Apostasie. Marie Albes

Apostasie - Marie Albes


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      „Entschuldigen Sie, ich lache, da es lustig ist, sie Italienisch sprechen zu hören. Es ist amüsant, wie Sie die Wörter aussprechen.“

      Er schüttelte belustigt den Kopf.

      „ Me vergesse siempre, wie man die Wörter ausspricht. Ich brauche tiempo, um das zu lernen“, er zuckte lässig seine Schultern und lächelte Chiara an, dessen Wangen noch mehr Farbe bekamen.

      Für einen Moment hatte Chiara Mühe, diesem lächelnden Blick nicht auszuweichen und vor allem, sich auf ihren Beinen zu halten, die schwach wurden. Sie wollte möglichst schnell dieses Gespräch beenden, denn es führte zu nichts, sondern machte sie nur verlegen.

      „Geduld ist die Tugend der Starken“, erwiderte sie.

      Obwohl es ihm gefiel, sich mit der hübschen Monja zu unterhalten, beabsichtigte der Fremde seines Weges zu gehen, da er Wichtigeres zu erledigen hatte.

      „ Hasta la vista“, verabschiedete er sich und deutete eine Verbeugung an, um seinen Weg zu nehmen.

      „Auf Wiedersehen“, flüsterte sie mit trockener Stimme und klemmte die entwichene Haarsträhne unter ihr Kopftuch.

      Chiara hatte noch Zeit und setzte sich an den Bach, um vor dem Sonnenuntergang die letzte Sonne zu genießen. Die Sonne war zu dieser Tageszeit nicht mehr unerträglich heiß, enthielt aber noch die Wärme des Tages.

      Sie fühlte sich langsam müde und ihre Füße schmerzten vom langen Spaziergang. Sie zog sich ihre schwarzen Slipper und die dünnen, weißen Socken aus. Dann hielt sie ihre schneeweißen Füße in das Wasser des Baches, bei dessen Kontakt ihr Körper entspannte. Sie erfrischte sich ihr Gesicht und ließ ihren Blick wandern.

      Sie pausierte zehn Minuten und genoss das Panorama hinter dem Bach: ein Mengsel aus angebauten Feldern und blühenden Olivenbäumen (Brüder von denen, die den Weg säumten, den sie entlang gegangen war). Sie fühlte sich außerordentlich glücklich, glücklicher als sie jemals gewesen ist.

      Sie betrachtete den Himmel und lächelte: Das Leben und die Welt waren wunderschön! Wenn es nicht das Paradies wäre, das die guten Menschen empfangen werden, täte es ihr Leid, die Welt früher oder später zu verlassen.

      Trotz ihres heiteren Gemüts verspürte sie eine eigenartige Müdigkeit, die ihr bis ins Knochenmark ging, unbestimmt wie eine kleine Wolke am stürmischen Himmel.

      Sie schaute auf die Uhr: Du meine Güte! Es war halb Fünf. Sie musste sich beeilen, um zum Kloster zu gelangen, sonst würde sie zu spät zum Abendessen kommen. Sie musste ihren Pflichten in der Kantine an Hilfsbedürftige und Personen nachgehen, die im Kloster halfen.

      Rasch zog sie sich Socken und Slipper an und rannte zum Kloster. Mit einer Hand hielt sie das Kopftuch fest, um zu verhindern, dass es herunter rutschte.

      Chiara gab das Bild einer schwarzen, sich fortbewegenden Gestalt ab. Ihr Kopftuch flatterte hinter ihren Schultern, unentschlossen, ob es auf ihrem Kopf bleiben oder wegrutschen sollte, um die geschmeidigen Haare zu entblößen, die sich unter dem Stoff verbargen.

      Unschuldig wie ein Kind lief sie zart wie ein Schmetterling, der seine Flügel nicht vollständig ausgebreitet hatte, unwissend, was ihr die nahe Zukunft bringen würde.

      

      

      * * *

      

      

      Als sie die kleine Kirche am Kloster betrat, blieb ihr das Herz stehen.

      „Dies ist kein Hotel: Ihr könnt für eine begrenzte Zeit in den Wohnstätten für Hilfsbedürftige bleiben, solange Ihr in der Gemeinschaft integriert seid, wie es sich für jeden Christen gehört“, die Stimme der Äbtissin war streng und wie immer mächtig und entschlossen. „Es gehört dazu, während ihrem Aufenthalt bei uns, im Kloster zu helfen. Da Sie ein Mann sind, werden Sie bei der Feldarbeit helfen.“

      „ Muchas gracias, sorella.“ Dieses Mal war seine Aussprache korrekt. „Ich werde alles tun, um Ihrer hospitalidad zu danken.“

      „Das Haus des Herrn ist das Haus aller Christen“, beteuerte die Äbtissin feierlich. „Schwester Costanza wird Sie jetzt zu Ihrem Wohnbereich bringen. Das Abendessen nehmen wir abends um halb sieben ein und morgens beginnen wir um fünf Uhr mit der Arbeit.“

      Der Gesichtsausdruck des jungen Spaniers fuhr zusammen als er diese Zeiten hörte, was der Äbtissin nicht entging. Obwohl sie die Präsenz eines attraktiven jungen Mannes in ihrem Kloster nicht gern sah, konnte sie einem Christen die Hilfe nicht verwehren.

      „Wenn es Ihnen nicht gefällt, früh aufzustehen: Dort ist die Tür!“, sie deutete mit dem Kopf zur Kirchentür und hoffte für einen Augenblick, dass er gehen würde. „Andernfalls können Sie bleiben.“

      Der junge Mann schüttelte den Kopf.

      „Gracias se ñ ora, die Zeiten sind in Ordnung, ich danke Ihnen vielmals.“

      „Äbtissin“, korrigierte sie ihn, „nicht Signora.“

      Er stimmte mit dem Kopf zu.

      „Da kommt eine weitere unserer Ordensschwestern“, kommentierte die Oberin als sie Chiara an der Kirchentür bemerkte. „Komm Chiara, ich stelle dir einen neuen Gast vor. Er wird sich für einige Zeit bei uns aufhalten und uns bei der Arbeit helfen.“

      Chiara bemühte sich, ruhig zu bleiben und vor allem, ihre erneut karmesinroten Wangen unter Kontrolle zu bekommen. Diese Reaktion geschah ihr heute zu oft.

      Sie machte ein paar, zaghafte Schritte, ging dann zielstrebiger zur Äbtissin und dem Fremden, der sich in diesem Moment zu ihr drehte.

      Als er sie sah, hob der junge Mann eine Augenbraue. Er war überrascht, sie nach so kurzer Zeit wiederzusehen. Chiara bemerkte seinen Gesichtsausdruck sofort.

      „Herr ... Wie ist ihr Name?“, fragte die Äbtissin und holte beide in die Gegenwart zurück.

      „José Velasco, se ñ ora Äbtissin.“

      Für einen Moment runzelte die Oberin die Stirn, versteifte den Rücken, holte tief Luft und beherrschte sich.

      „Nur Äbtissin, habe ich gesagt“, verärgert schaute sie zum Himmel. „Also Herr ... José, ich stelle Ihnen Schwester Chiara vor, eine der frommsten Nonnen dieses Klosters. Chiara“, sie drehte sich zu ihr, „Herr José ist soeben aus Spanien gekommen, wie du von seiner Aussprache erkennen kannst. Jemand muss ihm bei seinem Italienisch helfen. Da du dich auf das Unterrichten spezialisiert hast, möchte ich, dass du neben deinen humanitären Aufgaben eine Stunde am Tag einplanst, ihm unsere Sprache korrekt beizubringen. Wenn ich mich nicht irre, kannst du Spanisch, oder nicht?“

      „Ja, Oberin.“

      „Perfekt, somit hätten wir das geregelt.“

      „ Encantado, Schwester Chiara“, stellte sich José vor und verbeugte sich erneut, wie schon vor knapp einer Stunde.

      „Ganz meinerseits“, erwiderte sie und verbeugte ihren Kopf.

      „In Ordnung, Chiara“, beendete die Äbtissin das Gespräch bevor sie sich verabschiedete. „Wie du bereits aus der Aussprache vom Wort ‚Schwester‘ erkennen kannst, wirst du mit diesem Herren ein wenig Arbeit haben.“

      Chiara konnte nichts erwidern. Sie beschränkte sich auf ein zustimmendes Nicken. Sie wusste nur zu gut, dass der Fremde absichtlich die Wörter falsch aussprach, auf die sie ihn zuvor bereits hingewiesen hatte.

      „Herr Velasco, folgen sie bitte Schwester Costanza“ und damit ging die Äbtissin in die Sakristei. José setzte sich mit einem Lächeln den Rucksack auf den Rücken und folgte einer monja mit völlig anderem Aussehen als jene, der er auf dem Feld begegnet war.

      Bevor er die Kirche verließ, konnte er nicht anders, drehte sich um und fühlte sein Herz springen als er Chiara sah. So hieß sie also, diese


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