AGB-Recht. Martin Schwab
Einzelheiten befindet sich dieser Lösungsansatz noch im Fluss. In Teilen der Rechtsprechung sowie in der Literatur wird er nämlich teilweise selbst für den Fall befürwortet, dass auf einer oder beiden Seiten keine Abwehrklausel in den AGB enthalten sind, sondern sich diese lediglich inhaltlich widersprechen[5]. Dieser Auffassung ist zuzustimmen: Ein offener Dissens über die Einbeziehung von AGB besteht immer schon dann, wenn beide Seiten mit einander widersprechenden AGB aufwarten. Das Interesse beider Parteien, die eigenen AGB durchzusetzen, ist ohne Rücksicht darauf, ob jene AGB eine Abwehrklausel enthalten oder nicht, als gleichwertig anzusehen. Wenn beide Parteien auf ihre AGB hinweisen, kann keine von ihnen damit rechnen, die Gegenpartei werde, wenn sie im weiteren Verhandlungsverlauf nicht widerspreche, ohne weiteres bereit sein, die eigenen AGB hinzunehmen. Daher verbietet sich auch ohne Rücksicht auf eine Abwehrklausel jede Lösung, wonach die Einbeziehung von AGB von der zufälligen Reihenfolge der AGB abhängt. Wer die vertragliche Leistung erbringt, ohne auf eine Klärung der offene Frage zu dringen, wessen AGB nun Vertragsbestandteil werden, bringt damit vielmehr zum Ausdruck, dass ihm die Geltung der eigenen AGB nicht so wichtig sind, er vielmehr statt dessen ohne eine vertragliche Regelung der accidentialia negotii, d.h. zur Not auch auf dem Boden des dispositiven Gesetzesrechts zu kontrahieren und zu leisten bereit ist[6]. Freilich ist darauf hinzuweisen, dass der BGH (entgegen der hier vertretenen Ansicht) bis in die jüngere Zeit eine Abwehrklausel für erforderlich hält, um sich mit Erfolg gegen die AGB der Gegenseite zu verwahren[7].
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Die Unerheblichkeit von Abwehrerklärungen zeigt sich auch in umgekehrter Richtung: Selbst wenn eine Partei sich (neben oder anstelle einer Abwehrklausel in AGB) durch individuelle Erklärung gegen die AGB der Gegenseite verwahrt und auf den eigenen AGB besteht und die Gegenseite hiergegen im weiteren Verlauf keinen Widerspruch erhebt, wird keine der beiden AGB Vertragsbestandteil[8]. Erst recht genügt es entgegen der Ansicht des BGH[9] nicht, wenn eine Partei auf sonstige Weise unmissverständlich klar macht, dass sie nur zu ihren eigenen AGB kontrahieren will; und schon gar nicht reicht eine besonders scharf formulierte Abwehrklausel in AGB hin[10]. Denn alle diese Erklärungen ändern nichts daran, dass das Interesse beider Parteien an der Einbeziehung ihrer AGB gleichwertig ist und keine Partei, selbst wenn sie noch so heftig auf den eigenen AGB besteht, davon ausgehen kann, die Gegenseite werde jene AGB mangels ausdrücklichen Widerspruchs akzeptieren. Vielmehr stehen zwei gleichrangige und gleichwertige Vertragswerke einander gegenüber. Vorrang gewinnt das Klauselwerk einer Partei gegenüber dem der anderen nur dadurch, dass es zur Individualabrede i.S.d. § 305 I 3 BGB erstarkt; dann verdrängt es entgegenstehende AGB nach § 305b BGB. Zur Individualabrede erstarken AGB aber erst dann, wenn der Verwender sie ernsthaft zur Disposition stellt (im Einzelnen oben Teil 1 Rn. 139).
a) Grundsatz
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Anstelle der AGB, deren Einbeziehung nach diesen Grundsätzen gescheitert ist, gilt für den Vertrag das dispositive Gesetzesrecht[11]. Die Parteien müssen also mit demjenigen Interessenausgleich vorlieb nehmen, den ihnen der Gesetzgeber zugedacht hat.
b) Teilkongruenz von AGB
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Tipp
Soweit sich die AGB beider Vertragsparteien nicht widersprechen, gelten sie anstelle des dispositiven Gesetzesrechts.
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Zweifelhaft erscheint freilich, ob die Geltung der AGB insoweit bestehen bleibt, als sie sich decken:
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Beispiel 35
a) | In den AGB des Verkäufers steht: „Zahlungsziel 30 Tage“, in den AGB des Käufers „Zahlungsziel 90 Tage“. |
b) | Der Verkäufer behält sich in seinen AGB das Eigentum bis zur Erfüllung sämtlicher Forderungen aus der laufenden Geschäftsverbindung vor (Kontokorrentvorbehalt); der Käufer akzeptiert in seinen AGB nur einen einfachen Eigentumsvorbehalt. |
c) | In den AGB des Vermieters steht: „Vertragslaufzeit 10 Jahre“, in den AGB des Mieters „Vertragslaufzeit 5 Jahre“. |
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Wenn beide Parteien sich zwar im Grundsatz darüber einig sind, dass es beim dispositiven Recht nicht bewenden soll, aber sich über das Ausmaß der Abweichung nicht einigen können, so gebietet es die Privatautonomie beider Parteien, dass die AGB nur insoweit verdrängt werden, als sie einander widersprechen[12]. Soweit die Regelungen dagegen übereinstimmen, besteht kein Grund, sie beiseite zu schieben. Das zeigt sich deutlich in Beispiel 35 a): Beide Parteien sind sich einig, dass die Regel des § 271 I BGB (sofortige Fälligkeit des Kaufpreises) nicht zur Anwendung kommen soll; dem Käufer soll jedenfalls ein Zeitraum von 30 Tagen verbleiben. Daher ist dieses Zahlungsziel wirksam vereinbart. Im Beispiel 35 b) sind die Parteien sich jedenfalls darüber einig, dass die Ware im Eigentum des Verkäufers verbleiben soll, bis der Kaufpreis für sie bezahlt ist. Konsequent ist hier jedenfalls ein einfacher Eigentumsvorbehalt vereinbart[13]. Schwierigkeiten bereitet allenfalls Beispiel 35 c); denn hier kann man nicht ohne weiteres behaupten, das dispositive Gesetzesrecht werde von den AGB des Mieters (kürzere Laufzeit) in geringerem Maße berührt als von denen des Vermieters (längere Laufzeit). Das dispositive Gesetzesrecht enthält keine Aussage darüber, welche Vertragslaufzeit die typischerweise angemessene ist. Deshalb wendet sich ein Teil der Literatur dagegen, den Vertrag als mit der kürzeren Laufzeit geschlossen zu betrachten[14]. Doch enthält bereits § 309 Nr. 9 BGB der gesetzlichen Interessenbewertung Ausdruck, dass dem Kunden bei Dauerschuldverhältnissen grundsätzlich das Recht zur ordentlichen Kündigung verbleiben muss; der rechtliche Urzustand des Mietvertrags im Beispiel 35 c) ist daher durch die jederzeitige Möglichkeit einer gesetzlich befristeten Kündigung charakterisiert. Gelangte weder die kürzere noch die längere Vertragslaufzeit zur Anwendung, so wäre der Vertrag auf unbestimmte Zeit geschlossen und (im Beispiel 35 c) nach Maßgabe des § 580a BGB) ordentlich kündbar – ein Ergebnis, dass dem Parteiwillen noch weniger entspricht als ein Vertrag mit einer festen (wenn auch kürzeren) Laufzeit. Daher ist auch im Beispiel 35 c) der Mietvertrag mit der fünfjährigen Laufzeit zustande gekommen.
c) Einseitig geregelte AGB
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Zweifelhaft erscheint ferner, ob und inwieweit eine Kollision von AGB vorliegt, wenn ein bestimmtes Problemfeld nur in den AGB der einen, nicht aber der anderen Seite geregelt ist:
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Beispiel 36
a) |
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