Walter Benjamin: Gesamtausgabe - Sämtliche Werke. Walter Benjamin

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die »Histoire des Girondins«, welche zuerst als Feuilleton erschienen war, hatte er 600 000 Francs bezogen. Die üppige Honorierung von literarischer Tagesware führte notwendig zu Übelständen. Es kam vor, daß Verleger sich beim Erwerb von Manuskripten das Recht vorbehielten, sie von einem Verfasser ihrer Wahl zeichnen zu lassen. Das setzte voraus, daß einige erfolgreiche Romanciers mit ihrer Unterschrift nicht heikel waren. Näheres darüber berichtet ein Pamphlet »Fabrique de romans, Maison Alexandre Dumas et Cie«924. Die »Revue des deux mondes« schrieb damals: »Wer kennt die Titel aller Bücher, die Herr Dumas gezeichnet hat? Kennt er sie selber? Wenn er nicht ein Journal mit ›Soll‹ und ›Haben‹ führt, so hat er bestimmt … mehr als eines der Kinder vergessen, von denen er der legitime, der natürliche oder der Adoptivvater ist.«925 Es ging die Sage, Dumas beschäftige in seinen Kellern eine ganze Kompagnie armer Literaten. Noch zehn Jahre nach den Feststellungen der großen Revue – 1855 – findet man in einem kleinen Organ der Bohème die folgende pittoreske Darstellung aus dem Leben eines erfolgreichen Romanciers, den der Autor de Santis nennt: »Zuhause angekommen, schließt Herr de Santis sorgfältig ab … und öffnet eine kleine hinter seiner Bibliothek verborgene Tür. – Er befindet sich damit in einem ziemlich schmutzigen, schlecht beleuchteten Kabinett. Da sitzt, einen langen Gänsekiel in der Hand, mit verwirrtem Haar ein düster doch unterwürfig blickender Mann. In ihm erkennt man auf eine Meile den wahren Romancier von Geblüt, wenn es auch nur ein ehemaliger Ministerialangestellter ist, der die Kunst Balzacs bei der Lektüre des ›Constitutionnel‹ erlernt hat. Der wahre Verfasser der ›Schädelkammer‹ ist er; er ist der Romancier.«926927 Unter der zweiten Republik versuchte das Parlament gegen das Überhandnehmen des Feuilletons anzukämpfen. Man belegte die Romanfortsetzungen Stück für Stück mit einer Steuer von einem Centime. Mit den reaktionären Pressgesetzen, die durch Beschränkung der Meinungsfreiheit dem Feuilleton erhöhten Wert gaben, trat die Vorschrift nach kurzer Frist außer Kraft.

      Die hohe Dotierung des Feuilletons verbunden mit seinem großen Absatz verhalf den Schriftstellern, die es belieferten, zu einem großen Namen im Publikum. Es lag für den Einzelnen nicht fern, seinen Ruf und seine Mittel kombiniert einzusetzen: die politische Karriere erschloß sich ihm fast von selbst. Damit ergaben sich neue Formen der Korruption, und sie waren folgenreicher als der Mißbrauch bekannter Autorennamen. War der politische Ehrgeiz des Literaten einmal erwacht, so lag es für das Regime nahe, ihm den richtigen Weg zu weisen. 1846 bot Salvandy, der Kolonialminister, Alexandre Dumas an, auf Regierungskosten – das Unternehmen war mit 10 000 Francs bedacht – eine Reise nach Tunis zu unternehmen, um die Kolonien zu propagieren. Die Expedition mißriet, verschlang viel Geld und endete mit einer kleinen Anfrage in der Kammer. Glücklicher war Sue, der auf Grund des Erfolges seiner »Mystères de Paris« nicht nur die Abonnentenzahl des »Constitutionnel« von 3600 auf 20 000 brachte, sondern 1850 mit 130 000 Stimmen der Arbeiter von Paris zum Deputierten gewählt wurde. Die proletarischen Wähler gewannen damit nicht viel; Marx nennt die Wahl einen »sentimental abschwächenden Kommentar«928 der vorangegangenen Mandatsgewinne. Wenn so die Literatur den Bevorzugten eine politische Laufbahn eröffnen konnte, so ist diese Laufbahn ihrerseits für die kritische Betrachtung ihrer Schriften verwertbar. Lamartine bietet dafür ein Beispiel dar. Lamartines entscheidende Erfolge, die »Méditations« und die »Harmonies«, reichen in die Zeit zurück, in der das französische Bauerntum noch im Genuß des eroberten Ackers stand. In einem naiven Vers an Alphonse Karr hat der Dichter sein Schaffen dem eines Weinbauern gleichgestellt:

      Tout homme avec fierté peut vendre sa sueur!

      Je vends ma grappe en fruit comme tu vends ta fleur,

      Heureux quand son nectar, sous mon pied qui la foule,

      Dans mes tonneaux nombreux en ruisseaux d’ambre coule,

      Produisant à son maître, ivre de sa cherté,

       Beaucoup d’or pour payer beaucoup de liberté! 929

      Diese Zeilen, in denen Lamartine seine Prosperität als eine bäuerliche lobt und der Honorare sich rühmt, die ihm sein Produkt auf dem Markt verschafft, sind aufschlußreich, wenn man sie minder von der moralischen Seite”930 denn als einen Ausdruck von Lamartines Klassengefühl betrachtet. Es war das des Parzellenbauern. Darin liegt ein Stück Geschichte von Lamartines Poesie. Die Lage des Parzellenbauern war in den vierziger Jahren kritisch geworden. Er war verschuldet. Seine Parzelle lag »nicht mehr im sogenannten Vaterland, sondern im Hypothekenbuch«931. Damit war der bäuerliche Optimismus, die Grundlage der verklärenden Anschauung der Natur, die Lamartines Lyrik eigen ist, in Verfall geraten. »Wenn die neu entstandene Parzelle in ihrem Einklang mit der Gesellschaft, in ihrer Abhängigkeit von den Naturgewalten und ihrer Unterwerfung unter die Autorität, die sie von oben beschützte, natürlich religiös war, wird die schuldzerrüttete, mit der Gesellschaft und der Autorität zerfallene, über ihre eigene Beschränktheit hinausgetriebene Parzelle natürlich irreligiös. Der Himmel war eine ganz schöne Zugabe zu dem eben gewonnenen schmalen Erdstrich, zumal da er das Wetter macht; er wird zum Insult, sobald er als Ersatz für die Parzelle aufgedrängt wird.«932 An eben diesem Himmel waren die Gedichte Lamartines Wolkengebilde gewesen, wie denn Sainte-Beuve schon 1830 geschrieben hatte: »Die Dichtung von André Chénier … ist gewissermaßen die Landschaft, über der Lamartine den Himmel ausgespannt hat.«933 Dieser Himmel stürzte für immer ein, als die französischen Bauern 1849 für die Präsidentschaft von Bonaparte stimmten. Lamartine hatte ihr Votum mit vorbereitet934. »Er hätte wohl nicht gedacht«, schreibt über seine Rolle in der Revolution Sainte-Beuve, »daß er bestimmt war, der Orpheus zu werden, welcher mit seinem güldenen Bogen jenen Einfall der Barbaren lenken und mäßigen sollte.«935 Baudelaire nennt ihn trocken »ein bißchen hurig, ein bißchen prostituiert«936.

      Für die problematischen Seiten dieser glanzvollen Erscheinung hat schwerlich einer einen schärferen Blick besessen als Baudelaire. Das mag damit zusammenhängen, daß er selber seit jeher wenig Glanz auf sich hatte ruhen fühlen. Porché meint, es sehe ganz danach aus, als habe Baudelaire nicht die Wahl gehabt, wo er seine Manuskripte placieren könne937. »Baudelaire«, schreibt Ernest Raynaud, »hatte mit … Gaunersitten zu rechnen; er hatte es mit Herausgebern zu tun, die auf die Eitelkeit der Leute von Welt, der Amateure und der Anfänger spekulierten und welche Manuskripte nur annahmen, wenn man Abonnements zeichnete.«938 Baudelaires eigenes Verhalten entspricht dieser Sachlage. Er stellt das gleiche Manuskript mehreren Redaktionen zur Verfügung, vergibt Zweitdrucke, ohne sie als solche zu kennzeichnen. Er hat den literarischen Markt schon früh völlig illusionslos betrachtet. 1846 schreibt er: »So schön ein Haus sein mag, es hat vor allem einmal – und ehe man sich bei seiner Schönheit aufhält – soundsoviel Meter Höhe und soundsoviel Meter Länge. – Ebenso ist die Literatur, welche die unschätzbarste Substanz darstellt, vor allem Zeilenfüllung; und der literarische Architekt, dem nicht schon sein bloßer Name einen Gewinn verspricht, muß zu jedem Preise verkaufen.«939 Bis an sein Ende blieb Baudelaire auf dem literarischen Markt schlecht placiert. Man hat berechnet, daß er mit seinem gesamten Werk nicht mehr als 15 000 Francs verdient hat.

      »Balzac richtet sich mit Kaffee zu Grunde, Müsset stumpft sich durch Absinthgenuß ab …, Murger stirbt … in einer Heilanstalt wie eben jetzt Baudelaire. Und nicht einer dieser Schriftsteller ist Sozialist gewesen!«940 schreibt der Privatsekretär von Sainte-Beuve, Jules Troubat. Baudelaire hat die Anerkennung, die der letzte Satz ihm zollen wollte, gewiß verdient. Aber er war darum nicht ohne Einsicht in die wirkliche Lage des Literaten. Ihn – und sich selber an erster Stelle – mit der Hure zu konfrontieren, war ihm geläufig. Das Sonett an die käufliche Muse – »La muse vénale« – spricht davon. Das große Einleitungsgedicht »Au lecteur« stellt den Dichter in der unvorteilhaften Positur dessen dar, der für seine Geständnisse klingende Münze nimmt. Eines der frühsten Gedichte, die in die »Fleurs du mal« keinen Eingang fanden, ist an ein Straßenmädchen gerichtet. Seine zweite Strophe lautet:

      Pour avoir des souliers, elle a vendu son âme;

      Mais le bon Dieu rirait si, près de cette infâme,

      Je tranchais du tartufe et singeais la hauteur,

      


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