Super reich. Polly Horvath

Super reich - Polly  Horvath


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«Reichen wir erst einmal den Zylinder herum?»

      «Ich weiß nicht, wie man das spielt», flüsterte Rupert Turgid zu.

      «Ach, das ist ganz einfach», sagte Turgid. «Alle nehmen einen gefalteten Zettel mit einer Zahl aus einem Hut, den wir herumgehen lassen. Derjenige mit der Nummer Eins nimmt einen Gewinn vom Tisch und packt ihn aus. Dann geschieht das Gleiche mit der Nummer Zwei, aber Nummer Zwei kann nun entscheiden, ob er seinen Gewinn behalten oder gegen den ersten tauschen möchte. Nummer Drei kann seinen Gewinn behalten oder gegen den von Nummer Eins oder Zwei eintauschen. Nachdem man einmal an der Reihe war, kann man nicht mehr auswählen. Die beste Zahl ist natürlich die letzte, weil man seinen Gewinn gegen den aller anderen tauschen kann. Es gibt tolle Gewinne, aber auch ganz schreckliche.»

      «Es geht darum, mehrere Leute richtig unglücklich zu machen», ergänzte Onkel Henry. «Am Ende bricht immer jemand zusammen und heult.»

      «Oh nein», sagte Rupert.

      «Das ist das Beste daran, mein Junge!», rief Onkel Henry. «Nimm auf niemandes Gefühle Rücksicht. Wenn einer etwas gezogen hat, das er oder sie unbedingt haben will, tausche, wenn du an der Reihe bist. Nimm es ihm weg, mach ihn unglücklich. Das ist im Kern der Unterhaltungswert dieses Spiels.»

      Rupert hatte nicht vor, das zu tun. Er würde sich schätzungsweise über jeden beliebigen Gewinn freuen. Bisher war er durchs Leben gekommen, indem er nicht auffiel, kein Theater machte und sich keine Feinde schuf. – Billingston brachte den Hut mit den Zetteln herein, der anschließend herumging. Rupert nahm ein Stück Papier und entfaltete es. Er hatte die Vier gezogen.

      «Das ist nicht gerade die beste Zahl», sagte Melanie wissend.

      «Vielleicht sogar die schlechteste», sagte der andere Turgid.

      Als alle eine Zahl vor sich liegen hatten, nahm Mrs Rivers, die die Eins gezogen hatte, einen Gewinn und packte ihn aus. Es war eine Apfelsine.

      «Tja, ich bin geliefert», sagte sie verdrossen. «Die will bestimmt niemand eintauschen. Wieso ziehe ich immer so eine niedrige Zahl? Wieso habe ich in all den Jahren, die ich dieses Spiel schon spiele, noch nie eine gute Zahl gezogen? Ich glaube, die sind gezinkt.»

      «Das sagst du jedes Jahr», meinte Mr Rivers, der die Zwei gezogen hatte. Er bekam eine Reihe Nancy-Drew-Bücher.

      «Großartig», sagte er. «Die habe ich noch nie gelesen. Ich sehe eine herrliche Woche vor mir.»

      «Falls du sie behalten darfst», flötete William.

      «Was nicht der Fall ist», sagte Melanie entschlossen. Sie hatte die Drei und packte bereits ihren Gewinn aus – eine Pralinenschachtel. «Perfekt. Ich tausche sie gegen deine Nancy-Drew-Bücher, vielen Dank.» Dann lief sie um den Tisch zu Mr Rivers, schnappte ihm die Bücher weg und warf ihm ihre Pralinenschachtel zu.

      «Dabei mag ich die nicht mal», sagte Mr Rivers traurig.

      «Hättest du lieber eine Apfelsine?», fragte Mrs Rivers.

      «Das hättest du wohl gerne», entgegnete Mr Rivers und blickte schmollend aus dem Fenster.

      «Ich mag Pralinen», sagte Sippy hoffnungsvoll.

      «Du kannst jetzt nicht tauschen», schnaubte Onkel Henry. «Ihr wart beide schon dran und du kannst Sippy nicht einfach die Pralinen geben. Sie weiß genau, dass es gegen die Regeln verstößt! Ihr seid mit eurem Gewinn geschlagen, hier wird nicht geschummelt!»

      Jetzt war Rupert an der Reihe. Er wählte einen kleinen Gewinn und öffnete ihn. Es war ein Kazoo.

      «Oh, vielen Dank», wisperte er, ohne im Entferntesten zu wissen, was es war.

      «Bei wem bedankst du dich?», spottete William.

      «Das ist ein beschissener Gewinn», sagte der andere Turgid.

      «Stimmt, aber meine Nancy-Drew-Bücher bekommst du nicht. Denk gar nicht erst drüber nach.»

      «Er kann alles haben, was er möchte!», sagte Onkel Henry.

      «Er wohnt nicht einmal hier», beschwerte sich Melanie.

      «Das ist nicht vorgeschrieben», entgegnete Onkel Henry. «Wenn du eine neue Regel aufstellen willst, musst du dich an das Regelkomitee wenden. Man kann nicht einfach mit einer neuen Regel ankommen, zum Beispiel, dass man hier wohnen muss, um einen Gewinn abzustauben.»

      «Es gibt kein Regelkomitee», sagte Melanie. «Das hast du dir ausgedacht.»

      «Selbstverständlich gibt es ein Regelkomitee», sagte Onkel Henry. «Wie hätten wir die Regeln sonst aufstellen sollen? Bist du dümmer als ein Pantoffeltierchen? Bist du völlig deiner Sinne beraubt?»

      «Herrje», sagte Mrs Rivers. «Jetzt hast du sie zum Weinen gebracht.»

      «Ich habe nur wichtige Dinge gefragt», sagte Onkel Henry. «Fragen, die sie sich selbst stellen sollte.»

      «Bin ich dümmer als ein Pantoffeltierchen?», schrie Melanie und stand auf. «Ich weiß nicht einmal, was ein Pantoffeltierchen ist!»

      «Meine Rede», sagte Onkel Henry, faltete die Hände und nickte still.

      «Und ich weine nicht!», schrie Melanie weiter. «Onkel Henry stellt mitten im Spiel Regeln auf und erfindet Institutionen, um damit durchzukommen.»

      «Gar nicht! Das habe ich noch nie getan!», sagte Onkel Henry. Er erhob sich beleidigt und baute sich vor Melanie auf.

      «Nimm ihre Bücher, mein Junge», sagte Onkel Moffat zu Rupert. «Das wird ihr eine Lehre sein.»

      «Ich behalte doch lieber dieses Ding, danke», flüsterte Rupert und umklammerte sein Kazoo.

      «Du weißt doch nicht mal, was das ist!», sagte der andere Turgid und krähte vor Lachen.

      «Er spielt nicht richtig mit!», sagte Rollin.

      «Genau!», sagte William. «Spielverderber.»

      «Haltet die Schnauze», sagte Melanie. «Natürlich möchte er ein Kazoo haben. Wer würde das nicht wollen?»

      «Ich bin dran», sagte Turgid und sorgte für Ablenkung, indem er seinen kleinen Gewinn auspackte.

      Es war das neue Bauern-Jahrbuch von 1996. Er tauschte es gegen die Pralinen seines Vaters ein. Am liebsten hätte er die Nancy-Drew-Bücher genommen, aber er fürchtete sich vor Melanie.

      «Gott sei Dank», sagte Mr Rivers und betrachtete das Kalendarium fürs nächste Jahr. «Damit kann man wenigstens etwas anfangen.» Er begann, die Wettervorhersage für Januar zu lesen.

      «Hättest du nicht eigentlich lieber eine Apfelsine, Turgid, mein Schatz?», fragte seine Mutter.

      «Nein, und das weißt du genau», antwortete Turgid.

      «Ich weiß wirklich nicht, warum wir Apfelsinen im Haus haben», sagte Mrs Rivers düster. «Keiner mag sie.»

      «Ich schon, aber ich hätte eben lieber die Pralinenschachtel», sagte Turgid.

      «Aber ich habe dich auf die Welt gebracht», sagte Mrs Rivers.

      «Nicht das schon wieder», sagte Turgid.

      Mrs Rivers neigte dazu, diese Tatsache zu erwähnen, wenn es nicht nach ihrer Nase ging.

      «Dreizehn Stunden in schrecklichen Wehen», murmelte Mrs Rivers vor sich hin, denn die anderen hörten gar nicht mehr zu.

      «Früher galt eine Orange oder auch eine Banane als exotisch, ein Luxusgut», sagte die Bibliothekarin hinter dem Vorhang. Sie hatte sich beim Abendessen an kleinen Tellern vom Tisch bedient und war damit jeweils zu ihrem Platz hinter dem Vorhang zurückgekehrt. Dort hatte sie in ihrem Essen gestochert und abwechselnd gelesen oder gelauscht. «Es gab Zeiten, da hätten Kinder sich sehr gefreut, so etwas zu Essen zu bekommen.»

      «Vielen Dank für die Information», sagte Onkel Moffat und verdrehte leicht die Augen.

      «Und


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