Sanktionsbewehrte Aufsichtspflichten im internationalen Konzern. Andreas Minkoff
der Möglichkeit der eigenen Willensbildung.[30] Hielt ein anderes Unternehmen die Mehrheit des stimmberechtigten Kapitals, wurde diese Möglichkeit regelmäßig verneint und die Organschaft angenommen.[31] Weitere Merkmale für das Vorliegen einer abhängigen Konzerngesellschaft konnten in der Verlustübernahme durch die herrschende Gesellschaft, die Identität der entscheidenden Verantwortungsträger der Unternehmen oder aber in einer Absichtserklärung der gemeinsamen Förderung der Obergesellschaft zu sehen sein.[32]
27
Aufgegeben wurde dabei auch das anfangs durch das Reichsgericht postulierte Selbstentmündigungsverbot.[33] Die Möglichkeit der vertraglichen Weisungsrechte wurde damit weiterer Katalysator konzernartiger Verbindungen und Verflechtungen. Muttergesellschaften profitierten darüber hinaus in dem bedeutsamen Bereich des Außenhaftungsrechts von weitreichendem Schutz. Für die Verbindlichkeiten von Tochterunternehmen musste sie nur in den selten bejahten Fällen der Durchgriffshaftung einstehen.[34] Auch im Rahmen der Innenhaftung musste das Interesse der abhängigen Unternehmen zunehmend einem übergeordneten Konzerninteresse zurückweichen. Nach der wohl herrschenden Meinung konnten Schädigungen der untergeordneten Konzernglieder mit Rücksicht auf das Gesamtkonzerninteresse jedenfalls dann nicht verhindert werden, wenn zugleich Abfindungsansprüche für Minderheitengesellschafter vorgesehen waren.[35]
28
In die Zwischenphase der beiden großen Kriege fielen neben diesen konzernfreundlichen Entwicklungen jedoch auch Elemente einer ersten Kehrtwende.[36] Insbesondere für Kartelle brachte die Kartellverordnung von 1923 erste Einschränkungen.[37] Auf die Konzernierung hatte dies jedoch kaum Einfluss.[38] Erst das Hereinbrechen der Weltwirtschaftskrise und die daraus resultierenden Zusammenbrüche von Konzernen führten zu – wenn auch zögerlichen – Reaktionen. Die für das Aktienrecht bedeutsame Notverordnung vom 19.9.1931[39] traf erstmalig – wenn auch nur wenige[40] – Regelungen zum Konzernrecht, insbesondere zur Rechnungslegung.[41] Fortan mussten unabhängige Abschlussprüfer jährliche Bilanzprüfungen durchführen,[42] der Jahresabschluss konnte zudem allein durch die Generalversammlung beschlossen werden.[43]
3. Dritte Konzentrationsphase: Das nationalsozialistische Reich
29
Die weitgehend schrankenlose Kartellierung und Konzernierung der Zeit vor Hitlers Machtergreifung führte dazu, dass der Wettbewerb weitestgehend der Kontrolle von mächtigen Privatorganisationen weichen musste. Die Nationalsozialisten machten sich die Verflechtungen und Verbindungen zu eigen, um ihrerseits die Wirtschaft zu lenken und zu beeinflussen.[44] Da aber auch sie Interesse an einer leistungsstarken nationalen Wirtschaftslandschaft hatten, wurde auf Beschränkungen der Konzernierung verzichtet.[45]
30
In die Zeit des totalitären Dritten Reiches fiel auch der Erlass des Aktiengesetzes 1937.[46] Im Wesentlichen war es Ergebnis von Reformbemühungen, die noch zu Zeiten der Weimarer Republik begonnen und fortentwickelt wurden.[47] Dennoch war es nicht frei von nationalsozialistischen Elementen. So wurden die Rechte des Vorstandes nachhaltig gestärkt, letztlich wohl auch als Ausfluss des Führerprinzips.[48] Hinsichtlich der Konzernierung bediente sich das Aktiengesetz der Begrifflichkeiten der Notverordnung von 1931, definierte aber in § 15 AktG-1937 Konzerne erstmals als rechtlich selbstständige Unternehmen unter einer gemeinsamen Leitung. Insgesamt normierte das Konzernrecht zwar Einschränkungen, es betonte aber auch den entschädigungslosen Vorrang des Konzerninteresses und schaffte ein weiterhin konzernfreundliches Wirtschaftsumfeld.[49]
4. Vierte Konzentrationsphase: Der Anfang der Bundesrepublik
31
Nachhaltige Veränderungen ergaben sich damit erst nach Ende der nationalsozialistischen Herrschaft. Der große Umschwung in der Frühphase der Bundesrepublik umfasste auch die Wirtschaftsordnung. Insbesondere Kartelle sollten zurückgedrängt werden, die Schaffung von mehr Wettbewerb stand im Vordergrund.[50] Bereits in der Besatzungsphase wurden daher Maßnahmen zur Dekartellierung getroffen,[51] ehe zum Beginn des Jahres 1958 das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in Kraft trat und in § 1 GWB ein grundsätzliches Kartellverbot kodifizierte.[52]
32
Die Konzernierung wurde hingegen weit weniger deutlich eingeschränkt.[53] Das neue Aktiengesetz von 1965 regelte das Konzernrecht zwar erheblich umfassender, mitunter durch eine Verstärkung der Offenlegungspflichten,[54] die grundsätzliche Akzeptanz blieb aber erhalten. Insbesondere herrschte in Deutschland weiterhin das Verständnis eines vorrangigen Konzerninteresses,[55] anders als etwa in den USA.[56]
33
Der Weg der Konzernierung wurde damit – anders als der der Kartellierung – bis heute nicht verlassen. Er vollzog sich seit der Etablierung der Aktiengesellschaften fortlaufend durch die Phasen der nationalen Geschichte und Wirtschaftsordnung, wenn auch – abhängig von der geschichtlichen Phase – mit verschiedenen Rahmenbedingungen und unterschiedlicher Intensität.[57]
Anmerkungen
Schmoeckel Rechtsgeschichte, Rn. 56.
Schmoeckel Rechtsgeschichte, Rn. 59.
Schmoeckel Rechtsgeschichte, Rn. 261.
Schmoeckel Rechtsgeschichte, Rn. 263.
Schmoeckel Rechtsgeschichte, Rn. 265.
Schmoeckel Rechtsgeschichte, Rn. 278.
Dettling Entstehungsgeschichte, S. 51.
Schmoeckel Rechtsgeschichte, Rn. 264.
Schmoeckel Rechtsgeschichte, Rn. 280.
Schmoeckel Rechtsgeschichte, Rn. 280.
Dettling Entstehungsgeschichte, S. 52.
Dettling Entstehungsgeschichte, S. 52.
Vgl. hierzu Dettling Entstehungsgeschichte, S. 51 f.
Die nachstehende Einteilung folgt Dettling Entstehungsgeschichte, S. 49.