50 Jahre Speech-Acts. Группа авторов

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Zum anderen betreffen die materialen Bedingungen die Möglichkeit, weil sonst das Versprechen vergeblich seyn und zu keiner Würckung kommen würde. Der Artikel schließt mit einer Bemerkung zur äußeren Form des Versprechens: Wenn es aber allzu dunckel und zweydeutig ist, wird es entweder vor nicht geschehen, oder doch nicht vor so verbindlich geachtet.

      Man sieht sich hier in vielem an die stil- und traditionsbildende Analyse von Searle erinnert – schon die ausdrückliche Rede von Bedingungen erscheint wie ein Vorgriff, zumal sie tatsächlich das meiste von dem abdecken, was auch Searle als Gelingensbedingungen des Versprechens formuliert. Die materiale Bedingung der Möglichkeit des Versprochenen, auf die schon Hobbes und Pufendorf hingewiesen haben, kann als Einleitungsbedingung der Form „S ist in der Lage, A zu tun“ formuliert werden. Die von Pufendorf und im Zedler für gültige Versprechen geforderte Abwesenheit von Furcht und Zwang wie auch eine hinreichende Klarheit über das eigene Tun fasst Searle wenigstens in der 1965 erstmals publizierten Vorfassung seiner Analyse des Versprechens ganz explizit als „Normal input and output conditions“ (Searle 1971, S. 48):

      Together they include such things as that the speaker and hearer both know how to speak the language; both are conscious of what they are doing; the speaker is not acting under duress or threats […]. (Searle 1971, S. 48)

      Somit wird im Zedler zumindest indirekt auch die von Searle veranschlagte Aufrichtigkeitsbedingung angeführt, der zufolge S tatsächlich die Absicht haben muss, sich zu verpflichten. Denn ein unter Zwang ausgesprochenes Versprechen entbehrt ja gerade solcher Aufrichtigkeit. Im Eintrag zur Zusage (Zedler 1750, Bd. 60, Sp. 496–498), der sich wie eine kondensierte Zusammenfassung des Eintrags zum Versprechen liest, wird sogar ausdrücklich gefordert, dass bey Ertheilung der Zusagen und Verträge alle Aufrichtigkeit beobachtet werden muss. Schließlich kann die im Zedler angesprochene Unzweideutigkeit der Worte mit den „normal input and output conditions“ in Verbindung gebracht werden.

      All diese Gemeinsamkeiten dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es natürlich auch deutliche Unterschiede gibt. Besonders auffällig ist der schon von Thomas von Aquin angedeutete ausdrückliche Einbezug der Genehmhaltung auf Seiten der Rezipierenden. Erst durch eine gemeinschaftliche Bewilligung, und nicht schon durch die bloße Äußerung wird ein Versprechen verbindlich und auch einklagbar. Die einzelnen Bestimmungen gültiger Versprechen wie etwa der Ausschluss von Zwang werden ausdrücklich auch auf deren Annahme ausgeweitet. Der Vorwurf der Sprecherzentriertheit, welcher der Searle’schen Sprechakttheorie gerne entgegengebracht wird, trifft die historischen Analysen also weit weniger.4 Zum anderen fällt auf, wie viel Raum in den historischen Analysen der Aspekt der Rechtmäßigkeit (Billigkeit im Zedler) und der Schicklichkeit des Versprochenen einnimmt. In Searles Analyse hat dieser Aspekt keine Entsprechung und tritt ganz hinter der subjektivistischen und als Präferenz beschreibbaren Bedingung zurück, dass H die Ausführung der versprochenen Handlung ihrer Unterlassung vorzieht. Zwar wird im Zedler die Bedingung formuliert, dass nichts einem andern zum Nachtheil, seinem Rechte und seiner Freyheit entgegen versprochen werden kann. Doch gerade der zweite Teil der Formulierung zeigt, dass dieser Nachteil gerade keine Angelegenheit rein subjektiver Präferenzen ist, sondern sich aus dem geltenden Recht vielmehr objektiv ergibt. Ich werde auf diesen Punkt später zurückkommen.

      2.2 Die Drohung

      Als zweites Fallbeispiel wähle ich den Sprechakt der Drohung, der bei Searle selbst zwar nicht eigens behandelt wird, dafür aber gerade in der linguistischen Rezeption ein beliebter Analysegegenstand gewesen ist (vgl. den Überblick in Muschalik 2016). Im 7. Band des Zedler findet sich ein Artikel zur Drohung, der hier mit nur wenigen Kürzungen in voller Länge wiedergegeben werden soll.

      Drohung, ist diejenige Handlung, da man einen in Ansehung einer bevorstehenden Verrichtung unter der Vorstellung eines gewiß zu erwartenden Uebels, in wie ferne derselbe dem Verlangen sich nicht unterwerfen wird, entweder anzutreiben oder abzuhalten suchet. Die Drohungen können entweder vernünfftig oder unvernünfftig seyn. Vernünfftig sind dieselben 1) in Ansehung derer, die sie thun. Entweder es hat einer, der dem anderen drohet, eine rechtmäßige Gewalt über den andern, daher er ihn denn durch die Furcht einer zu erwartenden Straffe, welche allmahl ein Gesetz voraus setzet, zum guten antreiben, und von dem bösen abschrecken kan. […] oder die Personen sind einander gleich, da denn einer dem andern in Ansehung des, beyde verbindenen Gesetzes, mit einer aus dem Gesetz flüssenden Straffe, wenn einer seiner Pflicht nicht nachzukommen gedencket, drohet […]. Aus diesen flüsset, daß die Drohungen nur als Mittel etwas zu würcken bey unvernünfftigen und ihren eitlen Begierden ergebenen Menschen Statt haben. […] 2) Sind die Drohungen vernünfftig in Ansehung der Art und Weise, wie sie geschehen. Einmahl muß das gedrohte Uebel würklich durch uns erfolgen können, denn wenn es von uns heißt: vana est sine viribus ira, so erlangen wir durch dieselben gerade das Gegenteil, indem wir uns lächerlich und verächtlich machen. Hernachmahls müssen wir es offtermahls nicht nur bey der Drohung bewenden, sondern unsre Kräffte durch Erfolgung des Uebels fühlen lassen. 3) Sind die Drohungen vernünfftig in Ansehung derer Sachen, weswegen man drohet, wenn nemlich dieselben wieder die Gesetze streitende Handlungen sind. Aus diesem kann man hingegentheil, was unvernünfftige Handlungen sind, leichte erkennen. (Zedler 1734, Bd. 7, Sp. 1469)

      Der Artikel – im Wesentlichen eine stilistisch gestraffte Fassung des gleichnamigen Eintrags in Johann Georg Walchs Philosophischem Lexicon von 1726 – liefert eine erstaunlich subtile Analyse der ausdrücklich als Handlung aufgefassten Drohung, die sich unter Verwendung bewusst modern gehaltener Termini wie folgt systematisieren lässt:

       Situationsmerkmale: in Ansehung einer bevorstehenden Verrichtung

       Sprecher_innenintentionen: da man einen […] entweder anzutreiben oder abzuhalten suchet / zum guten antreiben, und von dem bösen abschrecken

       Mittel zum Zweck: unter der Vorstellung eines gewiss zu erwartenden Uebels / durch die Furcht einer zu erwartenden Straffe

       Institutioneller Rahmen: rechtmäßige Gewalt / Gesetz

      Auf dem so abgesteckten Feld werden dann die – wie man in Anlehnung an den Begriff der Gelingensbedingung formulieren könnte – ‚Vernünftigkeitsbedingungen‘ von Drohungen bestimmt:

       Akteure (Ansehen derer, die sie tun) und ihr asymmetrisches bzw. symmetrisches Verhältnis: rechtmäßige Gewalt bzw. ein beyde verbindene[s] Gesetz

       Gegenstand der Drohung und seine Durchführbarkeit (Art und Weise, wie sie geschehen): muß das gedrohte Uebel würklich durch uns erfolgen können und unsre Kräffte durch Erfolgung des Uebels fühlen lassen

       Anlass der Drohung und seine Illegitimität (Sachen, weswegen man drohet): wieder die Gesetze streitende Handlungen

      Moderne Analysen kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Typischerweise werden Drohungen dabei als „[h]ybride Sprachakte“ (Klein 1981) gefasst, die kommissive und direkte Aspekte in sich vereinen. Eine Reihe solcher Analysen, die sich ganz im Searle’schen Theorierahmen bewegen und untereinander nur in Nuancen unterscheiden, habe ich geprüft. Die Parallelen zur Analyse im Zedler gebe ich hier tabellarisch mit ausgewählten Passagen aus den modernen Analysen wieder (teilweise im Wortlaut vereinfacht):

Sprechakttheorie nach Searle Zedler 1734
Es gibt eine Situation und einen antizipierbaren durch H herbeigeführten Verlauf (Apeltauer 1977) H ist dabei, eine Handlung zu begehen, die gegen die Interessen von S gerichtet ist (Henriksson 2004) in Ansehung einer bevorstehenden Verrichtung
S will durch die Drohung eine Situation bewahren, verändern, hervorbringen, unterdrücken (Apeltauer 1977) S äußert die Drohung in der Absicht, dass H die Handlung unterlässt (Henriksson 2004)
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