LICHT UND SCHATTEN (Black Stiletto 2). Raymond Benson

LICHT UND SCHATTEN (Black Stiletto 2) - Raymond Benson


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seine Verwirrung förmlich vor mir sehen – wo steckte sie nur? Sie war doch eben noch hier!

      Dann knipste jemand in dem Haus das Licht an. Der Lichtschein fiel über den gesamten Gehweg – und natürlich auch auf mich.

      Die ganze Zeit, die ich im Turnunterricht verbracht hatte, machte sich nun bezahlt. Ich legte die Hände auf den Gehweg über mir, stieß mich mit den Füßen ab und schwang meinen Körper hinauf, so wie ich es Jahre zuvor auf dem Stufenbarren getan hatte. Er stand direkt vor mir. Mit den Händen flach auf dem Boden schwang ich meine Beine parallel zum Gehweg nach ihm und traf sein Schienbein. Er schrie vor Schmerz, stürzte, aus seiner Waffe löste sich ein letzter zielloser Schuss, bevor er sie fallen ließ. Ich denke, ich habe ihm wohl das Bein gebrochen.

      Schnell sprang ich auf die Füße, trat die Pistole einige Meter weit weg und stellte mich über ihn. Er wand und krümmte sich mit schmerzverzerrtem Gesicht am Boden und hielt seinen Unterschenkel umklammert. Das Heft meines Stilettos ragte aus seiner rechten Schulter. Sein Mantel war mit Blut durchtränkt.

      Das Geräusch heulender Sirenen näherte sich. Ich schätze, die Schüsse hatten wohl die Cops alarmiert. Mir blieb nicht viel Zeit. Ich wollte längst weg sein, wenn sie hier eintrafen. Die Polizei in der Stadt würde nichts lieber tun als die maskierte Rächerin fangen, die sie für so eine Bedrohung hielten. Völlig egal, dass sie eigentlich eine von den Guten war.

      Ich drückte dem Mann die Sohle meines Stiefels auf die Brust und legte mein Gewicht darauf.

      »Wer sind Sie?«, knurrte ich durch die Zähne. Seine Augen waren voller Angst. Er wusste, dass er die Schlacht verloren hatte. »Warum haben Sie auf mich geschossen? Antworten Sie mir!« Ich bohrte den Absatz in sein Brustbein. Er zuckte zusammen und grunzte.

      Die Sirenen wurden lauter. Sie würden jeden Moment hier sein.

      »Da ist ein Kopfgeld … auf Sie ausgesetzt«, murmelte er keuchend. »Eine sehr große … Belohnung.«

      »Ein Kopfgeld? Auf mich? Von wem?«

      Die Spur eines Lächelns erschien in seinem Gesicht. »DeLuca. Weil Sie … seinen Bruder getötet haben.«

      Das ergab Sinn. Der neue Boss der Mafia, Franco DeLuca, wollte den Tod seines Bruders Don Georgio rächen. Aber ich hatte ihn nicht umgebracht! Okay, liebes Tagebuch, ich wollte ihn umbringen, dafür, dass er den Befehl gegeben hatte, Fiorello zu beseitigen, aber der fette Bastard brach sich das Genick, bevor ich es tun konnte. Er wollte mich erschießen, und ich nahm ihm die Waffe ab. Ich konnte nichts dafür, dass er das Gleichgewicht verlor, stürzte und sich den Kopf an dem Tisch anstieß. Ich hatte sogar einen Krankenwagen gerufen. Aber trotzdem ging man davon aus, dass ich für seinen Tod verantwortlich war.

      Unter meiner Maske begannen meine Ohren zu jucken. Die Sirenen waren mittlerweile wirklich laut. Die Streifenwagen bogen gleich um die Ecke.

      Ich zog mein Stiletto aus der Schulter des Typen. Er schrie. Tut mir sehr leid, mein Herr. Dann nahm ich den Fuß von ihm herunter und lief los. Ich sah mich um – mehrere Fußgänger aus dem Park standen am nördlichen Ende der 4th Street und starrten zu mir herüber. Jede Menge Augenzeugen. Aber das ließ sich nicht ändern.

      Im gleichen Augenblick bogen zwei Polizeiautos mit flackernden Lichtern und lautstarken Sirenen um die Ecke. Ich spurtete auf der Thompson gen Süden und bog auf der 3rd Street links ab. Ich denke nicht, dass sie mich gesehen hatten, denn niemand verfolgte mich. Die Cops interessierten sich offenbar mehr für den Typen, der mit einem gebrochenen Bein und einer Messerwunde auf der Straße lag.

      Ich hielt mich im Dunklen, ließ mir Zeit und begab mich langsam zur Second Avenue und 2nd Street in die behagliche Sicherheit meines Zimmers über dem Studio. Was nicht heißt, dass ich schlafen konnte. Den Rest der Nacht lag ich im Bett, warf mich herum, und durchlebte die Ereignisse jenes Abends.

      Manchmal ist der Kampf gegen das Verbrechen nicht so spaßig, wie er sein sollte.

      3| Judys Tagebuch 1959

       Januar 1959

      Ich dachte, ich schreibe heute Morgen ein paar Zeilen, bevor ich ins Gym arbeiten gehe.

      Gestern Abend habe ich Lucy in ihrem Appartement besucht, und wir haben ferngesehen. Das mache ich in letzter Zeit öfter, seit sie aus meiner Bude ausgezogen ist und sich ihre eigene Wohnung genommen hat. Ihr geht es jetzt schon viel besser. Ihre Verletzungen sind gut verheilt. Sie ist seelisch noch etwas angeschlagen und möchte nicht in dem Prozess gegen Sam aussagen, aber der Staatsanwalt meint, dass es keinen Prozess gegen ihn geben wird, wenn sie nicht aussagt. Ich sagte ihr, dass sie es tun muss. Sie kann Typen, die wie Sam Duncan Frauen verprügeln, nicht einfach damit davonkommen lassen.

      Letzte Woche ging sie schließlich wieder im Diner arbeiten. Manny hat sie auf Teilzeit gesetzt, solange sie es braucht, aber sie scheint klarzukommen. Ich wette, dass sie bis zum Ende des Monats wieder Vollzeit arbeiten wird.

      Die gute Nachricht ist, dass sie sich oft mit diesem Anwalt, Peter Gaskin, trifft. Während der Silvesterfeier verriet sie mir, dass er sie wahrscheinlich fragen wird, ob sie ihn heiraten will, aber bislang hat er das noch nicht. Ich sagte ihr, sie solle nichts überstürzen. Aus meiner Erfahrung (der wenigen Erfahrung, haha) weiß ich, dass die ersten ein, zwei Monate einer Beziehung ziemlich intensiv sein können. Aber was sage ich, dass weiß sie auch. Sie hat mehr Erfahrungen mit Beziehungen als ich. Schließlich ist sie auch sechs Jahre älter.

      Also war ich bei ihr und wir schauten zusammen fern. Wir mögen in etwa die gleichen Sendungen, auch wenn sie kein so großer Fan von Alfred Hitchcock Presents ist wie ich. Wir mögen lustige Sachen wie I Love Lucy und Milton Berle. Und bei Candid Camera, der Show mit der versteckten Kamera, lachen wir uns kringelig. Letztens schauten wir eine Westernserie namens Rawhide – Tausend Meilen Staub, die neu anlief. Ed Sullivan ist nach wie vor eine feste Größe, und mir gefallen die Musiker, die er in seiner Show zu Gast hat. Meistens schaue ich das Zuhause mit Freddie.

      Letzte Nacht sahen wir uns What's My Line – Wer bin ich an. Während der Werbepause nahm ich die Daily News zur Hand, und mein Blick fiel auf das unsägliche Phantombild der Black Stiletto auf einer der Innenseiten. In dem Artikel wurde behauptet, dass ich in alle Arten von Verbrechen in der Stadt verwickelt sei – Einbrüche, Angriffe auf Passanten und sogar Mordfälle – alles natürlich nur erstunken und erlogen. Ich spürte, wie mir das Blut hochkochte, während ich diesen Unsinn las. Der Police Commissioner wurde wieder mit den Worten zitiert, dass ich eine »Bedrohung« und »gefährlich« sei. Die gesamte Polizeitruppe hätte den Befehl, mich dingfest zu machen oder wenn es sein musste auch auf mich zu schießen.

      Meine Güte, die Cops sind hinter mir her, das FBI ist hinter mir her und die Mafia ist hinter mir her. Ich schätze, ich bin derzeit wohl nicht die heißeste Partie, die man haben kann, haha.

      »Es wird immer schlimmer mit dem Verbrechen in der Stadt«, sagte Lucy. Sie musste wohl mitbekommen haben, was ich las.

      »Sieht ganz danach aus«, antwortete ich.

      »Glaubst du, dass sie wirklich helfen will?«

      »Wer?«

      »Die Black Stiletto.«

      »Natürlich will sie das. Ich glaube kein Wort von dem, was hier steht. Sie begeht keine Verbrechen, sie verhindert sie.«

      »Bis du dir da sicher? Warum sollten sie das drucken, wenn es nicht die Wahrheit ist?«

      Ich legte die Zeitung ab. »Lucy, sag mir nicht, dass du alles glaubst, was in der Zeitung steht.«

      »Na ja, das muss doch stimmen, oder? Warum sollten die Zeitungen lügen?«

      »Komm schon, die Black Stiletto hat deinen Ex-Freund geschnappt, schon vergessen? Den Typen, der dich zusammengeschlagen und beinahe dem Tod überlassen hat. Sie hat ihn einer gerechten Strafe zugeführt. Wie kannst du so von ihr denken?«

      »Vielleicht ging es ihr nur um die Publicity.«


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