Leefke. Suta Wanji

Leefke - Suta Wanji


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      Zu viele Unglücksfälle in zu kurzer Zeit. Kein Erwachsener konnte das Unbehagen abschütteln, das sich langsam aber sicher Raum in jedem Haus suchte. Viele waren sich einig, es ging nicht mit rechten Dingen zu, nicht greifbar, innerlich verstörend. Keiner wusste eine Antwort, keine Alten, keine Behörde, auch wenn die verkündeten, sie hätten alles unter Kontrolle. Wer es konnte, verließ den Ort oder rückte näher mit Freunden und Verwandten zusammen. Unbehagen und Angst schmiedeten neue Freundschaften und ließen alte neu entflammen, Kinder wurden nicht mehr unbeaufsichtigt nach draußen gelassen, Schulwege wurden begleitet und so spürten auch die Kinder recht schnell, dass sich etwas Düsteres über den Ort gelegt hatte und die Erwachsenen veränderte und die Unschuld sterben ließ, wie eine frische Schneeflocke auf nasser Straße.

      Tabea bereitete das Treffen vor, begleitet von Peppi, die jede Handlung genauestens beobachtete und alle Wege mitlief. Gegen kurz vor zwei Uhr startete sie die Kaffeemaschine, stellte Kaffeebecher und Teetassen auf den Tisch, Neujahrskuchen und Gläser für Wasser, Teesöpje und Havanna Club. Peppi staubte einen Keks ab und als die Spätschicht eintrudelte, ertrug sie es dank eines riesigen Kauknochens, nicht im Mittelpunkt zu stehen. Tabea wusste schon von den Betriebshelfern und der grausige Tod der beiden jungen Männer stachelte ihr Lebensfeuer und ihren Arbeitswillen an, so dass sie nach Tee und Kaffee die Tassen abräumten und sich danach vor die Wände in Tabeas Arbeitszimmer begaben und ihre mind maps und Zeitraster bestaunten. Zusammenfassend stellten sie fest:

      1 Die ersten unerklärlichen Vorfälle begannen im Sommer letzten Jahres

      2 Allen Opfern wurde mit Gewalt der Kopf abgerissen. Nach Aussagen der Pathologen konnte auf Grund des enormen Kräfteaufwands kein Mensch dafür verantwortlich sein. Die Spuren stammten aber auch nicht von einem bekannten Tier!

      3 Alle Opfer waren männlich!

      4 Wer war Leefke?

      5 Woher kam der Brandgeruch?

      6 Gab es Verdächtige?

      7 Aus welchem Grund reagierten die Tiere so angstvoll?

      Tabea war sich sicher, außer ihr glaubte niemand der hier Anwesenden an andere Welten. Außer ihr praktizierte niemand das Aufsuchen dieser. Aber wie sollte sie es formulieren, ohne dass man sie direkt ins Landeskrankenhaus einweisen würde? Polizeiarbeit gab es nur in der mittleren Welt und nicht in der oberen oder unteren Welt. Heino Dirks fasste es dennoch zusammen mit einer Frage:

      „ Wie sollen wir jemanden oder etwas finden, dass nicht aus dieser Welt zu stammen scheint?“

      Es gab keine Spuren, keine verwertbaren Hinweise und keine Verdächtigen. Da kein Lebender Leefke zu Gesicht bekommen hatte, fühlten sich alle überfordert.

      Gegen sieben Uhr verließen sie Tabea ohne ein Resultat. Tabea ging mit Peppy zu den Stallungen und fütterte die Tiere, danach verschloss sie diese und zusammen tobten Tabbi und Peppi zurück zum Haus, vom Waldrand aus beobachtet von Bente.

      Nachdem Peppy versorgt war, lief Tabea zum CD Player und legte eine CD mit Touareg Blues ein. Langsam zur Musik tanzend begab sie sich in die Küche und beseitigte die Spuren des Nachmittags, briet sich ein Nackenkotelett vom dörflichen Hofladen und aß es genüsslich mit einem Rest „ Updrögt Bohnen“ vom Vortag. Sie ließ den Nachmittag Revue passieren und wusste plötzlich, sie musste neue Wege beschreiten. Sie musste die obere und untere Welt bereisen, musste Antworten finden, an Lösungen dachte sie noch gar nicht. Zudem beschloss sie, sich aktiv mit dem Mann vom Waldrand auseinander zu setzen. Instinktiv spürte sie, dass hier ein Teil der Lösungen lag, auch wenn sie keine Idee hatte, wie sie vorgehen wollte. So begab sie sich mit einem frisch gedrehten joint und einem Glas Havanna Club in ihren Ohrensessel, genoss den Tuareg Blues von Tinariwen und Tamikrest und ließ den Tag friedvoll ausklingen, sehnsüchtig beobachtet von draußen, was sie jedoch nicht registrierte. Nur Peppy begab sich zur Terrassentür und wedelte mit dem Schwanz, wohl wissend, dass keine Gefahr bestand.

      11. Erste Begegnung

      ….Mut und Sehnsucht….

      Tabea und Peppi liefen den Weg zum Waldrand hoch. Trotz der düsteren Geheimnisse, die ihren Wohnort zu umschließen schienen, stand sie heute Morgen auf, um festzustellen, es ging ihr gut und diese positiven Gefühle sprudelten in ihrem Inneren. Sie hoffte, dort am See oder im angrenzenden Moor und Wald auf den Mann zu treffen, der sie beobachtete. Tief im Inneren fühlte sie eine Verbindung und die ging weiß Gott über rein körperliche Gelüste hinaus.

      Peppi vermittelte ihr Vertrauen und Stärke, ließ sie über ihre momentanen Unzulänglichkeiten hinwegsehen und sie beherzt durch den Schnee schreiten. Peppi biss übermütig in Schneewehen und genoss den Spaziergang wie sie selbst auch.

      Eiszapfen hingen an den Ästen, die sich unter der schweren Schneelast nach unten bogen. Die Luft war eisig kalt und klar. Tabea setzte sich auf einen umgekippten Baumstamm und ließ die Stille auf sich wirken. Die Sonnenstrahlen streichelten ihre Gesichtshaut und ließen sie Angst, Leid und Bitterkeit vergessen. Wohlige Wärme machte sich in ihrem Inneren breit.

      Nach einer Weile spitzte Peppi die Ohren und fing an zu knurren. Stocksteif stand sie im Schnee und starrte in die Ferne zur Baumgrenze auf der anderen Seite des Sees. Tabea spürte Aufruhr im Inneren, konnte aber nichts sehen. Peppi lief aufgeregt hin und her, ihr Nackenhaar gesträubt. Nichts war zu sehen und doch fühlten sie sich beobachtet. Tabea spürte brennende Augen auf sich ruhen und konnte nicht feststellen, wo dieses Augenpaar zu suchen war. Peppi beruhigte sich, blieb trotzdem sehr wachsam. Es begann zu schneien, die Luft bestand nur noch aus wirbelnden Flocken, die die Sicht erschwerten. Tabea und Peppi setzten sich wieder in Bewegung Richtung Wald, vorbei an einsamen Bäumen am Wegrand, in denen Spinnennetze wie Perlenketten schimmerten. Schritt für Schritt setzte Tabea einen Fuß vor den anderen, einem unbekannten Ziel entgegen und angetrieben durch hohe Erwartungen.

      Nach einer Weile setzte sie sich wieder hin, umgeben von Birken und abgestorbenen Bäumen. In ihrem Inneren kribbelte es unaufhaltsam, sie wusste, sie war nicht allein. Dann sah sie ihn, schemenhaft, sein langes Haar tanzte im Wind und Schnee. Regungslos stand er dort und starrte sie an, dessen war sie sich sicher. Mutig und doch auch unsicher winkte sie ihm zu…keine Reaktion. Er stand weiter einfach nur da und starrte sie an. Sie fühlte sich, als ob sich die Augen in ihr Innerstes brannten. Sie winkte noch einmal und sie fühlte sich gedemütigt, weil wieder keine Reaktion erfolgte. Sie stand auf und gemeinsam mit Peppi lief sie auf die Gestalt zu. Doch je näher sie kam, desto mehr schien sich die Gestalt zu entfernen, rückte immer mehr von ihr ab. Schon lange hatte

      sie die Stelle erreicht, an der er vorher gestanden haben musste…nichts, nur riesige Fußabdrücke, die darauf schließen ließen, dass hier jemand gestanden hatte und Laufspuren, die tief ins Moor führten. Nichts war zu sehen, auch die Gestalt war verschwunden, das Kribbeln im Inneren war fort.

      Tabea sah sich noch einmal sorgfältig um, dann rief sie die stromernde Peppi zu sich und gemeinsam begaben sie sich auf den Heimweg, raus aus dem Schneegestöber, hin zu Kamin und Ohrensessel und heißer Schokolade. Zu Hause zog Tabea die nassen Sachen aus, hängte sie zum Trocknen in den Heizungsraum. Peppi wurde ordentlich mit einem dicken Handtuch durchgerubbelt. Im Wohnraum begab sie sich direkt in ihren Korb, Tabea in die Küche. Sie kochte einen Topf voll Kakao, schenkte sich dazu einen Havanna Club ein und fütterte den Kamin. Sie zog sich Stricksocken an und holte sich einen Becher Eis aus dem Kühlschrank.

      Bewaffnet mit ihrem Seelenfutter begab sie sich Richtung Ohrensessel. Bevor sie sich setzte, ging sie zu ihrem Sekretär und holte eine Dose und ein Feuerzeug aus der Schublade. In der Dose befanden sich Tabak und noch ein paar buds Silver Haze, ihrem Lieblingsgras. Bei gelegentlichen starken Schmerzen und auch bei starken Depressionen griff sie immer gerne darauf zurück, sie hatte für sich die Erfahrung gemacht, kein Pharmazeutikum half so gut und so schnell wie eine Zigarette mit sauberem Gras. Nach Schokolade, Eis und Havanna Club rauchte sie ihre Zigarette und entspannte sich sofort, ihr Geist war jedoch hellwach. Sie dachte über die Erscheinung im Wald nach und in ihrer Fantasie ließ sie sich noch einmal von seinem männlichen


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