Kulturtheorie. Wolfgang Müller-Funk
gut bekannt, mit dem Philosophen und Soziologen Georg SimmelSimmel, Georg (→ Kap. 5), der heute wegen seiner Philosophie des GeldesGeld und seiner Analyse der ModeMode zu Recht als einer der wichtigsten Diskursbegründer der Kulturwissenschaften im deutschsprachigen KontextKontext gilt. Theoretisch beeinflusst ist CassirerCassirer, Ernst von KantKant, Immanuel, HusserlHusserl, Edmund und GoetheGoethe, Johann W.. KantKant, Immanuel verdankt CassirerCassirer, Ernst die erkenntnistheoretischen Leitfragen, von GoetheGoethe, Johann W. ist der Terminus der symbolischen Formensymbolisch (allgemein)Formen, symbolische entlehnt, sowohl der Symbolbegriff als auch das Konzept einer morphologischen Formenreihe. Beeinflusst ist CassirerCassirer, Ernst, insbesondere im mythentheoretischen Teil seines Werkes, auch von SchellingsSchelling, Friedrich W.J. Philosophie der MythologieMythos, Mythologie, mythisch. Denn es war SchellingSchelling, Friedrich W.J., der dem MythosMythos, Mythologie, mythologisch seine Dignität zurückerstattete, indem er diesen als ein Phänomen sui generis analysiert hat, das sich nicht auf PoesiePoesie, Proto-Philosophie und Protowissenschaft reduzieren lässt:
[…] die MythologieMythos, Mythologie, mythisch war so, wie sie ist, als Wahrheit gemeint; dieses ist aber schon gleich der Behauptung: die MythologieMythos, Mythologie, mythisch ist ursprünglich als Götterlehre und Göttergeschichte gemeint, sie hat ursprünglich religiöseReligion, religiös Bedeutung […].5
In der Sache ganz ähnlich formuliert CassirerCassirer, Ernst ein Dreivierteljahrhundert später:
Die Welt des MythosMythos, Mythologie, mythologisch ist kein bloßes Gebilde der Laune oder des Zufalls, sondern sie hat ihre eigenen Fundamentalgesetze des Bildens, die durch alle ihre besonderen Äußerungen hindurchwirken.6
Diese Autonomie des MythosMythos, Mythologie, mythologisch, seine Unabhängigkeit von anderen Formen der Welterfassung – etwa Philosophie, Wissenschaft und PoesiePoesie – ist eine Grundeinsicht, die sich auch am Eingang von CassirersCassirer, Ernst mehrbändigem Werk findet, das sich immer wieder auf SchellingSchelling, Friedrich W.J. beruft. Die Philosophie der symbolischen Formensymbolisch (allgemein)Formen, symbolische ist – vereinfacht gesprochen – CassirersCassirer, Ernst Hauptwerk. Sie stellt den einzigen geschlossenen Versuch einer idealistischen, am SubjektSubjekt orientierten Erkenntnistheorie der Kulturwissenschaften dar.
Die programmatische Einleitung beginnt mit einem idealtypischen Abriss der GeschichteGeschichte der Philosophie: Das klassische Thema der Philosophie seit ihren Anfängen ist – so konstatiert CassirerCassirer, Ernst in Einklang mit HeideggerHeidegger, Martin – das Verhältnis des Seins zur Fülle des Seienden. Oder anders gefragt: Was verbürgt die Einheit aller Phänomene dieser Welt? Was ist das Sein, das allem Seienden, der Fülle der Erscheinungen als ein gemeinsames Drittes zugrunde liegt?
Wenn CassirerCassirer, Ernst nun die GeschichteGeschichte der Philosophie Revue passieren lässt, so geht es ihm weniger um diese selbst. Vielmehr will er die kulturelle Wende in der Philosophie, die er mit seinem opus magnum vornimmt, historisch einordnen. Deshalb beansprucht sie auch keinerlei Vollständigkeit. Die Philosophie der symbolischen Formensymbolisch (allgemein)Formen, symbolische erzählt die GeschichteGeschichte der abendländischenAbendland, abendländisch philosophischen episteme mit einem klaren Fokus: Es geht um die GeschichteGeschichte der idealistischen Philosophie als einer Denkbewegung, die über den antiken IdealismusIdealismus (philosophisch) PlatonsPlaton und den transzendentalen IdealismusIdealismus (philosophisch) KantsKant, Immanuel in die transzendentale Kulturphilosophie der symbolischen Formensymbolisch (allgemein) einmündet.
CassirerCassirer, Ernst greift dabei auf die Anfänge der abendländischenAbendland, abendländisch Philosophie zurück. Die Vorsokratiker, so z.B. die Pythagoräer hätten ein bestimmtes, sichtbares, konkretes Seiendes aus der Fülle des Seienden herausgegriffen und es zum Grund des Seins gemacht. Daraus entstand die Lehre von den Elementen: Wasser, Feuer, Licht, Äther, Erde. Oder man ging, wie bei den frühen Materialisten, davon aus, dass alles Seiende aus kleinsten, unteilbaren Elementen (atomoi, Atome) zusammengesetzt ist. CassirerCassirer, Ernst zufolge geht es hier um einen sehr rudimentären Akt von Abstraktion. Das Sein wird hier mit einem oder auch mehreren elementaren Erscheinungen gleichgesetzt.
Es handelt sich – so CassirerCassirer, Ernst – um Mythen, um „bloße ErzählungenErzählung(en) vom Sein“.7 Ein einzelnes, besonderes und beschränktes Seiendes wird herausgegriffen, um aus ihm alles andere genetisch abzuleiten und zu ‚erklären‘. Der Hinweis, dass es sich dabei um Erzählungen handelt, ist aufschlussreich und verweist auf den mythischen Grundgehalt eines solchen frühen philosophischen Denkens. Wenn man den Schöpfungsbericht in der Bibel aufschlägt oder auch andere kosmogonische mythologischeMythos, Mythologie, mythisch Texte liest, dann beginnen diese Geschichten ebenfalls mit der Erwähnung und Gegenüberstellung von Grundelementen, von Formen des Seienden: Wasser, Licht, Erde usw.; nur dass diese mythologischenMythos, Mythologie, mythisch Texte darauf verzichten, die Fülle der DingeDinge und Erscheinungen dieser Welt logisch und genetisch aus einem Ur-Seienden abzuleiten. Die vorsokratische Philosophie, könnte man sagen, ist selbst mythologisch, nicht philosophisch oder gar wissenschaftlich. Das heißt nicht, dass ihr keine symbolische Bedeutung zukäme. Im Gegenteil. Was sie indes vom MythosMythos, Mythologie, mythologisch unterscheidet, ist, dass sie dessen impliziten gedanklichen Gehalt explizit und rational macht.
Die nächste Stufe in CassirersCassirer, Ernst Schema einer philosophischen Denkentwicklung stellt die idealistische Philosophie PlatonsPlaton dar. In den Augen CassirersCassirer, Ernst markiert PlatonPlaton mit seinem Begriff des Seins als Idee eine dramatische Kehre in der GeschichteGeschichte der Philosophie, eine idealistische Wende. Das Denken
geht jetzt nicht mehr lediglich neben dem Sein einher, es ist kein bloßes Reflektieren ‚über‘ dasselbe, sondern seine eigene innere Form ist es, die ihrerseits die innere Form des Seins bestimmt.8
Das Sein, das alles Seiende durch ein abstraktes Band verbindet, ist nicht länger eine konkrete, sichtbare Erscheinung, nicht länger ein wahrnehmbares, äußeres Etwas, das man ‚fassen‘ kann. Es ist gewissermaßen in ein unsichtbares Jenseits gerückt. Die DingeDinge und Erscheinungen dieser Welt sind ein Abglanz eines Seins, das als eine Art von Ideenhimmel begriffen wird. Entscheidend für CassirerCassirer, Ernst ist jedoch der Abstraktionsgrad, der in PlatonsPlaton Philosophie erreicht wird, und die Hinwendung vom Seienden zum Denken.
In einem Tigersprung von 2000 Jahren verknüpft CassirerCassirer, Ernst PlatonsPlaton Philosophie mit jener KantsKant, Immanuel. Die ‚Revolution der Denkart‘, die KantKant, Immanuel innerhalb der theoretischen Philosophie durchführt, beruht auf dem Grundgedanken, dass das Verhältnis, das bisher zwischen der ErkenntnisErkenntnis und ihrem Gegenstande allgemein angenommen wurde, einer radikalen Umwendung bedürfe. Statt vom Gegenstand als dem Bekannten und Gegebenen auszugehen, müsse vielmehr mit dem Gesetz der Erkenntnis als dem allein wahrhaft Zugänglichen und als dem primär Gesicherten begonnen werden:
Bisher nahm man an, alle unsere ErkenntnisErkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten; aber alle Versuche, über sie a priori etwas durch Begriffe auszumachen, wodurch unsere Erkenntnis erweitert würde, gingen unter dieser Voraussetzung zunichte. Man versuche es daher einmal, ob wir nicht in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, daß wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserer Erkenntnis richten, welches so schon besser mit der verlangten Möglichkeit einer Erkenntnis derselben a priori zusammenstimmt, die über Gegenstände, ehe sie uns gegeben werden, etwas festsetzen soll.9
KantsKant, Immanuel Philosophie verabschiedet sich von einer Frage, die die Philosophie jahrhundertelang beschäftigt hat, von der Frage nach dem Verhältnis von Sein und Denken, von Gegenstand und Begriff, die die Professionalisten des Denkens in Nominalisten und Realisten gespalten hat. Über dieses Verhältnis lässt sich nämlich gar nichts sagen, weil uns das Seiende nur durch unser Denken zugänglich ist. Also liegt es nahe, sich nicht länger mit dem Seienden und seinem Verhältnis zum Denken zu beschäftigen, sondern sich allein Letzterem zuzuwenden. Dies hat KantKant, Immanuel bekanntlich in seiner Kritik der reinen Vernunft unternommen. PlatonPlaton hat – so lässt sich dies im Nachhinein aus der Sicht CassirersCassirer, Ernst erzählen – diese Wende in gewisser Weise vorbereitet, indem er die Welt der Ideen zum ZentrumZentrum der Philosophie gemacht hat. PlatonPlaton selbst hat