düstere Atmosphäre entstand. Ihre Regale quollen über vor Büchern, viele davon billige Papierausgaben von Vampirromanen und Gruftgeschichten. Ihr ganzer Kleiderschrank war mit schwarzen Klamotten angefüllt, was ihre Mutter nur widerwillig akzeptiert hatte. An der Seite des Schrankes hing ihr ganzer Stolz: ein altes, pechschwarzes Rüschenballkleid mit Spitzenbesatz. Es sah aus wie ein edles Trauergewand aus einem Vampirfilm aus der Zeit, als Filme noch in Schwarzweiß gedreht wurden. Sie hatte es auf einem Flohmarkt in Wernigerode für einen Spottpreis erstanden, musste aber feststellen, dass es ihr zwei Nummern zu klein war. Als sie dennoch versucht hatte, sich mit aller Gewalt hineinzuzwängen, war es an der Seite eingerissen. Seither hatte sie versucht, abzunehmen, was ihr schlichtweg nicht gelang, obwohl sie alles tat, sich herunter zu hungern. Alle paar Wochen machten ein paar heftige Fressattacken alle vorher abgenommenen Pfunde zunichte. Scheiß Mondphasen! Scheiß Regelblutung! Ihr Körper machte dann mit ihr, was er wollte. Sie konnte nichts dagegen tun. Ihre Mutter, deren rundlichem Körperbau ihr eigener unaufhaltsam nachstrebte, hatte ihr Sport empfohlen. Aber dazu konnte sie sich nicht durchringen. Ausgerechnet Sport, so was brauchte sie nicht. Die Fünf in Sport juckte sie nicht, denn ihr Zeugnis war alles andere als schlecht. Klassenbeste, trotz der Sportnote. Sie hatten es diesmal am Donnerstag bekommen, weil heute eine Lehrerkonferenz stattfand und ihre Klassenlehrerin auch dahin fahren musste. So hatte sie bereits an ihrem Geburtstag frei.

      Warum nervte ihre Mutter so herum? Sie würden wieder nicht in den Urlaub fahren, weil das Geld nicht reichte. Sie kannte es nicht anders. Alle anderen fuhren in den Ferien weg, nur sie nicht. Ihre Mutter arbeitete halbtags im Blumenladen auf der Adolph-Roemer-Straße und ihr Vater schickte nur wenig Geld. Er arbeitete auf einem Bohrschiff und fuhr so die meiste Zeit zur See. Er verdiente zwar recht ordentlich, gab aber selbst viel Geld aus. Wofür?, das hatte sie schon aufgegeben, sich auszumalen. Also hatte Sabrina sich auf sechs langweilige Wochen zu Hause in Clausthal-Zellerfeld eingestellt. Wieder erklang die Stimme der Mutter, was sie erneut veranlasste, das Kopfkissen über die Ohren zu ziehen. Sie wollte nichts hören.

      »Lass mich in Ruhe!«, brüllte sie.

      Jemand rüttelte jetzt an ihrer Tür. Sie hatte abgeschlossen, doch das Schloss sprang auf. Das tat es seit dem Tag vor zwei Jahren, als sie sich das erste Mal eingeschlossen und ihr Vater die Tür eingetreten hatte, weil sie ihrer Mutter erzählt hatte, dass sie nicht mehr leben wolle. Ihre Mutter hatte doch keine Ahnung. Sie hatte ja nicht ganz sterben wollen. Es war doch ihr Wunsch, ein Vampir zu werden. Unsterblich und mit feiner weißer Haut. Die weiße Haut hatte sie fast, da hier in Clausthal die Sonne nicht so häufig schien. Dafür war sie mit lästigen Pickeln übersät, vor allem immer dann, wenn sie ihre Regel bekam. Wie sie es hasste!

      Mittlerweile stand ihre Mutter im Zimmer und wedelte mit einem Einkaufskorb vor ihrem Gesicht hin und her.

      »Sabrina Wilhelmine Schubert, auch wenn du heute Geburtstag hast, wirst du sofort deinen faulen Hintern aus dem Bett schwingen und einkaufen gehen. Hier ist der Zettel und genug Geld. Trödle nicht herum, ich brauche die Zwiebeln fürs Mittagessen. Ich koche dein Lieblingsgericht.«

      Eine kurze Pause entstand, als Mutter und Tochter sich taxierend anstarrten. Für einen Moment schien unklar, wer dieses Blickduell gewinnen würde. Schließlich verdrehte Sabrina die Augen und kletterte aus dem Bett.

      »Das ist doch voll uncool, Mama. Der Korb ist so altmodisch. Ich sehe damit unmöglich aus!«

      »Nun, mein Schatz, das denken einige andere auch von den Sachen, die du sonst so trägst. Da kommt es auf einen Korb auch nicht mehr an, oder meine Liebe?« Ihre Mutter lächelte, wie nur jemand lächeln konnte, der sein Kind trotz aller pubertären Eskapaden noch so liebte wie am ersten Tag.

      Obwohl sie wusste, dass sie diesen Wettstreit verloren hatte, bäumte Sabrina sich nochmals auf und warf sich trotzig ihren dunklen langen Mantel über. Auch dieser völlig abgetragene Ledermantel stammte von einem Flohmarkt. In mühevoller Kleinarbeit hatte sie ihn mit schwarzer Schuhcreme bearbeitet, um ihn dunkler zu bekommen. Das war ihr zwar gelungen, aber er hatte danach abgefärbt und ihr den ganzen Hals geschwärzt. Alle hatten sie in der Schule deswegen ausgelacht. Inzwischen färbte er nicht mehr ab und zeigte sich nun in einem eher dunkelgrauen Anthrazit. Auf jeden Fall war er cool und nur darauf kam es an. Sie griff nach dem Korb und ging wutschnaubend zum Einkaufen – nicht ohne die Haustür hinter sich zuzuknallen, was sicher einen weiteren Ausruf ihrer Mutter auslöste, den sie jedoch nicht mehr hörte.

      Sabrina wohnte in der Nähe der Schule in einem kleinen Haus am Kreisel. Als sie die Straße Am Zellbach hochging, bereute sie bereits, ihren Mantel angezogen zu haben. Das Wetter schien sich gegen sie verschworen zu haben. Keine Wolke bedeckte den Himmel und die Sonne brannte erbarmungslos. Sabrina lief der Schweiß in Sturzbächen den Rücken herunter, tropfte von ihrer Stirn und sammelte sich in ihrem Ausschnitt. Sie fluchte leise, widerstand aber dem Verlangen, den Mantel auszuziehen. Wie ein Vampir am Tage versuchte sie, von Schatten zu Schatten zu huschen, aber das misslang ihr ein ums andere Mal. Kurzentschlossen schwenkte sie am Kronenplatz auf einen Schlenker über den Friedhof ab. Dort standen genug Bäume und außerdem zählte er zu ihren Lieblingsorten. Sie bog hinter der Post in die Erzstraße und dann nach rechts in einen schmalen Fußweg auf den Friedhof. Unter den Bäumen wurde es sofort kühler und Sabrina atmete auf. Am Tor kam ihr eine alte Frau entgegen. Sie hatte für eine Seniorin ungewöhnliche Kleidung in nachtblauer Seide an. Damit sah sie eher aus wie eine Frau aus dem 19. Jahrhundert. Ein kurzer Blick auf die Schuhe verriet Sabrina eindeutig, dass sie offensichtlich nicht direkt hier wohnte. Sie waren zu vornehm und zierlich. Dennoch schien sich die alte Dame auszukennen, denn diese Seitenpforte nahmen nur Einheimische. Sabrina hielt die Pforte auf, was ein freundliches, anerkennendes Nicken bei der Frau auslöste.

      »Oh, du willst jemanden besuchen. Das ist aber nett von dir. Was für ein heißes Wetter wir heute haben. Ein besonderer Tag, ein denkwürdiger Tag. Das ist gar nicht typisch für den Harz, das hat mir Ernst-Gustav auch gerade gesagt.«

      Sabrina blickte verwirrt. Sie druckste ein »Ja, schon klar!«


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