Handbuch Medizinrecht. Thomas Vollmöller
106 Abs. 4 und 106d Abs. 7 SGB V hinsichtlich der Durchführung der Wirtschaftlichkeits- und Abrechnungsprüfungen vor. Danach haftet der Vorstand für die ordnungsgemäße Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben, in der Wirtschaftlichkeitsprüfung in erster Linie für die fristgemäße und vollständige Lieferung der Daten nach §§ 296, 297 SGB V. Es könnte sich nach dem Wortlaut der Vorschrift um eine verschuldensunabhängige Gewährleistungshaftung handeln, wobei vieles unklar ist.[20] Vor allem dürfte es in allen Haftungsvarianten kaum möglich sein, einen entsprechenden Nichtumsetzungsschaden zu errechnen.[21]
4. Korruptionsbekämpfungsstellen
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Das GMG hat mit § 81a SGB V den KV einschließlich der KBV ein weiteres obrigkeitliches Überwachungsinstrument beschert.[22] Danach mussten, als verselbstständigte organisatorische Einheiten,[23] sogenannte Stellen zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen eingerichtet werden. Diese haben die Aufgabe, entsprechenden Hinweisen auf Fälle und Sachverhalte, die auf Unregelmäßigkeiten, rechtswidrige oder zweckwidrige Nutzung von Finanzmitteln im Zusammenhang mit den Aufgaben der jeweiligen KV hindeuten, nachzugehen.[24] Zu diesem Zweck sieht § 81a Abs. 2 SGB V ein anonymes Denunziationsrecht für jedermann vor. Der Vorstand der KV hat der Vertreterversammlung nach § 81a Abs. 5 SGB V alle zwei Jahre einen Bericht über die Arbeit und Ergebnisse der organisatorischen Einheiten vorzulegen. Gem. § 81a Abs. 6 SGB V hat die KBV in „Bestimmungen“ die geforderten organisatorischen Vorgaben festzulegen.[25] Diese Bestimmungen gehen inhaltlich kaum über die Regelungen des § 81a Abs. 1 bis 5 SGB V hinaus, was die Frage nach deren Sinn aufwirft.
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Ein Fremdkörper im Gesetz ist die in § 81a Abs. 4 SGB V angeordnete Pflicht, die Staatsanwaltschaft unverzüglich vom Anfangsverdacht einer strafbaren Handlung mit nicht nur geringfügiger Bedeutung für die gesetzliche Krankenversicherung zu unterrichten.[26] Kommen die KV dieser Aufgabe nicht nach, droht laut Gesetzesbegründung eine Verurteilung wegen Strafvereitelung nach § 258 StGB.[27] Der Tatbestand der Vorschrift besteht überwiegend aus unbestimmten Rechtsbegriffen, was zu zahlreichen ungelösten Rechtsfragen führt.[28] In der Regel sind die Korruptionsbekämpfungsstellen nicht in der Lage, einen Anfangsverdacht auf eine strafbare Handlung zu prüfen. Dazu fehlt in der Praxis neben dem Ermittlungsinstrumentarium auch die Erfahrung im Umgang mit dem Strafrecht. Der Gesetzgeber hat aus gutem Grunde die Prüfung eines Anfangsverdachts auf strafbare Handlungen in § 160 StPO grundsätzlich den Staatsanwaltschaften zugewiesen, wo diese Zuständigkeit auch bleiben muss.
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Die rechtspolitisch fragwürdige Vorschrift beinhaltet die Gefahr der Kriminalisierung eines ganzen Berufsstandes und birgt für die Praxis erhebliche Unwägbarkeiten.[29] Zunächst bedürfen die Tatbestandsmerkmale der Unverzüglichkeit und der nicht nur geringfügigen Bedeutung für die GKV einer Auslegung, welche aus rechtsstaatlichen Gründen eigentlich einschränkend restriktiv sein müsste, aber wegen der Gefahr des Vorwurfs einer Strafvereitelung tatsächlich extensiv sein wird.[30]
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Praxishinweis
Bei strafrechtlicher Relevanz des Verhaltens eines Vertragsarztes ist mit einer Strafanzeige zu rechnen. Die Akten der „§ 81a-Stelle“ werden gewöhnlich außerhalb der Akten der sonstigen Verwaltungsverfahren geführt. Die Einsicht der Akten z.B. der Prüfabteilung nach § 106d SGB V, lässt daher nicht unbedingt erkennen, ob diese Stelle eingeschaltet ist. Zusätzlich ist auch mit Strafanzeigen seitens der Krankenkassen zu rechnen. Ein Indiz ist die Durchführung einer Patientenbefragung durch eine Krankenkasse, die meist im Praxisbetrieb auffällt. Jede weitere Einlassung des Arztes im laufenden Verwaltungsverfahren wird Eingang in das staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren finden. Das muss hinsichtlich einer möglichen Verteidigungsstrategie bedacht werden. Ein Recht zum Schweigen besteht im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Im Verwaltungsverfahren bestehen Mitwirkungspflichten. Daher ist Schweigen regelmäßig ein Nachteil.
5. Aufgaben der KV
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Die Aufgaben der KV und der KBV sind in den materiellen Regelungen des Vertragsarztrechtes niedergelegt und ausführlich beschrieben. Als wichtigste Aufgabe ist die in § 75 Abs. 1 SGB V angeordnete Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung zu nennen, wozu nach § 99 SGB V die Aufstellung eines Bedarfsplanes im Einvernehmen mit den KK gehört.[31] Auch die Organisation des Notdienstes in sprechstundenfreien Zeiten gehört nach § 75 Abs. 1b SGB V zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung.[32] Die KV haben ferner nach §§ 82 ff. SGB V die Kollektivverträge über Inhalt und Ausgestaltung der vertragsärztlichen Versorgung abzuschließen und nach § 87b Abs. 1 SGB V die Honorarverteilung unter ihren vertragsärztlichen Mitgliedern zu besorgen.[33] Nach § 135b Abs. 1 SGB V[34] haben die KV Maßnahmen zur Förderung der Qualität der vertragsärztlichen Versorgung durchzuführen und zu dokumentieren, ebenso die erbrachten Leistungen auf Qualität (Abs. 2) und die Abrechnungen der Vertragsärzte auf Rechtmäßigkeit und Plausibilität zu prüfen (§ 106d SGB V). Gemeinsam mit den KK haben sie nach §§ 106 ff. SGB V die Wirtschaftlichkeit der vertragsärztlichen Versorgung zu überwachen.
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Das GKV-VSG übertrug den KV in § 75 Abs. 1a SGB V die Einrichtung von Terminservicestellen. Deren Aufgabe ist es, den Versicherten mit einer Überweisung zum Facharzt binnen einer Woche einen Termin zu verschaffen. Nach dem TSVG müssen diese Terminservicestellen seit dem 1.1.2020 unter einer bundesweit einheitlichen Telefonnummer 24 Stunden erreichbar sein.
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Die KV haben nach § 75 Abs. 2 S. 1 SGB V die Rechte der Vertragsärzte gegenüber den Krankenkassen wahrzunehmen. Dazu gehört auch im Rahmen der gemeinsamen Selbstverwaltung die Interessenvertretung in der Politik, gegenüber dem Gesetzgeber und den Berufsverbänden.[35] Ein über ihren hoheitlichen Aufgabenbereich hinausgehendes gesundheitspolitisches Mandat der Vertragsärzte haben die KV jedoch nicht.[36]
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Art. 2 Abs. 1 GG schützt die Zwangsmitglieder öffentlich-rechtlicher Körperschaften vor einer Überschreitung ihrer gesetzlich eingeräumten Befugnisse und gewährt infolgedessen einen gerichtlich durchsetzbaren Unterlassungsanspruch gegen unzulässige Betätigungen, ohne dass es darauf ankommt, ob das Mitglied dadurch einen spürbaren Nachteil erleidet.[37]
6. Dienstleistungsgesellschaften
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Der durch das GKV-WSG neu eingeführte § 77a SGB V erlaubt den KV und der Kassen(zahn-)ärztlichen Bundesvereinigung Dienstleistungsgesellschaften zu gründen, die die vertragsärztlichen Leistungserbringer beim Abschluss von Versorgungsverträgen, namentlich Direktverträgen nach §§ 73a bis c SGB V und besonderen Versorgungsverträgen nach §§ 140a ff. SGB V inklusive der damit auftretenden Fragen der Datenverarbeitung beraten dürfen. Die Dienstleistungsgesellschaften dürfen die Vertragsärzte ferner in allgemeinen wirtschaftlichen Fragen beraten und Verwaltungsaufgaben für Praxisnetze übernehmen. Damit kam der Gesetzgeber einem Wunsch der KV nach, die sich an einer solchen privatwirtschaftlichen Betätigung als öffentlich-rechtliche Körperschaft mit gesetzlich begrenztem Aufgabenbereich gehindert sahen.[38]
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Es versteht sich von selbst, dass die KV die von den Krankenkassen erhaltenen Gesamtvergütungen zweckgebunden für die Honorierung der ärztlichen Leistungen einzusetzen haben, wie auch die von den Ärzten aufgebrachten Verwaltungskostenbeiträge der Finanzierung derselben dienen. § 77a Abs. 3 SGB V verbietet folglich eine Finanzierung dieser Gesellschaften aus Mitteln der KV.[39]
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Die Dienstleistungsgesellschaften müssen sich selbst aus Einnahmen finanzieren. Der Gesetzeswortlaut ist