50 Jahre Speech-Acts. Группа авторов
aber klar: Searle hat mehr mit Semantik zu tun, wohingegen Austin und Bühler eher die eigentlichen Ahnherren für eine – mal ad-hoc-gebildet – Sprechhandlungspragmatik sind. Wahrscheinlich ist damit gemeint, dass sich Searle eher mit der Bedeutung von Ausdrücken als mit Interaktionen beschäftigt (was richtig ist und auch einen der wichtigsten Pfeiler sprechakttheoretischer Beschreibungsansätze darstellt), wohingegen Austin und Bühler mehr auf den Gebrauch abzielen (wenngleich sie natürlich auch nicht Sprachgebrauch i. e. S. untersuchen).
Betrachten wir auch hier ein Beispiel (es handelt sich um „einen mehrsprachigen Ausschnitt aus einer unterrichtsexternen Aufgabenstellung an eine Mathematikfördergruppe des 7. Jahrgangs im Zuge einer Interventionsstudie“ (Redder 2017, S. 28)):
Beispielausschnitt aus dem Diskursausschnitt B1 in Redder (2017, S. 29)
Redder schreibt dazu:
Die mündlich formulierte Aufgabenstellung von FLMC erfolgt in Segment22 #131. Bei differenzierter, propositionaler und illokutiver Betrachtung muss man die Äußerung in zwei Teilsegmente zerlegen, nämlich in die ‚Ankündigung‘ (Rehbein 1981)23 („Sorunuz şu:“) und die ‚Aufgabenstellung‘ im engeren Sinne. Insofern erfolgt ein diskursiv sorgfältig abgesicherter Einstieg in das Handlungsmuster ‚Aufgabenstellen-Aufgabenlösen‘. […] Im Diskursausschnitt (B1) wird das Muster einer ‚Erläuterung‘ (Bührig 1996)24 initiiert, um ein zentrales propositionales Element der Aufgabenstellung, den Ausdruck ‚zar‘, im gemeinsamen Diskurswissen abzusichern (#132: […]).
[Die Fußnoten dazu lauten:]
(22) | Hier liegt eine erste grobe, digital unterstützte Segmentierung im Sinne von Rehbein et al. (2005) vor. |
(23) | Eine Ankündigung dient der Synchronisierung von Handlungsplänen und Sicherung kooperativer Handlungsbereitschaft des Interaktanten. |
(24) | Mittels einer Erläuterung wird so viel Wissen für einen Hörer nachgeliefert, wie dieser für die gemeinsame, verständige Diskursfortführung benötigt. Die mentale Antizipation des unzureichenden H-Wissens durch S wird hier in Form einer Frage verbalisiert, sodass eine diskursive Bearbeitung erfolgt. (Redder 2017, S. 30) |
Die spannende Frage (die auch SchülerInnen und Studierenden zugetraut werden dürfte): Wie betrachte ich das Segment #131 differenziert, propositional und illokutiv? Und was kommt dabei raus? Das Transkript selbst legt eine Interpretation dieser Stelle bereits nahe, nämlich die, dass es sich bei Sorunuz şu: um eine einen neuen Satz beginnende Einheit handelt, die aber – und das zeigt der Doppelpunkt an – dem restlichen Satz gegenübergestellt ist. In der deutschen Übersetzung handelt es sich dabei um einen valenziell unvollständigen Satz, bei dem nur das Prädikativ zu der Kopula realisiert ist (zusammen: die Frage sein) und das Subjekt fehlt (also: Was ist denn nun die Frage?). Dadurch wird syntaktisch eine Erwartungshaltung aufgebaut (mit Auer: eine Projektion eröffnet), die der restliche Satz dann auch einlöst (es folgt das satzförmige Subjekt), das durch die W-Fragesatzform zudem propositional direkt an Frage anschließt. Vielleicht ließe sich eine solche Beschreibung zumindest als differenziert betrachten. Nun charakterisiert Redder diese Stelle mit Rehbein (1981) als Ankündigung und liefert dazu in Fußnote 23 eine Definition, die auf Sprachplanungs- / Sprachproduktionsprozesse abzielt (Auer (2000): Projektion, Günthner (2008): Projektorkonstruktion). Von einer Ankündigung zu reden, ist sowohl alltagssprachlich als auch sprechakttheoretisch nicht ganz unproblematisch oder zumindest auf den ersten Blick irritierend1, weil es sich hier ja um die Funktionszuschreibung zu einer Einheit beim Aufbau einer syntaktischen Konstruktion handelt und nicht um eine durch eine sprachliche Äußerung vollzogene eigenständige Handlung. Um Sprechhandlung sein zu können, bedürfte es schon einer potenziell selbstständigen funktionalen Einheit (vgl. Fiehler 2016, S. 1240–1243). Was Redder hier im Blick hat, ist in der Systematik Fiehlers eine projizierende funktionale Einheit. Insofern man die Ankündigung als Ankündigung der gleich folgenden Frage versteht, kann sie zwar als illokutionärer Indikator (als Handlungsverdeutlichung) angesehen werden. Der Operator zeigt dann die Illokution des Ganzen an, ist selbst aber nicht eine separat durch Ankündigung zu erfassende Sprechhandlung auf derselben Ebene. Innerhalb der FP-Methodik, sowohl die sprachlichen Oberflächen als auch die mit ihnen verbundenen Handlungsabfolgen funktional bis zu den allerkleinsten Einheiten zu zerlegen, macht es natürlich Sinn, eine solche Funktion zu definieren und durch einen Terminus wie Ankündigung greifbar werden zu lassen. Dieser Terminus aber – und das ist dann doch etwas problematisch – sieht so aus, als ließe er sich an sprechakttheoretische Beschreibungen andocken (die sich ja gerade darum kümmern, was ANKÜNDIGUNGEN sind), was aber nicht der Fall ist. Und in der Tat ist die Fußnote 23 ja überhaupt nicht auf Sprechaktbeschreibungen bezogen. An die oben im Zitat erwähnte Bührig’sche Erläuterung ließen sich ähnlich kritische Bemerkungen anschließen.
Auch hier gilt wieder: Die Beschreibungen sind alles andere als unplausibel. Sie beziehen sich auf die sprachliche Oberfläche und sind bemüht, alles funktional zu erfassen, wobei größere Einheiten immer weiter untergliedert werden, bis man bei den kleinsten Einheiten angelangt ist. Nur hat das mit sprechakttheoretischen Beschreibungen recht wenig zu tun. Insbesondere sind die situational verankerbaren Gelingensbedingungen als methodologischer Beschreibungskern suspendiert.2 Eine Berufung auf die Sprechakttheorie schlägt hier also fehl. FP betreibt funktionale Gesprochene-Sprache-Forschung und hat einen eher – wenn man das so sagen darf – technischen Handlungsbegriff. Mit der Sichtweise auf verbale Kommunikation als soziale Arbeit hat die FP zudem auch ein von dem der GA verschiedenes Erkenntnisinteresse. Letztere dockt ja eher an soziologische und sozialphilosophische Strömungen an, wohingegen die FP sich gern auf musterhafte, ritualisierte Handlungsabläufe im Rahmen gesellschaftlich wiederkehrender Handlungsbedürfnisse stürzt3 (und nicht zuletzt deshalb u.a. auch stark an Formen institutioneller Kommunikation interessiert ist). Die Stoßrichtung könnte kurz so erfasst werden: Was macht man alles (für gewöhnlich oder in diesem Fall), wenn man sprachlich handelnd das Muster X zur Abarbeitung des übergeordneten Musters Y realisiert?
3.3 SAT in Satztypen? Ein Makrobeispiel rund um Wünschen und Exklamationen
Der Titel des DU-Beitrags von d’Avis (2019) Satztyp und Illokution verspricht SAT-haltige Inhalte. Überhaupt ist die Integration sprechakttheoretischer Funktionszuschreibungen in die funktionale Beschreibung von Formen und Typen von Sätzen ein Schauplatz grammatisch wohlwollender Vereinnahmung.1 Es geht hier einerseits um den grammatisch wohlplatzierten Einbau sprechakttheoretischer Komponenten bei der formalen Rekonstruktion von hierarchisch strukturierten Satz- und Äußerungsbedeutungen, wie etwa schon Bierwisch (1979) einzelsprechaktübergreifend eine Komponente des kommunikativen Sinns in seine satz- bzw. äußerungssemantische Formel eingebaut hatte, die in Schwarz-Friesel/Chur (2014, S. 33) folgendermaßen wiedergegeben wird (mit „ct“ = ‚Kontext‘, „m“ = ‚Bedeutung (meaning)‘, „ias“ = Interaktionssituation und „ks“ = ‚kommunikativer Sinn‘):
(((äuß(phon,syn, sem))ct,m)ias,ks)
Andererseits steht aber auch die sich von alters her in den Bezeichnungen für Satztypen niederschlagende Funktionszuschreibung zu Satztypen auf dem Programm. Letzteres verfolgt d’Avis (2019). Für die Zwecke des DU-Aufsatzes geht d’Avis von Folgendem aus – eine allerdings durchaus gewagte Vermutung:
Der intuitive Zugang zu dem, was ein Sprecher mit der Äußerung eines Satzes tut, ist sicher für Schülerinnen und Schüler etwas leichter als die Beschreibung formaler Eigenschaften der zugrundeliegenden Sätze. (d’Avis 2019, S. 30)
Hieraus gewinnt d’Avis wohl die Berechtigung, sich zunächst (und intensiver) mit Satztypen zu beschäftigen und dann (weniger intensiv) mit Sprechaktklassen. Er unterscheidet zunächst topologisch die drei verschiedenen Verbstellungstypen und reichert diese um weitere Kategorien (etwa: das Vorhandensein einer w-Phrase im Vorfeld, der Modus des Verbs, der Tonhöhenverlauf, das Vorhandensein bestimmter Subjunktionen und Partikeln usw.) an und gelangt so zu einer Differenzierung in die Satztypen: Deklarativsatz, Interrogativsatz, Imperativsatz, Optativsatz und Exklamativsatz (mit einigen wenigen weiteren Unterteilungen wie z.B.