50 Jahre Speech-Acts. Группа авторов

50 Jahre Speech-Acts - Группа авторов


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2015. Berlin/Boston: de Gruyter. S. 311–336

      Schwarz-Friesel, Monika/Chur, Jeanette (62014): Semantik. Ein Arbeitsbuch. Tübingen: Narr.

      Staffeldt, Sven (2014): Sprechakttheoretisch analysieren. In: Staffeldt, Sven/Hagemann, Jörg (Hg.): Pragmatiktheorien. Analysen im Vergleich. Tübingen: Stauffenburg. S. 105–148.

      Stukenbrock, Anja (2013): Sprachliche Interaktion. In: Auer, Peter (Hg.): Sprachwissenschaft. Grammatik – Interaktion – Kognition. Stuttgart: Metzler. S. 217–259.

      Tuchen, Astrid (2018): Methodologie der Pragmatik. In: Liedtke, Frank/Tuchen, Astrid (Hg.): Handbuch Pragmatik. Stuttgart: Metzler. S. 13–25.

      Wagner, Klaus R. (2001): Pragmatik der deutschen Sprache. Frankfurt a. M.: Lang.

      Vormoderne Sprechaktanalysen als Herausforderung für die moderne Sprechakttheorie

      Simon Meier

      Abstract: This contribution focusses on historical analyses of speech acts, that is theoretical reflections on speech speech acts like promises and threats, as they can be found in the works of premodern authors like Aquinas, Thomas Hobbes, Samuel Pufendorf and others. It is shown that some major traits of modern speech act theory, namely the formulation of felicity conditions, seems to be anticipated in the premodern analyses. However, there are differences, too: While modern speech act theory seeks to ground the rules and classification of speech acts in individual psychological states like preferences and interests, premodern analyses are oriented towards objective lawfulness. Thus, some presuppositions of modern speech act theory turn out to be historically bound and discursively shaped.

      1 Einleitung

      Die Sprechakttheorie ist von Beginn an mit einem dezidierten Anspruch auf Neuheit in Erscheinung getreten. Deutlich wird dies etwa in den berühmten ersten Sätzen der 1962 erstmals publizierten Harvard-Lectures von John L. Austin, in denen er in dezenter Beiläufigkeit die These formuliert, dass sich bislang noch niemand wirklich um das Phänomen des sprachlichen Handelns gekümmert habe:

      The phenomenon to be discussed is very widespread and obvious, and it cannot fail to have been already noticed, at least here and there, by others. Yet I have not found attention paid to it specifically. (Austin 1962, S. 1)

      In der sieben Jahre später von Searle (1969) vorgelegten Systematisierung der nun auch so genannten Sprechakttheorie wird dieser Neuheitsanspruch subtil fortgeschrieben, etwa durch den weitgehenden Verzicht auf Literaturverweise jenseits eines recht engen Kreises von Arbeiten der zeitgenössischen sprachanalytischen Philosophie. Auch in der Linguistik wurde und wird dieser Anspruch auf Neuheit dankbar aufgenommen. Die Sprechakttheorie wird typischerweise als Initialzündung der so genannten pragmatischen Wende gerahmt, nach der „Sprache […] nun nicht mehr ausschließlich als abstraktes System betrachtet, sondern im Hinblick auf ihre Gebrauchsbedingungen und als Instrument des Handelns untersucht“ (Stukenbrock 2013, S. 218, Hervorhebung vom Autor) wird. Endlich, so wird gerade auch in einführenden Darstellungen wie dieser vermittelt, verfügte man nun über eine Theorie, die es möglich macht, solche Phänomene wie Versprechen angemessen zu erfassen und etwa durch die Formulierung von Gelingensbedingungen adäquat zu beschreiben.

      Eine Kehrseite dieser oft behaupteten, aber kaum je wirklich belegten Neuheit der Sprechakttheorie ist eine tendenziell ahistorische Grundhaltung in verschiedener Hinsicht. Zum einen scheint wenigstens die philosophisch orientierte Sprechakttheorie von einer überzeitlichen Stabilität von Sprechakten und ihrer Regeln auszugehen, wie es besonders deutlich etwa in Habermas’ (1971) Entwurf einer Universalpragmatik zum Ausdruck kommt. Zum anderen fällt eine wissenschaftshistorische Kurzsichtigkeit oder zumindest Indifferenz auf, die kaum weiter als bis zum Logischen Positivismus der 1920er und 1930er Jahre zurückblickt und zu der sich die Sprechakttheorie und die so genannte ordinary language philosophy insgesamt dann gerne als Gegenentwurf darstellen (vgl. Levinson 1983, S. 227).

      Das wurde natürlich bald gesehen und kritisiert. Gegen die Universalitätsannahme von Sprechakten hat man auf die historische Wandelbarkeit sprachlicher Handlungen hingewiesen und für eine „historische Analyse von Sprechakten“ (Schlieben-Lange 1976) plädiert. In der bis heute lebendigen Historical Pragmatics (vgl. Jucker/Taavitsainen 2010) wird genau das zum Programm gemacht. In verschiedenen Forschungsarbeiten wurde gezeigt, wie sich etwa für bestimmte Sprechakte die Indikatoren der illokutionären Rolle wandeln und wie umgekehrt stabile sprachliche Formen zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche illokutionäre Kräfte haben (vgl. Jacobs/Jucker 1995, S. 13). Sprachgeschichte wird so als Sprachgebrauchsgeschichte beschreibbar und ganz im Sinne des Searle’schen Entwurfs analysierbar. Weitgehend unhinterfragt bleibt dabei aber die Sprechakttheorie selbst, die als gleichsam über der Zeit stehendes theoretisches Grundgerüst auf historische Sprechhandlungen projiziert wird.

      Auch die wissenschaftshistorische Kurzsichtigkeit wurde bald korrigiert. Es wurde an wichtige Vorläufertheorien etwa bei Georg von der Gabelentz (vgl. Staffeldt 2014), Adolf Reinach (vgl. Burkhardt 1986) oder Erwin Koschmieder (1965) erinnert, die als Etappen einer Protopragmatik beschrieben werden können (vgl. Nerlich/Clarke 1996; Max 2018). Die pragmatische Wende erweist sich im Spiegel dieser Arbeiten mitnichten als jener plötzliche und radikale Bruch, als der sie üblicherweise dargestellt wird (vgl. Staffeldt 2014, S. 230).

      Im vorliegenden Beitrag möchte ich diese Historisierungsbemühungen aufgreifen, aber auch weiterentwickeln, indem ich historische Sprechaktanalysen in den Blick nehme. Mit „historischen Sprechaktanalysen“ meine ich ausdrücklich nicht Analysen historischer Sprechhandlungen, wie sie typischerweise die Historical Pragmatics vornimmt, sondern theoretische Reflexionen über sprachliche Handlungen, wie ich sie in vormodernen Quellen finde und die es anders, als dies etwa Austin behauptet, eben sehr wohl gibt. Und zwar handelt es sich dabei weniger um abstrakte sprachtheoretische Entwürfe, wie sie in den Forschungen zur Protopragmatik beschrieben werden, sondern um ungleich konkretere Reflexionen über einzelne sprachliche Handlungen wie etwa das Versprechen, die Drohung, den Tadel oder das Verbieten, die sich gut mit neueren sprechakttheoretischen Analysen vergleichen lassen. Dabei werden sich einige Gemeinsamkeiten zeigen, aber natürlich auch Unterschiede. Gerade die Unterschiede werde ich zum Anlass nehmen, aus dem historischen Kontrast heraus nach zeitgebundenen, mentalitätsgeschichtlich deutbaren Prägungen der Sprechakttheorie Searle’scher Provenienz zu fragen, die durch den Universalitätsanspruch der Sprechakttheorie, sogar in ihrer Anwendung in der konventionellen Historical Pragmatics, meist verdeckt bleiben.

      Dazu werde ich zunächst an zwei Fallbeispielen zeigen, wie solche historischen Sprechaktanalysen aussehen und welche Parallelen und Unterschiede zu modernen Sprechaktanalysen sich hier zeigen lassen (2). Davon ausgehend werde ich nach der Historizität der Sprechakttheorie fragen (3) und anschließend die Frage nach der Neuheit der Sprechakttheorie nochmals aufgreifen (4). In einem Ausblick werde ich schließlich diskutieren, welche Konsequenzen sich aus dem in den historischen Quellen ganz anders als heute darstellenden Verhältnis von Sprechen und Handeln für neuere Diskussionen um eine Theorie der Praktiken ergeben können (5).

      2 Historische Sprechaktanalysen1

      2.1 Das Versprechen

      Am Beispiel des Versprechens, das auch Searle als Probefall für die Explizierung seiner Theorie wählt, lässt sich gut veranschaulichen, was ich hier als historische Sprechaktanalysen beschreiben möchte. Die philosophische Reflexion über das Versprechen hat eine lange Tradition (vgl. Habib 2018) und nimmt im Hochmittelalter bei Thomas von Aquin erstmals systematische Form an. In dessen Hauptwerk Summa theologica (ca. 1266–1273), also ziemlich genau 700 Jahre vor Searle, findet sich ein Kapitel (eine so genannte quaestio) zum Gelübde (votum) (vgl. Thomas von Aquin o.J.: II, 2, 88).1 Als Versprechen gegenüber Gott ist es für monastische Zusammenhänge höchst relevant, wird von Thomas von Aquin aber zunächst am Modell des Versprechens anderen Menschen gegenüber veranschaulicht.

      Das Gelübde wird dabei definiert als ein Akt (actum) der Selbstverpflichtung durch ein Versprechen (per modum promissionis), das wiederum nur vermittelst Worten geschehen kann – eine Definition, die sich leicht an die


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