LICHT UND SCHATTEN (Black Stiletto 2). Raymond Benson

LICHT UND SCHATTEN (Black Stiletto 2) - Raymond Benson


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Ihnen, wenn wir hier fertig sind.«

      Also ging ich hinaus und wartete in dem Aufenthaltsraum, wo die Patienten saßen und geistesabwesend fernsahen oder Löcher in die Luft starrten. Das war kein sehr angenehmer Ort und ich versuchte so wenig wie möglich in anderen Räumlichkeiten als dem Zimmer meiner Mutter zu verbringen. Im Fernsehen lief eine Seifenoper, was das Ganze noch unerträglicher machte. Aber schließlich erschien Dr. McDaniel.

      »Lassen Sie uns zum Reden hier herübergehen«, sagte sie und deutete auf einen leeren runden Tisch in der Ecke. Ich folgte ihr und setzte mich.

      »Wie steht es um den Dekubitus?«, fragte ich.

      »Schon sehr viel besser. Ich habe ihn gefunden, bevor er sich zu etwas Ernstem hätte entwickeln können. Ich werde Ihrem Hausarzt einen Bericht zukommen lassen. Es würde helfen, wenn sie mehr laufen, sich mehr bewegen würde. War Ihre Mutter früher sehr sportlich?«

      Ich nickte. »Denke schon. Nicht zu meiner Zeit, aber sie trainierte gern in unserem Keller. Sie hatte einen Sandsack, den sie regelmäßig verdrosch.«

      Die Ärztin lächelte. »Das glaube ich Ihnen. Wenn man von ihrer Dünnheit absieht, ist sie immer noch unglaublich muskulös. Es wäre schön, wenn wir es schaffen könnten, dass sie wieder ein wenig zulegt.«

      »Wie geht es ihr sonst so? Geistig, meine ich.«

      Die Ärztin schürzte die Lippen. »Ihr Zustand ist stabil. Die Alzheimer-Symptome haben sich weder verbessert noch verschlimmert. Sie scheint sich eingepegelt zu haben. Die Erkrankung kam unverhofft, oder?«

      »Ja. Binnen zweier Jahre verfiel sie von der Normalität in jenen Zustand, den Sie jetzt vor sich sehen. Ihr Arzt meinte, das sei selten, aber nicht ungewöhnlich. Die Krankheit würde sich bei jedem anders auswirken.«

      »Das ist richtig.«

      »Sie können also nicht sagen, wie lange es dauert, bis es schlimmer wird?«

      »Ich fürchte, nein. Wir müssen ihren Geist weiter stimulieren. Ich bin sicher, dass es hilft, wenn Sie sie oft besuchen.«

      Ich zuckte mit den Schultern. »Ich tue, was ich kann. Sie ist meine Mutter.«

      »Natürlich. Nun, worüber ich eigentlich mit ihnen reden wollte, sind all die Narben, die sie am Körper trägt.«

      »Narben?«

      Die Ärztin nickte. »Sie hat einige davon. Sie sind sehr alt – fünfzig Jahre oder mehr – aber sie sind sehr ungewöhnlich für eine Frau. War sie bei den Streitkräften?«

      Ich hatte meine Mutter nie nackt gesehen, deswegen wusste ich davon nichts.

      »Nein. Das war sie nicht.« Ich hatte natürlich eine ziemlich gute Vorstellung davon, woher sie die Narben hatte, aber das konnte ich nicht sagen.

      »Noch beunruhigender sind die beiden alten Schusswunden.«

      »Was?«

      »Ihre Mutter wurde zweimal angeschossen. Da bin ich sicher, ich bin Militärärztin gewesen. Sie hat eine an ihrer linken Schulter und eine an der linken Seite an ihrem Abdomen. Außerdem gibt es eine lange Narbe an ihrer rechten Schulter, von der ich glaube, dass sie von einer scharfen Klinge stammt, etwa einem Messer. Woher hat sie diese?«

      Ich gab mir Mühe, überrascht und schockiert zu tun. »Mein Gott, ich habe keine Ahnung!« Ich wusste, woher sie die Schusswunde an der Schulter hatte – ich hatte darüber in ihrem ersten Tagebuch gelesen. Douglas Bates hatte auf sie geschossen. Die lange Narbe an ihrer rechten Schulter hatte ich gesehen; die stammte mit Sicherheit von einer Stichverletzung, die Freddie Barnes notdürftig zusammengenäht hatte. Aber von einem Bauchschuss wusste ich nichts. Ich ging davon aus, dass ich etwas über deren Herkunft in einem der anderen Tagebücher erfahren würde. »Es gibt eine Menge vom Leben meiner Mutter, bevor ich geboren wurde, über das ich nichts weiß«, sagte ich. »Ich wusste, dass sie die Narbe an der rechten Schulter hatte. Sie sagte immer, dass sie von einem Autounfall herrührte.«

      Die Ärztin setzte einen skeptischen Blick auf. »Die Wunde ist schlecht vernäht worden, das ist nicht die Arbeit von jemandem, der sein Handwerk versteht.« Sie warf mir einen Seitenblick zu. »Hat sie nie ein anderer Arzt danach gefragt?«

      »Nein. Das ist das erste Mal, dass ich davon höre.«

      Ich glaube nicht, dass sie mir das abnahm. Ich war kein sehr guter Lügner. Meine Mutter ertappte mich immer, wenn ich sie anflunkerte. Wenn ich es mir recht überlegte, dann waren Gina und meine Ex-Frau Carol auch sehr gut darin, mich zu durchschauen. Mein Pokerface taugte überhaupt nichts.

      »In Ordnung«, sagte die Ärztin. »Ich dachte, vielleicht wissen Sie etwas darüber. Ich war mir sicher, dass sie im Einsatz gewesen sein musste.«

      »Nope. Meine Güte! Nicht dass ich wüsste …«

      »Nun gut.« Sie stand auf und streckte die Hand aus. »War schön, Sie kennengelernt zu haben, Martin. Wir sehen uns sicher.«

      Ich schüttelte ihre Hand und bedankte mich bei ihr.

      Als ich auf dem vollgestopften Expressway nach Chicago fuhr, dachte ich darüber nach, was Dr. McDaniel herausgefunden hatte. Woher hatte Mom die zweite Schusswunde? War das der Grund, warum sie schließlich aufgehört hatte, die Black Stiletto zu sein?

      Wieder einmal wurde ich mir des ungeheuren Geheimnisses bewusst, auf dem ich saß. Wie viel würde es einbringen, wenn ich die Geschichte meiner Mutter an die Medien verkaufen würde? Wahrscheinlich würde ich nie wieder arbeiten müssen.

      Herrgott, war das verlockend.

      6| Judys Tagebuch 1959

       Februar 1959

      Oh, liebes Tagebuch, ich kann kaum glauben, dass Buddy Holly tot ist! Und Ritchie Valens und der Big Bopper ebenso. Vor ein paar Tagen sind sie bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Es ist furchtbar. Im Radio spielen sie ununterbrochen Buddys Musik. Seitdem das passiert ist, gehen mir seine Songs nicht mehr aus dem Kopf. Was für ein Unglück.

      Heute Morgen stand noch mehr darüber in der Zeitung. Ich las einen der Berichte, als mich Freddie fragte: »Hast du die Anzeige von diesem Hollywood-Produzenten gesehen?« Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach, also zeigte er sie mir. Die Überschrift lautete: HOLLYWOOD WILL BLACK STILETTO.

      Was?

      Anscheinend wollte ein Filmproduzent namens Albert Franz die Black Stiletto in seinem nächsten Film haben. Er hatte Geld für eine Anzeige ausgegeben, um mit ihr in Kontakt zu treten und sie zu bitten, dass sie in seinem New Yorker Büro anruft. Eine Nummer war abgedruckt. In der Anzeige stand: »Das könnte leicht verdientes Geld für Sie sein.«

      Ich sagte Freddie, dass das ein Haufen Bockmist sei. Er lachte, aber sagte, dass ich es mir überlegen sollte. Geld stinkt nicht. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie die Black Stiletto in einem Film mitspielen und ihre Identität weiterhin geheimhalten sollte. Ich erklärte Freddie, dass er sich das aus dem Kopf schlagen sollte. Er riss die Anzeige trotzdem heraus und klebte sie mit einem Streifen Klebeband an den Kühlschrank. Er sagte: »Vielleicht änderst du ja deine Meinung.«

      »Wohl kaum«, antwortete ich.

      Zeit, zur Arbeit zu gehen. Freddie lässt mich jetzt ein paar der Männer trainieren. Immer mehr von ihnen wollen von mir anstatt von Freddie trainiert werden. Woran das wohl liegen mag? Es hat bestimmt nichts damit zu tun, dass ich eine junge Dame mit einer fantastischen Figur bin (wenn ich das so sagen darf, haha).

       Später

      Heute habe ich Tony the Tank getroffen!

      Er kam gegen Ende meines Arbeitstages in den Boxklub. Zuletzt hatte ich ihn auf der Neujahrsfeier gesehen. Er fragte, ob er mit mir reden könne, und ich sagte, dass ich mich mit ihm um 17:15 Uhr im East Side Diner treffen könnte. Als ich mit der Arbeit fertig war, lief ich die Straße hinauf und setzte mich mit ihm in eine Nische. Lucy hatte frei. In der Jukebox lief »Sixteen Candles«


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