Vom Geist Europas. Gerd-Klaus Kaltenbrunner

Vom Geist Europas - Gerd-Klaus Kaltenbrunner


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Medizin. Der Begriff der viriditas, der Grünheit, spielt bei der Äbtissin eine zentrale Rolle. Und lichtes, sprossendes Grün fand sich als bestimmende Farbe in Kaltenbrunners Haus, in seinem Umfeld. „Vielleicht grünet, was ietzt hierfür keimet, mit der Zeit.“

      Sinngemäß schreibt Hildegard in ihrer Lehre von den Welt-Elementen, dass das ganze Weltgefüge im Dienste des Lichtes stehe. Die Erde als Mitte zwischen den übrigen Elementen sei von diesen in ihrer Mitte gehalten und verbunden, zu ihrer Erhaltung beständig gespeist von Grünkraft (viriditas) und Zeugungskraft (fortitudo).

      So schließt sich denn der Kreis. Gärtner kennen das beseligende Gefühl, wenn endlich das Saatkorn, welches der dunklen Erde anvertraut wurde, keimt. Nadelspitz durchstößt das neue Leben die harte Kruste. Es mehren sich die Anzeichen, dass jene Goldkörner, welche kundige Leser im Schrifttum des so früh verstorbenen Wahleremiten aufspüren, keimen und grünen werden. Der blühende Lebensraum, gepaart mit dem geistdurchwehten Flair eines büchergefüllten Hauses, erfüllte die letzten Lebenstage des Zeitdiagnostikers Kaltenbrunner. Auf seinen Nachruhm angesprochen hätte er wohl mit Paracelsus geantwortet:

       „Selig werden die Leut sein / zu den selbigen Zeiten / denen der Verstand geoffenbart wird werden: Denn alle Herzen der Menschen / was sie auch hervorgebracht haben / wird offenbar / als stünd’s einem jeglichen an seiner Stirn. Auf die selbige Zeit befehl ich auch das Urteil meiner Schriften / dass nichts verhalten bleibe / wie dann geschehen werde. Denn Gott setzt das Licht offenbar / das ist / ein jeglicher wird sehen / wie es geleuchtet hat.“ („Liber de nymphis, sylphis, pygmaeis et salamandris et de caeteris spiritibus“)

       Magdalena S. Gmehling

       Apollinischer Norden

      Die Indoeuropäer: mehr als ein Phantom

      … sah an den Nord und legte Runen.

      Herder

      Polarlicht kann uns mit dem Geist verbinden.

      Theodor Däubler

      In Deutschland erlitt die Indogermanen-Forschung nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges einen schweren Rückschlag. Nach dem Mißbrauch, den der Nationalsozialismus mit sprachwissenschaftlichen und frühgeschichtlichen Theorien getrieben hatte, galt es beinahe als anrüchig, sich mit der Eigenart und Herkunft der Indogermanen zu befassen oder auch nur von „Ariern” zu sprechen. Dabei sind, wie bekannt, beide Ausdrücke (die manchmal fälschlich gleichgesetzt wurden) ursprünglich rein linguistischen Ursprungs und viel älter als die Rassendoktrin Hitlers (die ihrerseits einige prominente nichtdeutsche Wurzeln hat, wie die Namen Arthur Gobineau, Houston Stewart Chamberlain und Ludwig Gumplowicz beweisen). Namhafte Gelehrte fast jeder europäischen Nation, neben Deutschen vor allem auch Engländer und Franzosen, haben die Indogermanistik begründet und aufgebaut. An ihrem Ursprung steht eine triftige Hypothese: die vielfältigen Übereinstimmungen in Grammatik und Wortschatz zwischen geographisch so entfernten Sprachen wie dem Isländischen, Deutschen, Griechischen, Iranischen, Armenischen und dem Sanskrit in Indien lassen sich plausibel nur durch die Annahme einer gemeinsamen Wurzel erklären. Daran schließt sich die naheliegende Frage, ob dieser ursprünglichen Sprachgemeinschaft auch ein „Urvolk” zugrundeliegt, das sich erst später verzweigt habe.

      Die politisch-ideologischen Belastungen im Zusammenhang mit dem „Dritten Reich” haben auch mit dazu beigetragen, daß man heute — insbesondere im außerdeutschen Sprachraum — im allgemeinen nicht mehr von „Indogermanen”, sondern von „Indoeuropäern” spricht. Zu den Großmeistern einer solchen Indoeuropäer-Forschung, die sich souverän über zeitgeschichtliche Tabus und akademische Fachgrenzen hinwegsetzt, gehört der Franzose Georges Dumézil, der am 11. Oktober 1986, fast neunzigjährig, in Paris gestorben ist. Schon zu Lebzeiten ein Monument historischer, religionswissenschaftlicher und philologischer Gelehrsamkeit, zählt Dumézil neben dem Rumänen Mircea Eliade und dem Österreicher Othmar Spann zu den ganz großen Universalisten unseres Jahrhunderts. Sein umfassendes Lebenswerk hat dieser Kulturwissenschaftler, der dreißig indoeuropäische Sprachen beherrschte, der vergleichenden Untersuchung der Religion, Kultur und Gesellschaftsform der Indoeuropäer gewidmet.

      In Deutschland ist Dumézil leider noch immer fast unbekannt. Es fehlen hier auch brauchbare Übersetzungen seiner Hauptwerke. Soviel ich weiß, sind auf deutsch bislang nur drei seiner Bücher erschienen: „Loki” (Darmstadt 1959), „Aspekte der Kriegerfunktion bei den Indogermanen” (Darmstadt 1964) und „Mythos und Epos. Die Ideologie der drei Funktionen in den Epen der indoeuropäischen Völker” (Frankfurt a. M. 1989); außerdem die eher belletristischen oder „ludi-magistralen” Kleinarbeiten in dem Bändchen der Bibliothek Suhrkamp: „Der schwarze Mönch in Varennes und Divertissement über die letzten Worte des Sokrates” (Frankfurt a. M. 1989). Umso mehr ist es zu begrüßen, daß der junge, aber sehr rührige Karolinger-Verlag in Wien 1986 ein Taschenbuch „Die Indoeuropäer” herausgebracht hat. Sein Verfasser, Jean Haudry, ist ein Schüler des Nestors der französischen Indoeuropäer-Forschung und sein Nachfolger an der angesehenen École Pratique des Hautes Études zu Paris. Die Originalausgabe, deren Manuskript Dumézil durchgelesen hatte, erschien 1981 im bedeutendsten akademischen Verlag Frankreichs, bei den „Presses Universitaires de France”.

      Haudrys Band ist ein Abriß oder Kompendium. Präzis gegliedert, auf ideologischen Ballast verzichtend, aber auch die Verlockungen popularisierender Effekthascherei umgehend, stellt er eine Einführung in den gegenwärtigen Stand, in die Probleme, Methoden und Ergebnisse einer Wissenschaft dar, die in den letzten Jahrzehnten einen geradezu abenteuerlichen Aufschwung genommen hat. Dieser Aufschwung ergibt sich nicht zuletzt aus der Zusammenarbeit von Sprachwissenschaftlern, Archäologen, Religionshistorikern, Anthropologen und Experten anderer Disziplinen. Ihrer synoptischen Fähigkeit ist es gelungen, viele einst umstrittene Fragen einer Klärung näherzubringen. Die Resultate erscheinen umso aufregender, wenn man bedenkt, daß man von den Indoeuropäern nicht in der Art berichten kann wie über die alten Griechen, Römer oder Ägypter. Wir verfügen ja über keine historischen Augenzeugenberichte oder Monumente, die uns unmittelbar über ein Volk dieses Namens unterrichten. Schon die bloße Bezeichnung „Indogermanen” ist ein Kunstwort, das erst 1823 von H. J. Klaproth geprägt wurde. Ausgangspunkt ist einzig und allein die erstmals von William Jones im Jahre 1780 erkannte Verwandtschaft der meisten europäischen und mehrerer asiatischer Sprachen, zu denen, wie wir inzwischen wissen, neben dem Sanskrit auch das Hethitische gehört.

      Schritt für Schritt vorgehend, gelingt es dem auf den Spuren Georges Dumézils wandelnden französischen Forscher, uns eine eigenartige Welt zu erschließen, deren Spuren unter jahrtausendelangen Überlagerungen überlebt haben. Ein bestimmtes geistiges Grundmuster archetypischer Art, das sich immer wieder Geltung verschafft, durchwaltet einen Erdkreis, der von Skandinavien über Litauen und Lettland bis nach Persien und Ceylon reicht. Es ist dies das Schema der Dreigliederung, das wie ein Wasserzeichen beinahe sämtliche Hervorbringungen der indoeuropäischen Völker prägt. Handle es sich nun um die Spitze des Pantheons bei den Griechen, Römern, Kelten, Germanen und Indern, um die Schichtung des gesellschaftlichen Körpers, um das Bild des Kosmos oder die Bevorzugung symbolträchtiger Farben — immer wieder begegnen wir Triaden und „dreifunktionalen Strukturen”: der göttlichen Dreiheit von Zeus, Hera und Athene, der Dreiteilung der Stände in Priester (Weise), Krieger (Wächter) und Landleute (Züchter), der Trias von Weiß, Rot und Schwarz, um bloß diese Beispiele zu nennen. Jean Haudry schließt nicht aus, daß das zentrale christliche Dogma von der Trinität, der Dreieinigkeit Gottes, das Juden und Muslimen so befremdlich ist, sich einer indoeuropäischen „Umfunktionierung” des unerbittlichen semitischen Monotheismus verdanke. Doch auch derjenige, der diese Vermutung für allzu spekulativ hält, wird die Abschnitte über Weltsicht, Königtum, Gemeinschaftsbildung, Institutionen und Ethos der Indoeuropäer mit Gewinn lesen.

      Was das Herkunfts- oder Entwicklungsgebiet (mißverständlich oft „Urheimat” genannt) des indoeuropäischen Volkes betrifft, so erinnert Haudry daran, daß viele Indizien auf den Norden weisen. Jedenfalls kommen Gebiete mit warmem Klima schon deshalb nicht in Betracht, weil deren eigentümliche Pflanzenwelt im indoeuropäischen Wortschatz völlig


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