TEXT + KRITIK Sonderband - Ins Archiv, fürs Archiv, aus dem Archiv. Группа авторов

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oder vernichten Materialien gezielt. Dieses »Nachlassbewusstsein«, das beeinflusst, wie sich Autor*innen zu ihren eigenen literarischen Archiven verhalten, beginnt die Literaturwissenschaft seit einiger Zeit historisch zu erforschen.8 Nicht nur wird untersucht, wie sich philologische und archivarische Arbeitspraktiken auf der einen sowie Schreib- und Archivierungspraktiken der Autor*innen auf der anderen Seite wechselseitig bedingen, auch ist im Zuge dessen der literarische Nachlass als eigenständiges und geformtes Konstrukt in den Fokus gerückt. Mit Termini wie »Nachlasspolitik«9 oder »Nachlasspoetik«10 sowie mit Ansätzen einer »archivarischen Hermeneutik«11 versucht die Forschung vermehrt, den literarischen Nachlass in seiner Gesamtheit und unter Einbezug seiner verschiedenen Implikationen zu betrachten. Die Problematiken jedoch, die die Arbeit mit literarischen Nachlässen und ihre wissenschaftliche Aus- und Verwertung mit sich bringen, werden dagegen nur am Rande diskutiert.12 Ein Großteil der Literaturwissenschaft scheint dem Nachlasswesen, das für die Philologie eine Existenzberechtigung darstellt,13 weitaus weniger skeptisch gegenüberzustehen als so manche Schriftstellerin und so mancher Schriftsteller.

      *

      In der 1900 erschienenen Erzählung »The Touchstone« von Edith Wharton werden die Ambivalenzen solcher Konstellationen verhandelt: Der Konflikt der Novelle entspannt sich, als der ehemalige Liebhaber der großen Autorin Margaret Aubyn die Liebesbriefe, die Aubyn ihm schrieb, nach ihrem Tod veröffentlicht, um sich finanziell zu bereichern. In der New Yorker Gesellschaft führt die Veröffentlichung der privaten Briefe zu kontroversen Diskussionen:

      »›Those letters belonged to the public.‹

      ›How can any letters belong to the public that weren’t written to the public?‹ Mrs. Touchett interposed.

      ›Well, these were, in a sense. A personality as big as Margaret Aubyn’s belongs to the world. Such a mind is part of the general fund of thought. It’s the penalty of greatness – one becomes a monument historique. Posterity pays the cost of keeping one up, but on condition that one is always open to the public.‹ (…)

      ›But she never meant them for posterity!‹


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