Kulturtheorie. Wolfgang Müller-Funk

Kulturtheorie - Wolfgang Müller-Funk


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der Ort der symbolischen Form des MythosMythos, Mythologie, mythologisch sein soll, jenes MythosMythos, Mythologie, mythologisch, der im Laufe der geschichtlichen Entwicklung SpracheSprache, ErkenntnisErkenntnis und KunstKunst, Kunstwerk aus sich entlassen haben soll. Zwar lässt sich – BlumenbergBlumenberg, Hans hat dies auch getan – darauf verweisen, dass der MythosMythos, Mythologie, mythologisch nicht ans Ende zu bringen ist, weil es Grenzen der Erkenntnis gibt.24 Oder man mag argumentieren, auch dieses Argument findet sich bei BlumenbergBlumenberg, Hans, dass gerade die moderneModerne, modern, -moderne Kunst sich durch den Rückgriff auf mythische Elemente konstituiert. Aber dessen zentrale Bedeutung für die KonstruktionKonstrukt, Konstruktion nationalerNation, Nationalismus, national IdentitätIdentität und für die AlltagskulturAlltag, Alltagskultur, Alltags- – BarthesBarthes, Roland Mythen des Alltags (→ Kap. 7) – kann nicht aus einer rein philosophisch-geistesgeschichtlichen Perspektive erfasst werden.

      Literatur

      Cassirer, Ernst, Philosophie der symbolischen Formen, 5 Bände, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1964.

      Cassirer, Ernst, Versuch über den Menschen. Einführung in eine Philosophie der Kultur, Frankfurt/Main: Fischer 1990.

      Andermatt, Alois, Semiotik und das Erbe der Transzendentalphilosophie. Die semiotischen Theorien von Ernst Cassirer und Charles Sanders Peirce im Vergleich, Würzburg: Königshausen & Neumann 2007.

      Bösch, Michael, Das Netz der Kultur. Der Systembegriff in der Kulturphilosophie Ernst Cassirers, Würzburg: Königshausen & Neumann 2004.

      Frede, Dorothea/Schmücker, Reinold (Hrsg.), Ernst Cassirers Werk und Wirkung. Kultur und Philosophie, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1997.

      Graeser, Andreas, Ernst Cassirer, München: C.H. Beck 1994.

      Kittler, Friedrich, Eine Kulturgeschichte der Kulturwissenschaft, München: Fink 2000.

      Kreis, Guido, Cassirer und die Formen des geistigen, Berlin: Suhrkamp 2010.

      Müller-Funk, Wolfgang, Die Kultur und ihre Narrative. Eine Einführung, 2., erweiterte Auflage, Wien/New York: Springer 2008.

      Neumann, Barbara, Kulturen des symbolischen Denkens. Literatur und Philosophie bei Ernst Cassirer, in: Hartmut Böhme/Klaus R. Scherpe, Literatur- und Kulturwissenschaften. Positionen, Theorien, Modelle, Reinbek: Rowohlt 1996, S. 161–186.

      Recki, Birgit, Kultur als Praxis. Eine Einführung in Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen, Berlin: Akademie-Verlag 2004.

      Recki, Birgit, Philosophie der Kultur – Kultur des Philosophierens- Ernst Cassirer im 20. Imd 21. Jahrhundert, Hamburg: Meiner 2012.

      Recki, Birgit, Kunst als symbolische Form. Ernst Cassirers ästhetische Theorie, Bielefeld: transcript 2019.

      Renz, Ursula, Die Rationalität der Kultur. Zur Kulturphilosophie und ihrer transzendentalen Begründung bei Cohen, Natorp und Cassirer, Hamburg: Meiner 2002.

      Sandkühler, Hans Jörg/Freudenberger, Silja (Hrsg.), Kultur und Symbol. Ein Handbuch zur Philosophie Ernst Cassirers, Stuttgart: Metzler 2003.

      Schmitz, Heiko, Von der „Kritik der historischen Vernunft“ zur „Kritik der Kultur“. Über die Nähe der Projekte von Wilhelm Dilthey und Ernst Cassirer, Würzburg: Königshausen & Neumann 2006.

      Schwemmer, Oswald, Ernst Cassirer. Ein Philosoph der europäischen Moderne, Berlin: Akademie 1997.

      Schwemmer, Oswald, Philosophie als Theorie der Kultur und der Kulturwissenschaften, in: Friedrich Jaeger/Jürgen Straub (Hrsg.), Handbuch der Kulturwissenschaften, Bd. 2: Paradigmen und Disziplinen, Stuttgart: Metzler 2004, S. 671–686.

      Villinger, Ingeborg, Ernst Cassirers Philosophie der symbolischen Formen und die Medien des Politischen. Mit einer Studie zum Demonstrationsritual im Herbst 1989, Würzburg: Ergon 2005.

      Warburg, Aby, Schlangenritual. Ein Reisebericht. Mit einem Nachwort von Ulrich Raulff, Berlin: Wagenbach 1988.

      Warburg, Aby, Mnemosyne-Atlas, hrsg. von Werner Rapp, Wien: Daedalus 1993.

      Kapitel 4 Giambattista VicoVico, Giambattista, Johann Gottfried HerderHerder, Johann G. und die Folgen: Von der Neuen Wissenschaft über die gemeinschaftliche NaturNatur der Völker zur aufklärungskritischenAufklärung, aufklärungs- Kulturphilosophie

      Es gibt im KontextKontext der abendländischenAbendland, abendländisch Geistesgeschichte Denker, deren langfristige Bedeutung weithin unterschätzt wird; diese ist nur einer kleinen Schar von profunden Kennern gewärtig. Entscheidend verantwortlich für diesen Umstand ist, dass viele kulturwissenschaftlichen Konzepte die diachroneDiachronie, diachron Dimension auch im Hinblick auf die GeschichteGeschichte von Theoriebildung systematisch ausblenden. So hat Endre Hars etwa auf eine verblüffende Ähnlichkeit zwischen HerderHerder, Johann G. und Homi K. BhabhaBhabha, Homi K. hingewiesen.1 Dass ihr Einfluss notorisch unterbewertet wird, lässt sich für beide Philosophen, den Neapolitaner VicoVico, Giambattista ebenso wie für den Ostpreußen HerderHerder, Johann G., behaupten. Zusammengenommen haben sie entscheidend zu einem Typus von Kulturtheorie beigetragen, der über Deutschland hinaus wirksam geworden ist. An dieser Stelle darf nicht verschwiegen werden, dass diese Wirksamkeit auch ihre fatalen Seiten hatte. Insbesondere HerderHerder, Johann G. wurde zum Stichwortgeber für Theoretiker der Konservativen Revolution und des nationalsozialistischen Umfeldes. Als prominenteste Beispiele sind hierbei Oswald SpenglersSpengler, Oswald MorphologieMorphologie der Weltkulturen Der Untergang des Abendlandes (→ Kap. 1) und NadlersNadler, Josef Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften oder – um eine aktuelle Debatte zu zitieren – HuntingtonsHuntington, Samuel BuchBuch (als Medium) über den Zusammenstoß der Kulturen zu nennen.2 Dass es sich dabei nicht um direkte Übernahmen, sondern um Rekontextualisierungen handelt, wird am Ende dieses Kapitels aufgezeigt. Aber wie immer es mit der intellektuellenIntellektueller, intellektuell Verantwortung für das eigene Denken und Schreiben steht – ist man verantwortlich für seine unverantwortlichen Leser? –, bestätigt dieser Einfluss, den VicoVico, Giambattista und HerderHerder, Johann G. auf die Entwicklung der abendländischen Kultur und auf die europäische PolitikPolitik hatten, die These, wonach die theoretische Erfassung von Kultur und Kulturen diese selbst verändert.

      Gut drei Generationen trennen HerderHerder, Johann G. von VicoVico, Giambattista. HerderHerder, Johann G. wurde in dem Jahr geboren, in dem VicoVico, Giambattista starb, 1744. Giambattista VicoVico, Giambattista kam 1670 in Neapel als Sohn eines Buchhändlers zur Welt. Es ist das Zeitalter der jesuitischen Gegenreformation. VicoVico, Giambattista, der sich eingehend mit der Renaissance und mit der Philosophie DescartesDescartes, René‘ beschäftigte, kann man nicht ohne Einschränkungen einer bestimmten philosophischen Richtung und Denktradition zuordnen. Was ihn beispielsweise von den Denkern der Renaissance trennt, ist ein ganz wichtiger Punkt: Der neapolitanische Gelehrte lebt in einer Welt, die viel größer geworden ist und in der Europa Erfahrungen mit anderen, bis dahin unbekannten Kulturen gemacht hat. Diese Erfahrung mit anderen Kulturen, mit denen die europäisch-christliche bis dahin nicht in Berührung gekommen ist, provoziert den Vergleich und ermöglicht perspektivisch den Blick auf die eigene Kultur.

      Neapel, das erst von den spanischen, dann von den österreichischen Habsburgern und zuletzt von den Bourbonen regiert wurde, war zu jener ZeitZeit eine Kulturhauptstadt Europas, mit einer glanzvollen Opernkultur (die BalzacBalzac, Honoré de ebenso fasziniert hat wie die Gegenwartsautorin Margriet de Moor3) und einer angesehenen Universität. An dieser absolvierte VicoVico, Giambattista das Studium der Klassischen Philologie und war anschließend Hauslehrer in der Toskana. VicoVico, Giambattista gehört – wie MontaigneMontaigne, Michel de, BaconBacon, Francis oder eben DescartesDescartes, René – zu den Pionieren des frühneuzeitlichen Denkens in Europa. Er ist vielleicht der letzte von ihnen. Später hatte er einen Lehrstuhl für RhetorikRhetorik an der Universität Neapel inne. Da er nur eine Handvoll Studenten hatte, blieb ihm genügend Zeit für ein ungestörtes Gelehrtendasein.

      Die Nuova Science erschien zum ersten Mal im Jahre 1725, als VicoVico, Giambattista bereits 55 Jahre alt war. Es ist an dieser Stelle


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