Sanktionsbewehrte Aufsichtspflichten im internationalen Konzern. Andreas Minkoff
Diskussion um Bestehen und Reichweite der Konzernleitungspflicht wurde dabei maßgeblich befeuert durch die 1982 veröffentlichte Habilitationsschrift Hommelhoffs. Die Untersuchung ist noch heute Referenz für eine Ansicht, nach der aus den Möglichkeiten der Einflussnahme durch die Organe einer Konzernobergesellschaft auch parallele bzw. entsprechend weit reichende Pflichten entstehen; mit anderen Worten soll das Recht zur Konzernleitung in gleichem Ausmaß auch eine Pflicht zur Konzernleitung begründen.[38] Folgen soll diese weitgehende Pflicht aus der Regelung des § 76 Abs. 1 AktG, die vom Vorstand einer Muttergesellschaft die Ausschöpfung aller Möglichkeiten, und damit auch solche aus einer Kapitalbeteiligung verlangt.[39] Die hieraus resultierenden Pflichten sollen so weit reichen, dass der Vorstand einer Obergesellschaft die Tochtergesellschaften zu einem Konzern zusammenführen und sie bis in alle Einzelheiten zu lenken hat.[40] Gleichwohl der Arbeit Hommelhoffs bis heute große Beachtung geschenkt wird, konnte sich diese restriktive Ansicht in der Rechtswissenschaft nicht durchsetzen.[41] Verwiesen wird dabei auf die Konzeption des Aktienrechts, das eben auch Abhängigkeitsverhältnisse ohne Vorliegen einer einheitlichen Leitung ausdrücklich vorsieht.[42] Gerade dieses Abhängigkeitsverhältnis nehmen zahlreiche Normen jedoch zur Grundlage weitergehender Regelungen.[43] Die damit bestehende, große Bedeutung der Abhängigkeit i.S.d. § 17 Abs. 1 AktG sei nur schwer nachvollziehbar, sollte es sich dabei um einen eigentlich rechtswidrigen Zustand handeln.[44] Und für nichts anderes plädiere die strikte Auffassung Hommelhoffs, wenn dieser fordere, die bloße Herrschaftsmacht i.S.d. § 17 Abs. 1 AktG müsse stets zur Konzernleitung verdichtet werden.[45] Damit werde stets die Schaffung von Konzernverbindungen i.S.d. § 18 Abs. 1 AktG verlangt, der Zustand der bloßen Abhängigkeit ohne Vorliegen einheitlicher Leitung sei damit auf Dauer unzulässig.[46]
87
Überdies soll die Annahme einer umfassenden Konzernleitungspflicht der Systematik der § 311 ff. AktG widersprechen, die für den Fall faktischer Konzernverbindungen vom Erhalt der eigenverantwortlichen Leitung durch den Vorstand der abhängigen Gesellschaft gem. § 76 Abs. 1 AktG ausgehen.[47]
bb) Pflicht zur Wahrung der gesellschaftlichen Interessen
88
Die dargestellten Argumente machen jedoch deutlich, dass sich die Kritik an der umfassenden Konzernleitungspflicht vor allem auf faktische Konzernverbindungen bezieht. Allerdings belassen es auch die Vertreter der Gegenauffassung nicht dabei, eine Konzernleitungspflicht gänzlich abzulehnen. Denn die grundsätzliche Pflicht eines Geschäftsleitungsorgans, sich eröffnende Geschäftschancen zu nutzen – und damit auch solche aus Kapitalbeteiligungen – bleibt auch hier weitestgehend unbestritten.[48] Ob und wie weit hieraus Leitungspflichten folgen, soll indes – und hier liegt der Unterschied zur restriktiven Auffassung Hommelhoffs – im pflichtgemäßem Ermessen der Geschäftsführung der Obergesellschaft stehen.[49] Dabei soll es sodann keinesfalls ausgeschlossen sein, dass nach pflichtgemäßen Ermessen eine dezentrale Leitungsstruktur im Rahmen bloßer Abhängigkeitsverhältnisse bestehen darf.[50]
89
Gerade im Falle der faktischen Konzernierung ist dabei zu berücksichtigen, dass Weisungsrechte wie im Rahmen von Beherrschungsverträgen und Eingliederung nicht bestehen. Die insofern verbleibenden Barrieren der rechtlichen Möglichkeit zwingen auch zu entsprechenden Beschränkungen der rechtlichen Pflicht. Denn die Wahrnehmung rechtlich nicht möglicher Maßnahmen kann nicht verlangt werden.
90
Weniger eindeutig ist die Ablehnung der Thesen Hommelhoffs, sofern die Konzernleitungspflicht im Rahmen von Vertragskonzernen und der Eingliederung in Rede steht, mithin also in den Konstellationen bestehender Weisungsrechte.[51] Zwar wird auch hier grundsätzlich darauf verwiesen, dass eine umfassende Konzernleitungspflicht zu einer Pflicht der Weisungserteilung führe, was im Wortlaut des § 308 AktG jedoch ausdrücklich nicht angeordnet sei.[52] Die Norm gewähre daher lediglich ein Weisungsrecht, der Rückschluss von Berechtigung auf Verpflichtung sei unzulässig.[53] Dennoch wird ausgehend von den Pflichten aus § 76 Abs. 1 AktG das postulierte Ermessen der Geschäftsleitung der Obergesellschaft bei der Frage, ob sie eine umfassende Konzernleitung etabliere, vielerorts eingeschränkt, wenn auch gleichwohl nicht im Sinne Hommelhoffs negiert.[54] Sofern es sich um einen Fall der Eingliederung handelt, wird sich vor dem Hintergrund der Haftung gem. § 322 AktG indes ein Verzicht auf Weisungsmöglichkeiten kaum mehr begründen lassen.[55]
Anmerkungen
Vgl. bereits oben Rn. 65.
Habersack in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 24 Rn. 17.
Bödeker in: Henssler/Strohn, § 308 AktG Rn. 15; Emmerich in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 23 Rn. 45.
Vgl. für den Vertragskonzern Emmerich in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 11 Rn. 43; sowie entsprechend für die Eingliederung Habersack in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 10 Rn. 53. In Anlehnung zur Terminologie des Staatsorganisationsrechts lässt sich insofern von einer konkurrierenden Leitungsmacht der Konzernspitze sprechen.
Vgl. hierzu Emmerich in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 23 Rn. 47.
Bödeker in: Henssler/Strohn, § 308 AktG Rn. 11; Emmerich in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 23 Rn. 1; Saenger Gesellschaftsrecht, Rn. 971; Krieger in: MünchHdb GesR IV, § 70 Rn. 148; Kuhlmann/Ahnis Konzern- und Umwandlungsrecht, Rn. 592.
Bödeker in: Henssler/Strohn, § 308 AktG Rn. 12; Emmerich in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 23 Rn. 35 ff.
Bödeker in: Henssler/Strohn, § 308 AktG Rn. 3; Kuhlmann/Ahnis Konzern- und Umwandlungsrecht, Rn. 597; Krieger in: MünchHdb GesR IV, § 70 Rn. 152; a.A. jedoch Altmeppen in: MK-AktG, § 308 AktG Rn. 29.
Zum Ganzen Emmerich in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 23 Rn. 6.
Bödeker in: Henssler/Strohn, § 308 AktG Rn. 6; Krieger in: MünchHdb GesR IV, § 70 Rn. 146; Emmerich in: Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 23 Rn. 11.
Bödeker in: Henssler/Strohn, § 308 AktG Rn. 6; Koch in: Hüffer, § 308 AktG Rn. 7; Kuhlmann/Ahnis Konzern- und Umwandlungsrecht, Rn. 599. Gleiches gilt gegenüber Aufsichtsrat und Hauptversammlung der beherrschten Gesellschaft, vgl. Krieger in: MünchHdb GesR IV, § 70 Rn. 145; Raiser/Veil Recht der Kapitalgesellschaften, § 54 Rn. 3, 42.
Drygala/Staake/Szalai