50 Jahre Speech-Acts. Группа авторов

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der ersten, zweiten oder dritten Position angegeben. Diese ausgedachten Beispielformulierungen sind es, die eine GA/IL-Angriffszielscheibe abgeben. Es sind eben konstruierte, interaktional vereinzelte Beispiele, die genau danach klingen, ausgedacht zu sein. Befund: Empiriedefizit. Es sei – zur augenfälligen Verdeutlichung – nur eines der vielen Beispiele zum Vollzug von Vorwürfen herausgegriffen, nämlich das erste:

      (3) Du hast mich angelogen!

      Nun ist es so, dass vor einigen Jahren (in erster Auflage 2015)

      eine erste Konkretisierung der Vorschläge des Europarats zur Beschreibung der sechs Niveaustufen der Sprachbeherrschung, wie sie im „Gemeinsamen europäischen Referenzrahmen für Sprachen“ vorgestellt werden“ (Glaboniat et al. 2017, S. 5),

      vorgelegt wurde. Hier sind verdienstvollerweise auch diverse Sprachhandlungen (Niveau A1 bis B2) enthalten, auf die man durch Nutzung der mitgelieferten Datenbank-CD zugreifen kann. In der Gruppe Beurteilen von Zuständen, Ereignissen, Handlungen findet man auch Vorwürfe machen, beschuldigen. Und hier sind – ganz dem sprechakttheoretischen Kernanliegen entsprechend, ohne dass man sich auf SAT hier bezöge – auch Vorschläge für musterhafte Formulierungen und schließlich ganz konkrete einzelne Formulierungen vorzufinden. Aus der Mustergruppe Sie haben „x“ kaputtgemacht sei als Beispiel – zur augenfälligen Verdeutlichung – herausgegriffen:

      (4) Sie haben nicht aufgepasst und den Kopierer kaputtgemacht.

      Meiner Einschätzung nach müsste auch dieser Beleg genügend Angriffsfläche bieten. Die Beispielformulierung ist deutlich als kontextlos ausgedachte zu brandmarken (nach meinem Dafürhalten ‚noch schlimmer‘ als das erwähnte Hundsnurscher-Beispiel, das noch halbwegs sprachrealistisch sein dürfte). Und wieder heißt der klare Befund: Empiriedefizit.

      Nur: Auf diesen letzteren Ansatz kommt Joachim Scharloth auf der IDS-Jahrestagung 2015 folgendermaßen zu sprechen. Im Rahmen der von ihm vorgestellten Entwicklung einer computergenerierten Mensch-Maschine-Trost-Kommunikation (also Computerprogramme als tröstende Interaktanten)

      wird auf eine Taxonomie von Sprachhandlungen zurückgegriffen, die für handlungstheoretisch fundierte Ansätze im Bereich Deutsch als Fremdsprache entwickelt wurde (Glaboniat et al. 2015). (Scharloth 2016, S. 325)

      Es gibt hier also das Bedürfnis, sprachlernende Programme mit Daten zu füttern, damit sie auf sprachliche Ressourcen zurückgreifen können. Als solche Daten eignen sich aus funktionaler Perspektive ganz hervorragend Beispiele für den Vollzug von Sprechakten. Damit sind zumindest Bedürfnisse aus der Computerlinguistik und aus dem Sprachlehrbereich genannt, die in den SAT-Kernbereich hineinreichen. Was den computerlinguistischen Rückgriff auf Vollzugsformulierungen angeht, lässt sich abschließend sagen: Wenn es nicht im ersten Anlauf klappt, dann vielleicht 44 Jahre später im zweiten. Oder noch später. Einstweilen kann man sich als SAT’ler beruhigend zurufen: SATT bin ich noch lange nicht.

      Literatur

      Auer, Peter (2000): On line-Syntax – oder: Was es bedeuten könnte, die Zeitlichkeit der mündlichen Sprache ernst zu nehmen. In: Sprache und Literatur 85 (Themenheft: Die Medialität der Gesprochenen Sprache), S. 43–56.

      Austin, John L. (1986 [1961]): Ein Plädoyer für Entschuldigungen. In: ders.: Gesammelte philo-sophische Aufsätze. Übers. u. hrsg. v. Joachim Schulte. Stuttgart: Reclam. S. 229–268.

      Ballod, Matthias/Stumpf, Sarah (2019): Sprachhandlungskompetenz. In: Liedtke, Frank/Wassermann, Marvin (Hg.): Sprachliches Handeln und Pragmadidaktik. (= Der Deutschunterricht; 1/LXXI). S. 75–86.

      Bierwisch, Manfred (1979): Wörtliche Bedeutung – eine pragmatische Gretchenfrage. In: Grewendorf, Günther (Hg.): Sprechakttheorie und Semantik. Frankfurt: Suhrkamp. S. 119–148.

      d’Avis, Franz (2019): Satztyp und Illokution. In: Liedtke, Frank/Wassermann, Marvin (Hg.): Sprachliches Handeln und Pragmadidaktik. (= Der Deutschunterricht; 1/LXXI). S. 24–35.

      DGW = Dudenredaktion (Hg.) (42012): Das große Wörterbuch der deutschen Sprache. Mannheim. (Ausgabe auf CD-Rom).

      Engel, Ulrich (22009): Deutsche Grammatik. Neubearbeitung. München: iudicium.

      Fiehler, Reinhard (92016): Gesprochene Sprache. In: Wöllstein, Angelika/Dudenredaktion (Hg.): Die Grammatik. Unentbehrlich für richtiges Deutsch. Berlin: Dudenverlag. S. 1181–1260.

      Fritz, Gerd/Hundsnurscher, Franz (1975): Sprechaktsequenzen. Überlegungen zur Vowurf/Rechtfertigung-Interaktion. In: Der Deutschunterricht 2 (27), S. 81–103.

      Glaboniat, Manuela/Müller, Martin/Rusch, Paul/Schmitz, Helen/Wertenschlag, Lukas (22017): Profile deutsch. Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen. Stuttgart: Klett. [mit CD-Rom].

      Günthner, Susanne (2000): Vorwurfsaktivitäten in der Alltagsinteraktion. Grammatische, prosodische, rhetorisch-stilistische und interaktive Verfahren bei der Konstitution kommunikativer Muster und Gattungen. Tübingen: Niemeyer.

      Günthner, Susanne (2008): „die Sache ist …“: eine Projektor-Konstruktion im gesprochenen Deutsch. In: Zeitschrift für Sprachwissenschaft 27 (1), S. 39–71.

      Günthner, Susanne/Wegner, Lars (2017): Der konversationsanalytische Ansatz. In: Niehr, Thomas/Schlobinski, Peter (Hg.): Diskursanalyse(n). (= Der Deutschunterricht; 6/LXIX). S. 35–43.

      Harras, Gisela/Winkler, Edeltraud /Erb, Sabine/Proost, Kristel (2004, Teil 1) und Harras, Gisela/Proost, Kristel/Winkler, Edeltraud (2007, Teil 2): Handbuch deutscher Kommunikationsverben. Teil 1: Wörterbuch. Teil 2: Lexikalische Strukturen. Berlin/New York: de Gruyter.

      HDKV = Harras et al. (2004)

      Helbig, Gerhard (1988): Lexikon deutscher Partikeln. Leipzig: Enzyklopädie.

      Imo, Wolfgang/Fladrich, Marcel (2019): Mobile Messengerkommunikation als Gegenstand des Deutschunterrichts. In: Liedtke, Frank/Wassermann, Marvin (Hg.): Sprachliches Handeln und Pragmadidaktik. (= Der Deutschunterricht; 1/LXXI). S. 55–64.

      Hundsnurscher, Franz (1993): Streitspezifische Sprechakte: Vorwerfen, Insistieren, Beschimpfen. In: Protosoziologie 4 (1993), S. 140–150.

      Kiesendahl, Jana (2011): Status und Kommunikation. Ein Vergleich von Sprechhandlungen in universitären E-Mails und Sprechstundengesprächen. Berlin: Schmidt.

      Kindt, Walther (2010): Irrtümer und andere Defizite in der Linguistik. Wissenschaftslogische Probleme als Hindernis für Erkenntnisfortschritte. Frankfurt a.M.: Lang.

      Klein, Josef (2015): AUSWEICHEN und AUSWEICHEN KASCHIEREN. Multimodale Performanz, Framing-Kniffe und Publikumsresonanz. In: Girnth, Heiko/Michel, Sascha (Hg.): Polit-Talkshow. Interdisziplinäre Perspektiven auf ein multimodales Format. Stuttgart: ibidem. S. 239–283.

      Krifka, Manfred (2004): Sprechakte und Satztypen (Online als PDF verfügbar unter: https://amor.cms.hu-berlin.de/~h2816i3x/Sprechakte2004.pdf).

      Liedtke, Frank (2018): Sprechakttheorie. In: Liedtke, Frank/Tuchen, Astrid (Hg.): Handbuch Pragmatik. Stuttgart: Metzler. S. 29–40.

      Liedtke, Frank/Wassermann, Marvin (Hg.) (2019): Sprachliches Handeln und Pragmadidaktik. (= Der Deutschunterricht; 1/LXXI).

      Marten-Cleef, Susanne (1991): Gefühle ausdrücken. Die expressiven Sprechakte. Göppingen: Kümmerle.

      Meibauer, Jörg (22001): Pragmatik. Tübingen: Stauffenburg.

      Niehr, Thomas/Schlobinski, Peter (Hg.) (2017): Diskursanalyse(n). (= Der Deutschunterricht; 6/LXIX).

      Rehbein, Jochen (1981): Announcing. On formulating plans. In: Coulmas, Florian (Hg.): Conversational routine. The Hague. S. 215–259.

      Rolf, Eckard (1997): Illokutionäre Kräfte. Grundbegriffe der Illokutionslogik. Opladen: WdV.

      Rosengren, Inger (Hg.) (1992/1993): Satz und Illokution. 2 Bände. Tübingen: Niemeyer.

      Scharloth, Joachim (2016): Praktiken modellieren: Dialogmodellierung als Methode der Interaktionalen Linguistik. In:


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