Super reich. Polly Horvath

Super reich - Polly  Horvath


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ein Monopolyspiel, eine vollständige Enzyklopädie, deren zahlreiche Bände er nicht einmal hochheben konnte. Er bräuchte wahrhaftig einen Lastwagen, um das alles nach Hause zu bringen. Vieles hatte er sich noch gar nicht richtig anschauen können. Beinahe hätte er gefragt, ob er an dieser Stelle nicht aufhören und behalten könnte, was er bisher zusammengetragen hatte. Doch er spürte, dass das nicht gut ankommen würde. Deshalb setzte er sich nervös auf seinen Platz, während sein Magen vor Angst und Völlerei laut knurrte.

      Onkel Henry und Onkel Moffat versuchten, Rupert die Regeln in allen Einzelheiten darzulegen, während die anderen sich um sie drängten und eigene Tipps besteuerten.

      «Wir spielen nur mit fünf Karten», sagte Melanie.

      «Damit es nicht zu kompliziert wird», sagte William.

      «Du spielst nicht mit deinem Blatt, sondern mit den Mitspielern», sagte Mr Rivers. Rupert verstand nur Bahnhof.

      «Du musst ein gutes Pokerface machen», sagte der andere Turgid. «Sieh mal.»

      Er zog so eine grausige Grimasse, dass Rupert vor Angst beinahe vom Stuhl fiel, und Turgid lachen musste.

      «Ja, ja, das reicht jetzt, er hat es verstanden», sagte Onkel Henry. «Los, teilt die Karten aus.»

      Doch Rupert hatte es nicht verstanden, jedenfalls nicht sofort, und verlor gleich in den ersten beiden Spielen sowohl den Teddybär als auch eine der begehrten Pralinenschachteln. Wer gewann, bekam nicht nur seinen eigenen Einsatz zurück, sondern auch die Gewinne, die die anderen gesetzt hatten. Ruperts Verstand, der normalerweise nicht gefüttert wurde und deshalb nicht sonderlich ergiebig war, war entbrannt, angefeuert von dem vielen Zucker und ausgeruht, weil er so lange nicht im Einsatz gewesen war. Ausnahmsweise spielte er mit und kam Rupert zu Hilfe. Allmählich fand er heraus, was er mit seinen Karten tun sollte und wie es mit dem Blatt der anderen aussah. Er schätzte ab, wie groß die Chance war, dass der Einsatz der Mitspieler auf ihrem Blatt beruhte. Er hätte nicht sagen können, wie er das machte, doch er machte es richtig, denn er begann zu gewinnen. Jedes Spiel.

      «Er pfuscht», beschwerte sich William.

      «Das reicht, William», sagte Mrs Rivers. «Das sagen wir hier nie.»

      «Wie soll er denn pfuschen?», fragte Turgid. «Er hat noch nie Poker gespielt.»

      «Das sagen alle Falschspieler», sagte William. «So kriegen sie dich.»

      «Das war’s», sagte Onkel Henry, stand auf und warf William einen bösen Blick zu. «Du musst den Tisch verlassen.»

      «Mir doch egal», sagte William. «Meine Gewinne sind ohnehin weg.» Er ging und schmollte vor dem Fernseher.

      «Kümmere dich nicht um ihn», sagte Onkel Henry. «Er war immer schon ein schlechter Verlierer. Aber du! Du bist unglaublich! Du bist ein Genie. So etwas haben wir noch nie erlebt. Jedenfalls hast du Leben in unser diesjähriges Weihnachtsfest gebracht. Ja, das hast du, junger Rupert! Du bist wirklich etwas ganz Besonderes!»

      Rupert wurde rot. Dann gewann er erneut. Er gewann, bis sich um ihn herum die Gewinne nur so stapelten. Und wieder fragte er sich, wie er das alles nach Hause tragen sollte. Vielleicht würden die Rivers ihm erlauben, mehrfach zu gehen. Der tollste Gewinn waren die Winterstiefel. Er hatte es ausgehalten, an den Füßen zu frieren, weil ihm nichts anderes übriggeblieben war. Aber jetzt, da er wusste, sie würden warm bleiben, konnte er die Vorstellung, sie könnten jemals wieder frieren, nicht ertragen. Offenbar konnte man die Dinge nur über sich ergehen lassen, bis es Hoffnung auf Erlösung gab. Entsetzt stellte er fest, dass dies alles nur noch schlimmer machte, denn jetzt hoffte er tatsächlich auf bessere Zeiten. Und Hoffnung war etwas Schreckliches, weil es die Notwendigkeit erstickte, das Schlimmste zu erdulden. Sobald diese Notwendigkeit nicht mehr da war, schwand auch die stählerne Fähigkeit dazu. Jetzt war die Vorstellung eiskalter Füße unerträglich und das war gefährlich, weil er noch nicht aus dem Schneider war.

      Beim letzten Blatt trat er gegen Onkel Henry an. Der Sieger bekam alles. Auch Onkel Henry hatte auf seiner Seite des Tisches eine Vielzahl begehrenswerter Gewinne angehäuft, zum Beispiel einen Schneerutscher und ein Skateboard. Und eine ganze Kiste mit Mais in der Dose. Rupert dachte, er würde Onkel Henry mit Freuden dessen Gewinne und auch seine eigenen überlassen, wenn er jetzt aufhören und die Stiefel mitnehmen dürfte. Nur die Stiefel. Er wäre glücklich, wenn er nur die Stiefel nicht verlöre.

      Zu diesem Zeitpunkt hatten die Rivers, die nicht zum letzten Showdown antraten, normalerweise längst genug voneinander und den Spielen und gingen zum Fernseher, lasen im Wohnzimmer ein Buch am Kamin oder machten sich noch einmal über den Nachtisch her. Doch an diesem Weihnachten veranlasste die elektrische Energie zwischen Onkel Henry, dem Experten, und Rupert, dem Neuling – die beide unbedingt gewinnen wollten und den Gegner mit zusammengekniffenen Augen über ihre Karten hinweg genau beobachteten – alle, stumm auf ihren Plätzen zu bleiben. Mittlerweile lagen sämtliche Gewinne gestapelt auf dem Esstisch, der unter ihrem Gewicht ächzte.

      «Wer gewinnt? Wer gewinnt?», fragte Mrs Rivers nervös.

      «Ach, halt die Klappe, Beth», sagte Onkel Moffat.

      «Rupert soll gewinnen», sagte Turgid.

      «Oh nein, unbedingt Henry», sagte die Bibliothekarin hinter dem Vorhang. «Henry gewinnt immer.»

      «Natürlich muss es Onkel Henry sein», sagte Melanie. «Dann kann er mir die Nancy-Drew-Bücher zurückgeben.»

      «Gib’s auf, die Bücher kannst du abschreiben», höhnte Rollin. «Auch wenn Onkel Henry gewinnt. Und das muss er, hier geht es um die Familienehre.»

      «Nein, lasst den Neuen gewinnen», sagte Tante Hazelnut. «Diese Familie sollte mal gehörig aufgerüttelt werden.»

      Rupert und Onkel Henry schwiegen. Sie atmeten langsamer und hatten die Augen zu noch engeren Schlitzen verengt. Das Esszimmer war auf zwei Blätter und einen Haufen Gewinne geschrumpft.

      Ich werde hier nicht der Sieger sein, dachte Rupert. Ich kann es nicht sein. Ich muss es sein.

      Onkel Henry und Rupert hatten jeweils fünf Karten. Sie durften vier Karten abwerfen und dafür vier neue Karten verlangen, um ein besseres Blatt zu bekommen. Rupert hatte drei Sechsen. Es war gut, drei zu haben, egal wovon. Vier war besser. Es wäre sogar ungewöhnlich, ein besseres Blatt als vier gleiche Karten zu haben. Doch er hatte keine Ahnung, was Onkel Henry auf der Hand hatte. Falls Onkel Henry vier neue Karten ziehen würde, hätte er vermutlich gar nichts zu bieten. Wenn er aber nur um eine neue Karte bat, war sein Blatt wahrscheinlich sehr gut.

      In der Hoffnung auf eine weitere Sechs bat Rupert um zwei neue Karten und warf die beiden, die keine Sechs waren, ab. Onkel Moffat reichte sie ihm. Rupert hob die beiden Karten nacheinander zu seinem Blatt. Die erste war eine Neun. Aber die zweite, nein, das war unmöglich. Das konnte nicht sein! Eine vierte Sechs! Er würde gewinnen! Er durfte nicht nur seine, sondern auch Onkel Henrys Gewinne behalten! Moment, so musste es nicht unbedingt kommen. Freu dich nicht zu früh, dachte er. Es hing von Onkel Henrys Blatt und den Karten ab, die er bekam. Und jetzt bat Onkel Henry ebenfalls um zwei neue Karten. Vielleicht hatte er drei gleiche, vielleicht hatte er drei Siebenen und würde eine vierte bekommen. Das würde ausreichen, damit Onkel Henry gewann. Vier Siebenen.

      Onkel Henry steckte die beiden Karten nacheinander in sein Blatt, wie Rupert es eben getan hatte, und begutachtete, was das Schicksal ihm beschert hatte. Rupert studierte Onkel Henrys Gesicht so aufmerksam, als stünde dort der Sinn des Lebens geschrieben, doch er konnte nicht erkennen, was Onkel Henry bekommen hatte. Seinem Gesicht war nichts zu entnehmen.

      Onkel Henry blickte starr zurück. «Nur zwei Karten, ja?», sagte er schließlich. «Du bluffst, Rupert. Ich wette, du hast nichts auf der Hand. Darauf setze ich alles.»

      «Ja, äh, okay. Ich setze alles außer den Stiefeln», sagte Rupert voller Hoffnung. Schließlich konnte Onkel Henry alle möglichen Blätter haben, die besser waren als sein eigenes. Er könnte ein Full House haben, oder einen Royal Flush. Er blieb lieber vorsichtig und hielt den einen Gewinn zurück.

      «Mach


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