Die dünne Frau. Dorothy Cannell

Die dünne Frau - Dorothy  Cannell


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Wänden Gaslampen flackerndes Licht auf hungrig grinsende, mottenzerfressene Fuchsköpfe warfen.

      »Ach du jemine.« Tante Sybil gab mir einen ihrer schlaffen Küsse. »Ein heißes Bad für jeden von euch wäre wohl das Beste, aber der Boiler macht uns Kummer. Der alte Jonas, unser Gärtner, der so was in Ordnung halten soll, fühlt sich elend. Ärgerlich, aber jedes Ding hat zwei … sonst hätte es uns passieren können, dass er sich mitsamt seinen dreckigen Stiefeln im Salon niederlässt, als gehörte er zur Familie. Kennt seinen Platz nicht und Merlin ist viel zu nachsichtig mit ihm. Tja dann, will einer von euch vorher nach oben« – sie machte eine Anstandspause – »oder kommt ihr lieber gleich in den Salon ans Kaminfeuer?«

      Obwohl meine Besuche viele Jahre zurücklagen, erinnerte ich mich lebhaft an die grässliche Kälte in den oberen Regionen und stimmte für sofortige Wärme.

      »Gute Idee«, meinte auch Ben, zog den Mantel aus und legte ihn mit meinem zu dem unordentlichen Haufen auf dem Intarsientisch. »Ich glaube, ich fange an zu schimmeln.«

      »Merlin wird so enttäuscht sein, eure Ankunft versäumt zu haben.« Tante Sybil ging voran. Von hinten sah sie aus wie ein kleines empörtes Nashorn, ihr dunkles Seidenkleid warf verkniffene Falten. Schlechtes Wetter war bei Tante Sybil keine Entschuldigung für Unpünktlichkeit.

      Als Kind hatte mich der Salon immer an eine Leichenhalle erinnert. Die Zeit hatte ihn nicht verschönt. Wie in der Halle flackerte trübes Licht von einer Gaslampe und vereinzelten Kerzen. Dunkle schwere Möbel ließen keinen Fußbreit Boden frei. Eine passende Zutat war auch das Gemälde über dem Kamin – ein holdes Mägdelein auf ihrem Totenbett, die Lippen zu einem Lächeln verklärt, in der wächsernen Hand eine Rose, während im Hintergrund ein Klagechor schluchzte. Meine Verwandtschaft hatte sich im Halbkreis um den Kamin drapiert wie Schauspieler in einem viktorianischen Melodrama. Aber es war genau andersrum. Sie waren das Publikum – die Akteure waren Ben und ich.

      »Großer Gott, Ellie!«, näselte Tante Astrid so steif wie ihre Fischbein-verstärkte Taftbluse. »Was hast du mit dir angestellt?«

      »Sieht aus wie eine übergroße ertrunkene Ratte«, steuerte Freddy wenig einfühlsam bei. Der musste reden! Wie er sich am Kaminsims lümmelte, hätte man ihn mit einem schmutzigen Lappen verwechseln können, wäre nicht der goldene Totenkopf an seinem Ohrläppchen gewesen.

      Ich beschloss, das Verfahren abzukürzen. »Schön!«, sagte ich und zerrte Ben in die Mitte des Zimmers. »Wie ihr seht, bin ich völlig durchgeweicht, aber leider in der Wäsche nicht eingegangen. Können wir jetzt artig Guten Tag sagen?«

      »Musst du so streitlustig sein, Schatz!« Vanessa ringelte sich wie drei Ellen Fallschirmseide aus dem Stuhl empor, der dem Feuer am nächsten stand, und richtete ihre strahlenden Topasaugen auf Ben, der zu seiner Schande dümmlich griente. »Willst du uns nicht deinen reizenden Freund vorstellen?«, schmollte sie. »Oder ziehe ich voreilige Schlüsse? Sogar pitschnass ist er nicht dein üblicher Typ, Ellie, Liebes.«

      Da der einzige Mann, mit dem Vanessa mich bislang gesehen hatte, der Gepäckträger von Charing Cross war, beschloss ich, mich in würdiges Schweigen zu hüllen. Sollte Ben sich doch selber vorstellen. Er schien ganz glücklich, Konversation machen zu dürfen. Reihum Hände schüttelnd pflichtete er bei, dass das Wetter abscheulich sei, und schwang dann wie ein Pendel zurück zu meiner bildhübschen und charakterlosen Cousine. Ben brauchte sehr bald einen Rüffel, denn Ranschmeiße an den Feind stand nicht in seinem Vertrag.

      Mein Retter war der leutselige, beleibte Onkel Maurice. Er langte nach der Karaffe mit Portwein, goss welchen in ein reichlich schmutziges Glas und fragte dabei mit seiner Stentorstimme, ob er mich nun seit zwei oder seit drei Jahren nicht mehr gesehen habe. Ich hörte nicht zu. Der Mann von der Kultivierten Herrenbegleitung lieferte einen witzigen Bericht von unserer Reise, in dem ich keine gute Figur machte. Vanessa kann als vorzügliche Zuhörerin posieren, vorausgesetzt, ein Mann ist der Redner.

      Das Feuer spie wie ein müder alter Vulkan mehr Rauch als Wärme aus. Aber da er sehr dicht davor stand, begannen Bens Hosenbeine zu dampfen und – dem Glimmen seiner Augen nach – seine Gedanken gleichfalls. Tante Sybil murmelte gequält etwas von Roastbeef-Schnittchen und Tee und verfügte sich in die Küche, wobei sie die Tür nur anlehnte.

      »Diese Zugluft«, erschauerte Tante Astrid, »ist noch mal mein Tod.«

      »Hab dich nicht so, Tantchen!« Freddy war in die Hocke gegangen und wippte auf den Fußsohlen. »Wenn dein Ischias, dein Hexenschuss, dein Sodbrennen und andere ausgewählte Leiden dich noch nicht zur Strecke gebracht haben, dann wird eine Verkühlung es kaum schaffen. Hat Mami nicht letzten Monat erzählt, du hättest so hässliche Hämorrhoiden?«

      »Musst du so ordinär sein!« Tante Astrid richtete sich empört auf.

      »Entschuldigung, Tantchen! Hatte ganz vergessen, wie schlecht es sich darauf sitzt«, erwiderte Freddy fröhlich, während er mit beiden Händen an seinen Bartbüscheln zupfte.

      »Herrgott noch mal, Frederick«, bellte Onkel Maurice, »hör auf, an dir rumzurupfen. Man könnte meinen, du bist in der Mauser. Und wenn es nicht zu viel verlangt ist, dann steh entweder auf oder setz dich ordentlich hin. Hör auf, herumzuhopsen wie ein Springteufelchen! Du machst mich seekrank.«

      Freddy stand auf, zeigte aber keine Reue. Er stupste mich schelmisch in den Bauch. »Schon mal versucht abzunehmen, Ellie?«

      »Schon mal versucht, Arbeit zu finden, Freddy?«

      Er schaute mich vorwurfsvoll an. »Certainement! Aber die Arbeitgeber sind nie bereit, meine Bedingungen zu akzeptieren – ich arbeite von zwölf bis eins mit einer Stunde Mittagspause.«

      »Welch großer Kummer muss dein Sohn und Erbe für dich sein, Maurice, und für unsere arme Lulu«, warf Tante Astrid bissig ein.

      »Da wir von der liebenden Mutter sprechen«, sagte ich und blickte in die Runde, »wo ist Tante Lulu?«

      »Oben, scheucht Wanzen durchs Zimmer, um sich abzuregen. Das alte Mädchen hat wieder mal Zustände.« Freddy rollte mit den Augen und pochte sich dumpf an die Brust. »Wie du unschwer erraten kannst, natürlich meinetwegen. Vanessa hat mich wieder mal in den Schatten gestellt, die Zähne sollen ihr verfaulen. Da berichtet sie deinem Galan gerade von ihrem letzten Coup. Mutter konnte es einfach nicht ertragen.«

      »Lulu ist mit Migräne zu Bett gegangen«, schnaubte Onkel Maurice. Aber niemand beachtete ihn.

      »Wie lautet die Sensationsmeldung, Vanessa?« Meine Stimme sollte teilnehmende Neugier ausdrücken, aber ich bin keine gute Schauspielerin. Wollte denn niemand hören, dass ich kürzlich Mrs. Hermione Boggsworth-Smith ein dänisches Sonnenstudio eingerichtet hatte?

      »Ach, Mami, musstest du das ausplaudern? Du weißt doch, ich mag keinen Rummel.« Die schöne Heuchlerin sank auf die Sofalehne. Sie hob die wohlgeformten Arme über den Kopf und ließ ihre langen, schlanken Finger in einer zaghaften und zugleich betörenden Geste durch ihre schweren kastanienbraunen Locken gleiten.

      »Lügnerin.« Freddy sprach fröhlich aus, was ich dachte.

      Tante Astrids und (schlimmer noch) Bens Augen hingen mit einer Ergebenheit an Vanessa, wie sie nur Götzenbildern oder Goldenen Kälbern zukommt. Apropos Rindvieh, wo blieben eigentlich die Roastbeef-Schnittchen?

      »Vanessa«, psalmodierte Tante Astrid, »ist in aller Form gebeten worden, Model bei Felini Senghini zu werden.«

      »Bei wem?«, krächzte ich über Freddys Gelächter hinweg.

      Bens entgeisterter Gesichtsausdruck gab mir zu verstehen, dass er mich für ein öffentliches Ärgernis erster Ordnung hielt. »Ellie, du machst wohl Witze! Von Felini Senghini hat nun wirklich jeder gehört!«

      »Auf leeren Magen mache ich nie Witze.« Meine Stimme schwoll bedrohlich, aber ich besann mich darauf, dass dieser Mann angeblich mein Herzallerliebster war, hakte ihn besitzergreifend unter und entblößte die Zähne zu einem freundlichen Lächeln. »Ist das der Mann mit dem Olivenölteint auf den Spaghettipackungen?«, fragte ich hoffnungsvoll. »Nein, ich weiß! Das ist der Opernsänger, der den Figaro zur


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