Die Zwillinge der Zeit. Dana S. Lublow

Die Zwillinge der Zeit - Dana S. Lublow


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bis sie wieder auf dem Übungsplatz landeten. Nurena sprang von Suras Rücken. Ihr Gesicht glühte vor Aufregung.

      „Fliegen ist vielleicht doch deine Sache!“ Die ebenfalls begeisterte Nurayama lief auf Nurena zu. Die Schwestern fielen sich lachend in die Arme.

      Sura stieß sich vom Boden ab, um zum Stall zu fliegen und sich dort zu stärken. Nurena bedauerte, dass ihr Drache sich entfernte. Sie wandte sich wieder Nurayama zu. „Wieso hast du mich nicht früher schon einmal fliegen lassen?“

      „Fliegen ist eben nicht einfach fliegen. Du musst lernen, richtig zu sitzen, deinen Drachen zu steuern, auf Suras Rücken zu kämpfen und noch anderes. Ich werde dir gerne alles beibringen.“

      „Du?“

      „Ja, ich. Wir beginnen morgen um dieselbe Zeit hier auf dem Übungsplatz.“

      Nurena konnte es kaum glauben. Der Tag hatte eine unerwartete Wendung genommen. Ihr Dämon war ein Drache! Sie würde eine Drachenreiterin werden und sie würde härter trainieren als je irgendjemand anderes.

      *

      Kapitel 6: Bayola

      Sie kniete verborgen hinter dem hohen Schilfgras, das am Ufer des Flusses wuchs. Leise zog Dorna einen Pfeil aus dem Köcher, legte ihn vorsichtig auf ihren Bogen, zielte kurz und schoss. Eine Ente fiel getroffen zu Boden. Sie stand auf und fand die Beute am Ufer liegend, zog den Pfeil heraus, säuberte ihn und steckte ihn zurück in den Köcher.

      Als der Tag zu Ende ging, hatten die Mädchen ihren Pferden eine Ruhepause gegönnt, denn die Tiere mussten grasen und trinken.

      Als sie abgestiegen waren, war ein Reh wie aus dem Nichts vor ihnen davongesprungen. Das Nichts war eine Höhle gewesen. Nun hatte Ayuma in der Zwischenzeit ein Feuer entfacht und ihnen ein Lager aus Laub und Decken hergerichtet.

      „Was hast du geschossen?“, fragte Ayuma, als Dorna im Lager eintraf.

      Diese hob den Vogel stolz in die Höhe. „Na, unser Abendessen!“

      Ein paar Minuten später steckte die Ente an einem Spieß und das Fleisch briet über dem Feuer. Sie lehnten sich zurück und berieten sich.

      „Wie weit ist es noch nach Bayola?“, fragte Ayuma.

      „Ich weiß es nicht. Wir sind den ganzen Tag gereist und hier am Fluss angekommen. Ich würde sagen, morgen am frühen Abend müssten wir das Dorf erreichen“, überlegte Dorna laut.

      „Begleitest du mich zu Airos Tante?“

      „In Ordnung. Ich verstehe, dass es keine einfache Aufgabe ist, eine solch traurige Nachricht zu überbringen. Doch danach muss ich nach Lorga reisen. Ich gehe nicht mit dir zurück zu Nerada“, fügte sie hinzu.

      „Wenn wir uns in Bayola trennen, werde ich dich dann jemals wiedersehen?“ Ayuma war Dorna ans Herz gewachsen.

      Diese zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht.“

      Beide schwiegen.

      „Ich habe mich einmal gefragt, ob du eigentlich einen Dämon hast?“

      Ein Lächeln erschien auf Dornas Gesicht. „Ja, habe ich. Einen lilafarbenen Drachen, sie heißt Orna.“

      Sie redeten noch eine Weile weiter, bis das Fleisch fertig gegart war und sie es essen konnten. Es schmeckte recht gut, zwar war es kein Festmahl, aber wenigstens hatten sie etwas im Bauch. Später krochen sie in die schützende Höhle und versuchten einzuschlafen.

      Doch da fiel Ayuma ihr Traum wieder ein, den sie gehabt hatte, als sie bewusstlos gewesen war. Sie setzte sich auf. „Dorna, bist du wach?“

      „Jetzt schon“, knurrte ihre gedämpfte Stimme auf der anderen Seite der Höhle und Dornas Gesicht schaute unter einer Decke hervor.

      „Kann ich dich etwas fragen?“

      „Wenn wir davon absehen, dass es bestimmt drei Uhr morgens ist und du mich gerade von einem wunderschönen Traum abgehalten hast ... schieß los.“

      Ayuma überlegte, wie sie anfangen sollte. „Wie viel weißt du über Götter?“

      „Ich bin kein wirklicher Experte, was Götter angeht, aber ich kann dir einiges erzählen. Was willst du denn wissen?“ Dorna schaute Ayuma erwartungsvoll an.

      „Als wir aus Seron fliehen mussten, hatte ich diese Verletzung durch den Wolfsbiss am Bein und bin deswegen in Ohnmacht gefallen. Ich hatte einen merkwürdigen Traum. Ich träumte von einer Göttin, ihr Name war Singura.“

      „Singura. Von ihr habe ich lange nichts gehört. Sie ist die Göttin der Annuri und die Göttin des Mondes. Du erkennst das Volk der Annuri daran, dass sie schwarze oder weiße Haare haben. Allerdings leben die meisten ihrer Anhänger in Darilon.“

      „Sind diese Annuri Menschen?“

      Dorna schüttelte den Kopf. „Nein, sie sind Elfen, Dunkelelfen, um genau zu sein.“

      „Aber was ist das Besondere an ihnen?“

      „Ich sagte doch, ich bin keine Expertin. Mehr weiß ich nicht über Singura oder die Annuri.“ Ayuma legte sich wieder auf ihre Decke. „Ach, Ayuma ...“ Dorna war doch noch nicht fertig.

      Diese drehte sich noch mal auf die Seite. „Was?“

      „Weck mich nie wieder um drei Uhr morgens.“

      „Nie mehr.“ Ayuma kicherte.

      „Versprich es.“

      „Versprochen!“

      Sie machten es sich wieder einigermaßen bequem in ihren Decken und schliefen ein.

      Am frühen Morgen aßen sie etwas von dem Brot, das Nerada ihnen eingepackt hatte. Die Pferde mussten versorgt und gesattelt und das Lager abgebaut werden. Dann ritten sie schweigend nebeneinander her, bis sie Bayola schon am Nachmittag erreichten.

      Das kleine Dorf unterschied sich sehr von Seron. Hier gab es nur bescheidene, strohgedeckte Häuser, in denen hauptsächlich Bauern zu leben schienen. Offensichtlich gab es nur wenige Handwerker.

      „Da wären wir.“

      Dorna nickte bekräftigend. „Ich war noch nie hier. Wo wohnt denn Airos Tante?“

      Ayuma zuckte hilflos mit den Schultern. „Wir müssen jemanden fragen.“ Sie schaute sich um und entdeckte einen kleinen Jungen, der ein paar Hühner hütete, und ging auf ihn zu. „Kannst du uns sagen, wo die Familie Seram wohnt?“

      Der Junge bedeutete ihnen zu folgen und ging voraus. Er führte sie durch mehrere kleine Gassen Bayolas, bog unvermittelt ab, bis sie schließlich zu einem kleinen Hof am Rande des Dorfes gelangten.

      „Da ist es“, zeigte ihnen das Kind.

      „Danke“, rief Ayuma ihm noch nach, als er sich auf den Weg zurück zu seinen Hühnern machte.

      Ayuma und Dorna banden die Pferde an einem Holzpfahl fest. Dann gingen sie zum Haupteingang und klopften an die Tür. Es dauerte nicht lange, bis eine schlanke Frau mit freundlich aussehenden Augen öffnete. „Ja?“

      „Hallo, Frau Seram. Mein Name ist Ayuma Shino. Das ist Dorna Daiko. Es geht um Ihren Neffen Airo“, stellte Ayuma sich und Dorna vor.

      „Was ist mit Airo, hat er etwas angestellt?“, fragte die Frau und runzelte die Stirn.

      „Dürfen wir erst hereinkommen? Ich möchte Ihnen diese Nachricht ungerne hier auf der Türschwelle überbringen.“

      Die Frau öffnete die Tür weiter, damit die Besucher eintreten konnten. Sie gelangten in einen großen Raum, der offensichtlich als Küche, Wohn- und Esszimmer gleichzeitig diente. An einem Tisch mitten im Raum saßen zwei Männer und ein kleines Mädchen. Einer von ihnen musste der Sohn der Familie sein, so erkannte Ayuma beim


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