Gleichnisse. Kurt Erlemann

Gleichnisse - Kurt Erlemann


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der Schlangen und die Ehrlichkeit der Tauben sind die Grundlage des Vergleichs und seiner Wirkung.

      2. Intendierte Wirkung

      Der Vergleich macht zum einen den Charakter bestimmter Personen wie Paul und Maria anschaulich (illustrierende Funktion), zum anderen verändert er die Sicht auf die beiden Wirklichkeitsbereiche: Sie haben mehr miteinander zu tun, als man denkt; wer Paul sieht, assoziiert zukünftig einen (schlauen) Fuchs, wer Maria sieht, assoziiert zukünftig eine (fleißige) Biene, wer Christinnen und Christen sieht, darf besondere Klugheit und Ehrlichkeit, wie man sie sprichwörtlich im Tierreich vorfindet, erwarten (poietische Funktion). Ob die intendierte Wirkung erreicht wird, hängt an der unmittelbaren Evidenz des Vergleichs – weniger im Sinne rationaler Beweisbarkeit (Bienen sind ‚fleißig‘, Schlangen sind ‚klug‘!), sondern im Sinne spontaner, affektiver Zustimmung. Das heißt, Vergleiche zielen nicht nur auf den Verstand, sondern auch auf das Herz.

      3. Funktion

      Die emotive Komponente macht vergleichende Sprache zu einem beliebten Argumentationsmittel. Biblische Vergleiche und andere bildhafte Textsorten finden sich daher regelmäßig im Kontext längerer Argumentation und unterstützen diese.

      Beispiel: Der Vergleich Mt 10,16 motiviert Jesu Anweisungen für die Missionsarbeit (Mt 10,5-26) und zielt auf Emotionen (Angst, Sicherheitsbedürfnis).

      4. Abgrenzung

      Der Vergleich benennt ausdrücklich den Vergleichspunkt und muss daher nicht gedeutet werden – er ist eindeutig. Das ist der Unterschied zur Metapher. Im Unterschied zum ausgeführten Gleichnis überschreitet der Vergleich die Satzgrenze nicht und entwickelt auch keine Dramaturgie. Anders als beim Exemplum werden keine konkreten Größen aus der Natur oder der Historie zitiert.

      Definition: Ein Vergleich verknüpft zwei unterschiedliche Wirklichkeitsbereiche im Hinblick auf einen klar definierten, einleuchtenden Vergleichspunkt, um etwas Unanschauliches bildhaft anschaulich zu machen.

      b) Metapher

      Die Metapher ist eine „herausragende Form der nicht-wörtlichen und übertragenen Rede.“1 Sie unterscheidet sich vom Vergleich durch ihren Deutungsbedarf. Dieser kommt dadurch zustande, dass der Vergleichspunkt verschwiegen wird. So bleibt offen, worauf die Aussage ‚Paul ist (wie) ein Fuchs‘, ‚Maria ist (wie) eine Biene‘ oder ‚Achill ist (k)ein Löwe‘ hinausläuft.2 Die Metapher ist nicht eindeutig; daher bleibt es der Interpretation der Hörer- bzw. Leserschaft überlassen, den oder die Vergleichspunkte zu entdecken.

      1. Etymologie und Funktion

      Der Begriff Metapher bedeutet etymologisch eine Übertragung (gr. metaphorá) bestimmter Merkmale eines Wirklichkeitsbereiches auf einen anderen.1 Literaturwissenschaftlich gesprochen, werden bei der Metapher Bedeutungsanteile von einem Bildspender auf einen Bildempfänger übertragen.2

      Beispiel: Bei der Metapher ‚Achill ist ein Löwe‘ ist die Tierwelt der Bildspender und die Menschenwelt der Bildempfänger.

      Die beiden ursprünglich unabhängigen Wirklichkeitsbereiche werden durch die Metapher (wie durch den Vergleich) zusammengebracht und in ihrer punktuellen Vergleichbarkeit bzw. Unvergleichbarkeit transparent. Hierdurch wird eine neue Sicht auf beide Bereiche ermöglicht: Es werden neue Sinnbezüge geschaffen, Erfahrungen gebündelt, die Alltagswirklichkeit neu gedeutet und Emotionen wachgerufen (po[i]etische Funktion). Damit leisten Metaphern einen wichtigen Beitrag zur Erschließung von Wirklichkeit: Neues, Unbekanntes wird durch Analogieschluss mit Bekanntem greifbar oder in seiner Differenz verstehbar. Diese Entdeckung führte in den 1960er Jahren zu einer Neubewertung der Metapher (→ 2.2.3b). Die Entdeckung der po(i)etischen Funktion der Metapher ergänzt die frühere Ansicht, Metaphern dienten lediglich der Illustration eines unanschaulichen Sachverhalts oder Geschehens. Wäre dem so, wäre die Metapher durch klares Benennen des Vergleichspunkts übersetzbar und ersetzbar:

      Beispiel: ‚Achill ist ein Löwe‘ wäre dann etwa durch die Auskunft ‚Achill ist sehr stark‘ zu ersetzen – die ‚uneigentliche‘ Rede (Achill ist ja kein Löwe!) durch eine ‚eigentliche‘ Rede (Achill ist sehr stark).3

      Die po(i)etische Funktion und die grundsätzliche Mehrdeutigkeit (Polyvalenz, bleibender Sinnüberschuss) lassen die Metapher indes unersetzbar erscheinen.

      Metaphern zielen, gerade weil sie unübersetzbar sind, auf die Erfahrung, sie wollen in der Praxis des Lebens angewendet werden.4

      Metaphorische Mahnreden wie Lk 10,2 (‚bittet den Herrn der Ernte‘) oder Mt 8,22 (‚lasst die Toten ihre Toten begraben‘) bestätigen die Aussage von Hans Weder.

      2. Semantik und Morphologie

      Die Metapher ist eine semantische, keine lexikalische Sprachform; sie ist nicht ein einzelnes Wort, sondern ein Begriff, der in Spannung zu einem anderen Begriff innerhalb eines Satzes steht.1 Die Spannung lässt sich auch als Konterdetermination (→ 1.5.7) zwischen Begriff und Kontext begreifen. Durch diese Spannung eröffnet sich „in unserem Sprachbewußtsein ein Bildfeld als virtuelles Gebilde“2, das gewisse Deutungsspielräume vorgibt.

      Metaphern sind äußerst pluriform. Über die gemeinsame, als Satzphänomen und Konterdetermination gekennzeichnete Gemeinsamkeit gibt es für die Formulierung von Metaphern nahezu keine semantischen Grenzen.

      Beispiele: ‚Achill ist (k)ein Löwe‘ ist als Aussagesatz ebenso metaphorisch wie die Komposita Luftschiff, Drahtesel, Redefluss, Elbflorenz oder die Alltagsmetapher Wasserhahn. Metaphern können auch in Genitivverbindungen stehen (vgl. ‚Mauer des Schweigens‘, ‚am Ende der Schlange‘, ‚Himmel voller Geigen‘ oder biblisch ‚Frucht der Buße‘ [Mt 3,8]). – In metaphorischer Spannung können in einem Satz auch Substantiv und Attribut (vgl. ‚wässrige Herbstluft‘, ‚bleierne Schwüle‘), Substantiv und Prädikat (vgl. ‚der Himmel weint‘, ‚die Sonne lacht‘ oder biblisch ‚wir rühmen uns der Bedrängnisse‘ [Röm 5,3]) oder Subjekt und Prädikativum (vgl. johanneische Ich-bin-Worte) stehen.3 Poetische Neubildungen wie ‚Seelenlandschaft‘, ‚blaues Klavier‘4 oder ‚der Himmel fließt in steinernen Kanälen‘5 erweitern das Spektrum enorm. Metaphorische Mahnreden nutzen das Potenzial der Metaphern, um Aufforderungen emotional zu intensivieren (biblische Beispiele: Mt 8,22; Lk 10,2).

      3. Lexikalisierung und Wirkung

      Aus ursprünglich kühnen Metaphern werden mit der Zeit usuelle, geprägte, konventionalisierte bzw. lexikalisierte Metaphern.1 Eine neu in die Sprache eingeführte Metapher und damit eine neu entdeckte Analogie zwischen zwei Wirklichkeitsbereichen wirkt fremd, überraschend, aufrüttelnd, kühn und sorgt für einen deutlichen Zugewinn an Wirklichkeitserfahrung.

      Ein Beispiel ist die paulinische Redeweise ‚ich rühme mich der Trübsale‘ und Ähnliches (Röm 5,3; 2 Kor 11,30; Gal 6,14; vgl. Jak 1,10). Dass sich jemand negativ konnotierter Sachzusammenhänge ‚rühmt‘, erscheint fremd, verdeutlicht aber den sachlogischen Zusammenhang zwischen Evangelium und Kreuzestheologie.

      Neben der Bibel produziert insbesondere die Lyrik immer wieder kühne Metaphern. Auch hier ist die Unersetzbarkeit metaphorischer Redeweise offenkundig. Bei häufiger, langfristiger Verwendung verlieren Metaphern freilich das Moment von Überraschung und Fremdheit und werden Teil des normalen Sprachgebrauchs. Der metaphorische Charakter wird nicht mehr bewusst wahrgenommen.

      Beispiele: Sohn Gottes, Luftschiff, Glühbirne, Zebrastreifen, Drahtesel.

      4. Bedeutungsspielraum und Polyvalenz

      Metaphern sind grundsätzlich bedeutungsoffen und polyvalent. Das bedeutet, sie können ihre Bedeutung je nach Kontext und Hörer- bzw. Leserschaft


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