Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
schnell zu unterbinden, wobei es in diesem Falle (noch) nicht auf das Verschulden ankommt. Bei irreführenden Werbeangaben, soweit diese Mitbewerber und Verbraucher beeinträchtigen und das Ansehen der Berufsgruppe schädigen, liegen die Voraussetzungen für ein wettbewerbsrechtliches Vorgehen der Kammern gegen ihre Mitglieder vor.
f) Dachverbände
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Die Kammergesetze erlauben den berufsständischen Kammern, sich in Vertretung der beruflichen Belange ihrer Mitglieder in Bundesorganisationen nicht nur des eigenen Berufsstandes zusammen zu schließen. Hierzu hat das OVG Berlin-Brandenburg[91] entschieden, dass es effektiver sein kann, die Belange von Kammerangehörigen eines bestimmten Berufs auf einer sachlich übergeordneten wie auch überregionalen Ebene zu vertreten und dadurch zu einer Bündelung der verschiedenen Berufssparten gemeinsamen Interessen beizutragen. Ältere restriktive Entscheidungen – auch des BVerwG – haben zu Recht Kritik erfahren.[92] Es liegt in der Natur der Interessenwahrnehmung, sich mit anderen, gleich orientierten und strukturierten Organisationen zu verbünden. In der Regel wird durch den Beitritt zu einem Dachverband der Haushalt der entsprechenden Berufskammer und damit der Mitgliedsbeitrag des einzelnen Kammerangehörigen nur geringfügig belastet; somit sind die Folgen des Beitritts für das einzelne Kammermitglied nicht unverhältnismäßig.[93]
3. Selbstverwaltungs-Aufgaben
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Es entspricht dem Wesen berufsständischer Organisationen, ihre Mitglieder in allen mit dem Beruf in Zusammenhang stehenden Fragen zu beraten.[94] Dies beinhaltet nicht nur die Wahrnehmung berufsständischer Interessen des gesamten Berufsstandes, sondern auch Hilfe im Einzelfall.[95] Taupitz hat den Versuch einer Typisierung von Tätigkeitsfeldern der funktionalen Selbstverwaltung vorgenommen[96] und dabei drei Komplexe benannt:
– | Berufsaufsicht, |
– | Vertretung des Gesamtinteresses eines Berufszweiges nach außen, |
– | Förderung des Berufsstandes. |
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Folgt man dieser Kategorisierung, so lassen sich auf Grundlage der Heilberufekammer-Gesetze der Länder[97] folgende Aufgabenkatalog differenzieren:
a) Berufsaufsicht
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– | Regeln und Überwachung der Berufspflichten, |
– | Sicherung der Qualität |
– | Prävention/Gesundheitsschutz |
– | Sicherstellung des Notfalldienstes |
– | Förderung der Kollegialität |
– | Streitschlichtung aus dem Berufsverhältnis |
– | Schlichtung |
b) Vertretung des Gesamtinteresses
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– | Wahrnehmung beruflicher (wirtschaftlicher und sozialer) Belange |
– | Unterstützung des öffentlichen Gesundheitsdienstes |
– | Benennung von Sachverständigen und Gutachtern/Begutachtung von Behandlungsfehlern |
– | Stellungnahmen/Fachgutachten/Beratung von Behörden bei Gesetzgebung und Verwaltung |
– | Patientenberatung, Patientenschutz |
– | Kooperation mit anderen Gesundheitsberufen |
c) Förderung des Berufsstandes
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– | Förderung der Berufsausübung sowie der Aus-, Fort- und Weiterbildung |
– | Gestaltung der Weiterbildung, Prüfungen |
– | Schaffung sozialer Einrichtungen |
– | Bescheinigung von Zusatzqualifikationen, Zertifizierung |
– | Berufs-, Fort- und Weiterbildung, Information und Beratung der Kammermitglieder |
– | Wahrnehmung von Aufgaben nach Berufsbildungsgesetz (BBiG) Den Kammern verbleiben im Rahmen ihres gesetzlichen Wirkungskreises auch „Aufgabenfindungsrechte“.[98] |
4. Übertragene Aufgaben
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Neben den gesetzlich zugewiesenen eigenen Angelegenheiten (klassische Aufgaben der Selbstverwaltung), bei denen ein ausreichend großer Gestaltungsspielraum bleiben muss, um eine eigenverantwortliche Verwaltung der Betroffenen zu ermöglichen,[99] nehmen die Kammern auch staatlich übertragene Aufgaben (staatliche Auftragsangelegenheiten) wahr.[100] Dabei handelt es sich zum einen um bislang durch die unmittelbare Staatsverwaltung wahrgenommene Aufgaben, für deren Erfüllung besonderer Sachverstand der Selbstverwaltungskörperschaften genutzt werden soll oder kann.[101] Dazu zählen bei Ärzte- und Zahnärztekammern beispielsweise Aufgaben im Strahlenschutz.[102] Zum anderen geht es dabei um Aufgaben, die grundsätzlich von der Selbstverwaltung wahrgenommen werden könnten, bislang aber von staatlichen Behörden erfüllt wurden.[103] Hierzu zählt das Approbationsverfahren. So hat das Land Niedersachsen durch Rechtsverordnung drei Kammern für Heilberufe die Aufgaben als zuständige Stellen für die Erteilung und den Widerruf von Approbationen und Berufserlaubnissen nach der Bundesärzteordnung, dem Psychotherapeutengesetz und dem Gesetz über die Ausübung der Zahnheilkunde übertragen. Der Niedersächsische Zweckverband zur Approbationserteilung (NiZzA) hat am 1.4.2006 seine Arbeit aufgenommen. Die Kosten der Aufgabenerfüllung hat in diesem Fall das Land zu tragen (Konnexität).[104]
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In jüngster Zeit ist durch die Novellierung einiger Kammergesetze der Katalog zugewiesener oder übertragener Aufgaben um eine Vielzahl schlichter Verwaltungstätigkeiten erweitert worden, für deren enumerative Nennung der jeweilige Landesgesetzgeber die Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage sah. Dazu zählt beispielsweise die Ausgabe des elektronischen Arztausweises. Ob die allgemeinen Normen der Heilberufekammer-Gesetze zusätzlicher Konkretisierung im Einzelfall bedürfen, muss sich nach ihrer Grundrechtsrelevanz entscheiden. Das BVerfG hat bei Entscheidungen, welche die Berufswahl betreffen (statusbildende Normen) und bei Einschränkungen der Berufsausübungsfreiheit in ihren Grundzügen eine Regelung durch förmliches Gesetz verlangt.[105] Eine generalklauselartige Ermächtigung genügt.[106] Die Ausweitung des Parlamentsvorhaltes auf „technische